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Archiv-Artikel

die taz vor 16 jahren: in den westen abgeschobene müssen wieder zurückdürfen

Das Kapitel Ausbürgerungen ist eines der beschämendsten in der 40-jährigen Geschichte der DDR. Da wurden gerade diejenigen aus der „Staatsbürgerschaft“ entlassen, die sich für ihre Gesellschaft engagieren wollten, die der Lüge, dem Gleichmut, dem Abfinden mit den Verhältnissen, der Korruption entgegentraten, die versuchten, die provinzielle Enge, die Engstirnigkeit zu durchbrechen. Da wurden Menschen aus der Republik geschmissen, nur weil sie die Kernsätze des politischen Verständnisses der Revolutionärin Rosa Luxemburg in Ehren hielten und gegen die herrschende Nomenklatura wendeten. Da wurden gerade diejenigen aus der Gesellschaft ausgeschlossen, die nicht gehen wollten, während andere, die gehen wollten, strengste Strafen auf sich nehmen mußten.

Gewiß, jetzt soll alles anders werden. Die SED will ihren Frieden mit Künstlern und Geistesschaffenden. Sie muß jenen Raum geben, die an einer neuen DDR mitwirken wollen. Wenn sich jetzt die Zeichen mehren, daß mit Roland Jahn, Freya Klier, Ralf Hirsch, Wolf Biermann, Jürgen Fuchs und vielen anderen anders umgegangen wird, dann wäre tatsächlich ein Schritt zum Dialog getan. Dann könnten jene, die gerade, weil sie nie so wendig waren, ihren wichtigsten Beitrag leisten: und der heißt auch Aufarbeitung der Vergangenheit. Die für heute geplante einreise von Wolf Biermann zu einem Konzert in Ost-Berlin wird eine neue Nagelprobe sein. Daran ist zu messen, wie ernst es die SED tatsächlich meint.

Auch im Westen, hier bei uns, war die Solidarität mit den Ausgebürgerten nicht gerade überschäumend. Waren SPD und CDU noch nach der Luxemburg-Demo 1988 geeint in ihrer „Sorge“ um die Stabilität in Deutschland, verweigerten auch manche Grüne, Alternative und andere Linke denen, die sie bitter nötig hatten, die Solidarität. Wenn nun von allen Seiten der Dialog mit der demokratischen Opposition „drüben“ gesucht wird, sollte an einige derer, die ihn schon lange zwischen West und Ost führen, erinnert werden. Denn die dürfen im Gegensatz zu anderen noch immer nicht in die DDR.

Erich Rathfelder, taz, 14. 11. 1989