piwik no script img

Der Sound der DDR

TRANSMEDIALE Im Funkhaus in der Nalepastraße steht das Subharchord, ein Ost-Synthesizer, im Fokus

Mit der Ausstellung „In that Weird Age“ gibt es zudem eine rockende Präsentation von Medienkunst

Das Funkhaus in der Nalepastraße in Oberschöneweide ist einer der Orte in Berlin, an dem man das Flair der untergegangenen DDR noch am unverfälschtesten genießen kann. Zu DDR-Zeiten die „Rundfunkstadt“, in der 3.000 Menschen arbeiteten, ist es hier in „Oberschweineöde“ heute still und leer. Zwar haben in den akustisch hervorragenden Studios unter anderem die Black Eyed Peas und Daniel Barenboim aufgenommen. Trotzdem herrscht rund um die monumentalen Bauten von Franz Ehrlich meist Friedhofsruhe.

Doch am Samstag pilgern über die matschigen Wege kleine Pulks von Musikfans zum legendären Sendesaal 1. Zumeist junge Leute, aber ein Teil der Besucher ist im Rentenalter und kennt das Funkhaus noch als einstigen Arbeitsplatz. Sie sind gekommen, um bei einer Veranstaltung des Musikfestivals CTM, früher bekannt als Club Transmediale, das Subharchord in Aktion zu sehen.

Das Subharchord war ein Synthesizer, der in der DDR Ende der 50er Jahre am „Institut für musikalische und akustische Grenzphänomene“ entwickelt wurde. Sein Erfinder, Gerhard Steinke, ist ein fröhlicher älterer Herr mit Fliege, der sichtlich begeistert ist, vor Publikum mit einer Power-Point-Präsentation über die Entwicklung des Instruments Auskunft geben zu dürfen. Über das Subharchord, von dem nur sieben Exemplare gebaut wurden, spricht er wie über ein Lebewesen. Im Laufe des Nachmittags wächst das Publikum auf mehr als 500 Leute an. Sie erfahren unter anderem durch Ausschnitte aus einem Dokumentarfilm von Ina Pillat, wie – ausgehend von Ideen von Otto Sala und Friedrich Trautwein, zweier Pioniere der deutschen elektronischen Musik in den 30er Jahren – das Subharchord entwickelt wurde.

Die bekannteste Komposition, die auf dem Instrument entstand, war die Titelmelodie der berühmt-berüchtigten Nachrichten- und Propaganda-Fernsehsendung „Der Schwarze Kanal“. Auch Musik für Animationsfilme und Hörspiele wurde mit Subharchord gemacht. Der amerikanische Avantgardekomponist Frederic Rzewski pendelte Mitte der 60er mehrere Wochen jeden Tag von West- nach Ostberlin, um mit dem Instrument seine Komposition „Zoologischer Garten“ einzuspielen.

Im Anschluss an die Vorträge zerlegt der Minimal-Komponist Frank Brettschneider Klänge des Subharchords in ein pulsierendes Techno-Moiré, bevor bei einem Konzert von Biosphere & The Pitch endlich eines der wenigen noch spielbaren Exemplare live zum Einsatz kommt – und sehr gegenwärtig klingt. Die Begeisterung, die das künstlerische Herumbasteln mit Schaltkreisen, Drehreglern, Transistoren und anderer Medientechnik auslösen kann, war bei dieser Veranstaltung mit Händen zu greifen.

Und das gilt auch für das übrige Programm des „Festivals for adventurous music and art“, das zum 14. Mal stattfand. Einst als Ableger des Medienkunstfestivals Transmediale gegründet, hat es seinen Namengeber in Sachen Vitalität längst abgehängt. Eine Woche lang bekam man im Bethanien, im HAU, dem Berghain, dem Stattbad Wedding und an anderen Orten eine Leistungsschau der elektronischen Kultur der Gegenwart – meist Konzerten – geboten.

Mit der Ausstellung „In that Weird Age“ im Kunstraum Kreuzberg gibt es zudem eine rockende Präsentation von Medienkunst, die gute Laune macht. Quer durch die Ausstellungsräume windet sich die „Vinyl Ralley“ des australischen Künstlers Lucas Abela, eine Rennbahn aus Vinylschallplatten, durch die die Besucher zwei ferngesteuerte Modellrennwagen lenken können.

Gleich mehrere Arbeiten widmen sich Youtube: Sakrowskis curatingyoutube.net schichtet unzählige Amateur-Versionen von Skrillexs Stück „Scary Monsters And Nice Sprites“ zu gewaltigen Walls of Sound übereinander. Constant Dullaart lässt den klickbaren Pfeil am Beginn jedes Youtube-Videos zittern, wie den Mond auf- und untergehen oder wie eine Diskokugel leuchten. Sein amerikanischer Kollege Ben Coonely hat sich als Reaktion darauf den Kreis rotierender Punkte beim Herunterladen der Videos vorgenommen. Schon kurz nach der Eröffnung hatten die ersten Kids aus der Nachbarschaft die Ausstellung als Gratis-Medien-Spielplatz für sich entdeckt. TILMAN BAUMGÄRTEL

■ „In that Weird Age“ ist noch bis zum 24. Februar im Kunstraum Kreuzberg im Bethanien zu sehen

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen