Galerienrundgang in Leipzig: Erbrochenes aus Kunstharz

Nicht gut, sondern de luxe ist es gelaufen: Fünfzehn internationale Galerien und hochkarätiges Publikum machen die Leipziger Kunstschau zur "kleinen Schwester Berlins".

Meese, Burgert und Volkmann wollen provozieren. Bild: dpa

Der Laden für Nichts ist voll. In der Galerie auf dem Gelände der Leipziger Baumwollspinnerei drängen sich Menschen vor Collagen mit Erbrochenem aus Kunstharz, "Stinki"-Krakeleien und zusammengerollten Geldscheinen. Weiter hinten hängt Großformatiges in Öl: Klassentreffen zwischen Jonathan Meese, Herbert Volkmann und Jonas Burgert. Irgendwie leicht bekloppt, aber auch hochgradig energetisch.

Draußen tobt der Leipziger Galerienrundgang. Besser gesagt, er tobt wieder, denn zuletzt waren der zweimal jährlich stattfindenden Veranstaltung die wichtigen Großsammler ausgegangen. Dabei konnte das Leipziger Galerienquartier auf eine einzigartige Erfolgsgeschichte zurückblicken. Vor genau drei Jahren waren Leipzigs führende Galerien auf das Gelände der ehemals größten kontinentaleuropäischen Baumwollspinnerei gezogen, dorthin, wo unter gut hundert Künstlern auch Neo Rauch und Matthias Weischer ihre Ateliers haben. Zum Frühjahrsrundgang 2005 kamen die "Ueber-Collectors" aus Übersee und die wichtigen Museumsleute dieser Welt angereist. Die Spinnerei startete als global agierender Kunsthandelsplatz durch, sensibel gekoppelt an den Erfolg der Leipziger Malerei.

Doch deren Hype ist vorbei. Zwar sind die wichtigsten Vertreter der "Neuen Leipziger Schule" nach wie vor gefragt und haben wichtige Museumsschauen, medial aber ist das Thema abgebrannt, die Ressource Aufmerksamkeit zum Teil verbraucht. Das Gebot der Stunde lautet, das Image des Kunststandorts Leipzig unabhängiger vom Bild der Malerstadt zu machen.

Arne Linde, die 2005 ihre Galerie ASPN auf dem Gelände gründete, sagt: "Damals mussten wir nicht viel tun. Jetzt müssen wir uns kümmern", und Judy Lybke, Chef von Leipzigs erfolgreichster Galerie Eigen + Art, formuliert etwas dynamischer, es gehe darum, "nicht nur das Niveau, sondern den Anstiegswinkel zu halten".

Praktisch sieht das so aus: Die frisch gegründete Leipzig Art Dealers Alliance - kurz LADA - hat für die Dauer des Rundgangs fünfzehn internationale Galerien eingeladen. In einer lichtdurchfluteten Industriehalle auf dem Gelände haben die Gäste von Donnerstag bis Sonntag in messeartigen Kojen ausstellen können.

Susanne Tarasiève aus Paris zeigte unter anderem eine Berliner Fotografie von Boris Michailow, nebenan in der Keith Talent Gallery zog eine witzige Wand von Shaun Doyle und Mally Mallison die Blicke auf sich. Der Rest: Malerei, Zeichnung, Fotografie, Skulptur und Video von Galerien, die unter anderem aus Moskau (gmg), Mumbai (Mirchandani + Steinrücke), Seoul (One and J. Gallery) oder Mexiko (Hilario Galguera) kamen. Manches sah aus wie auf Nummer sicher gebürstet, aber die Stimmung unter den Galeristen war gut bis euphorisch. Martin Asbaek aus Kopenhagen erzählte, für ihn sei es in der Werkschauhalle besser gelaufen als auf der Kunstmesse NEXT in Chicago wenige Tage zuvor.

Bezahlen mussten die geladenen Galerien Reise, Kunsttransport und Übernachtung, nicht aber die Stände. Gelockt wurden sie außerdem mit der Aussicht auf das zeitgleich stattfindende Galeriewochenende in Berlin. Während ihres Abstechers in die Hauptstadt sollte - das war Teil des Einladungspakets - Spinnerei-Personal den Standdienst übernehmen. Einige der Gäste blieben aber letztlich in Leipzig. Das Publikum sei hochkarätig gewesen, erzählten sie. Walter Otero aus Puerto Rico lobte die Überschaubarkeit und Intimität des Leipziger Rundgangs mit seinen rund 30 Ausstellungen. Nach Berlin mit seinen mehreren hundert Schauräumen zu fahren, wäre ihm "einfach zu viel" gewesen.

Das Rundgangsprogramm der ansässigen Galerien ließ sich mitunter als Statement einer Neuorientierung im Rahmen des Post-Hypes lesen. Die Galerie Eigen + Art äußerte sich mit kolossalen Bronzen und einem riesigen, runden Acrylrelief von Stella Hamberg zum Thema. Arne Linde hingegen zeigte in ihrer Galerie eine geradezu minimalistische Ausstellung mit acht kleinformatigen Fotografien von Artur Zalewski. Ihr Nachbar Dogenhaus präsentierte mit Matthias Hoch ebenfalls einen Fotografen und früheren Absolventen der Leipziger Kunsthochschule. Im Laden für Nichts hatte Jonathan Meese auf einen Zettel gekrakelt: "Wollt ihr die totale Kunst?" Und nur eine der tonangebenden Galerien (Kleindienst) zeigte einen der großen Leipziger Malernamen. Inmitten seiner neuer Ölbilder aber hatte Künstler Tilo Baumgärtel einen Animationsfilm platziert.

So viel Trubel war selten: Geschätzte 10.000 Besucher, darunter das begehrte, sogenannte "Qualitätspublikum", drei große Gruppenausstellungen. Die erst kürzlich von Ravensburg nach Leipzig gezogene Columbus Art Foundation feierte ihre Neueröffnung. Dogenhaus-Galerist Jochen Hempel sagte: "Nicht gut, sondern de luxe ist es gelaufen."

Derweil sieht Judy Lybke Leipzig neben Berlin in der "Champions League der Kunststädte". Galerist Günther meint, dass Leipzig sich "als kleine Schwester Berlins" etablieren könnte. Das klingt weniger vermessen, wenn man daran denkt, dass zum hausgemachten Leipziger Erfolg eine schnöde infrastrukturelle Voraussetzung hinzukommt. Die Spinnereigalerien erinnern in ihren Pressemails zu den Rundgängen gerne daran. Da heißt es: "Leipzig - nur eine Stunde im Zug von Berlin entfernt".

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