Gefängnisstrafe wegen Blogbeitrag: Das Netz wird enger

Weil er per Blog über "Bullen" herzog, ist ein Russe zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt worden. Die Richter werten Blogs als Massenmedium.

Bloginhalte als Privatmeinungen? Gilt offenbar nicht in Russland. Bild: ap

MOSKAU taz Mehr als ein Jahr haben sich Beweisaufnahme und Prozess gegen den Blogger Sawwa Terentjew in Russland hingezogen. Die Länge des Verfahrens lässt darauf schließen, dass Kontrolleure und Justizbehörden dem Casus Terentjew als Präzedenzfall große Bedeutung beimessen. Der 22 Jahre alte Musiker aus Syktywkar in der Republik Komi ist Russlands erster Internetnutzer, der wegen eines Beitrags im Blog eines anderen Bloggers zu einem Jahr Gefängnis auf Bewährung verurteilt wurde.

Das Gericht sah den Tatbestand des "Schürens von Hass, Feindschaft und Herabsetzung der Menschenwürde" als bewiesen an. Im Februar 2007 hatte Terentjew seiner Wut auf die Polizei Luft gemacht und ein Brandschreiben gegen die "Bullen" in einem Weblog hinterlassen. Wer bei den Bullen arbeite, sei Abschaum und selbst kriminell, schrieb der Musiker und steigerte sich in die Vorstellung hinein, "im Zentrum einer jeden russischen Stadt einen Ofen aufzustellen wie in Auschwitz und … zweimal täglich darin einen von diesen falschen Bullen zu verbrennen". Das Gericht sah darin eine "extremistische Orientierung", die sich gezielt gegen eine soziale Gruppe, zumal staatliche Ordnungshüter, richte.

Anlass für die Tirade des Musikers war die vorangegangene Konfiszierung von Festplatten der oppositionellen Zeitung Iskra. Die lokalen Netpolizisten aus der Abeilung "K" beschlagnahmten die Computer, weil die Redaktion angeblich mit illegaler Software arbeitete. Nun standen ausgerechnet zu jener Zeit wichtige Wahlen in der Republik Komi an, und es wäre nicht das erste Mal gewesen, dass die staatlichen Kontrolleure unter formalem Vorwand missliebige Journalisten ausschalteten.

Terentjews Anwälte plädierten auf Freispruch und beriefen sich auf die Europäische Menschenrechtskonvention, die Bloginhalte als Privatmeinungen schütze. Außerdem sei der Beitrag nur einem ausgewählten Leserkreis zugänglich gewesen. Das Gericht ließ die Einwände nicht gelten. Mit dem Urteil beantwortete das Gericht die bislang offene und umstrittene Frage, ob private Internetbeiträge wie Äußerungen in einem Massenmedium zu behandeln seien. Den führenden politischen Kreisen und der allmächtigen russischen Bürokratie ist das unzensierte Treiben im Ru-net schon lange unheimlich. Internetprovider sind seit Jahren gezwungen, dem FSB-Geheimdienst Zugang zu ihren Daten zu verschaffen. Mehrfach wurde im Informationsministerium überlegt, dem FSB überhaupt ungehinderten Zugang zum gesamten E-Mail-Verkehr und Kontrolle über alle Webseiten einzuräumen. Eine Gesetzesinitiative des Föderationsratsmitglieds Wladimir Slutsker sah überdies vor, alle Seiten mit mehr als 1.000 Nutzern wie andere Massenmedien staatlich zu registrieren. Die Aussicht, schnell, billig und unkompliziert an alle möglichen Daten zu gelangen, versetzt Russlands geheimdienstlich geschulte Führungsschicht in Entzücken.

Die Bedeutung des Internets nimmt mit jedem Jahr zu und damit auch dessen Rolle einer alternativen Öffentlichkeit. Der weitaus größte Teil der Internetgemeinde würde sich aber wohl nicht als oppositionell verorten. Die Szene tritt eher zurückhaltend auf. Noch stammen 95 Prozent der Nutzer aus zwölf großen Ballungszentren. Russlands typischer Blogger ist laut Erhebung der Suchmaschine Yandex 2007 "ein Mädchen von 21 Jahren mit Wohnsitz in Moskau. Sie studiert an einer Hochschule, und ihre Einträge werden in der Regel von 24 anderen Bloggern gelesen."

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