Die Politik des Giganten Gazprom: Der russische Riese

Weil der Gasmonopolist seine Macht ausdehnen will, torpedieren Gazprom und der russische Präsident die Pipline "Nabucco". Für den Konzern wäre sie eine Schwächung

Russlands Gigant: Gazprom. Bild: reuters

Es ist Dmitri Medwedjews Vorteil, dass er nicht nur Russlands Präsident ist, sondern bis vor kurzem Chef des Aufsichtsrats von Gazprom war. Er weiß um die Quellen russischer Macht, und er weiß, welch fragile Rolle Gazprom dabei spielt. Und so ist es verständlich, dass Medwedjew der erste russische Präsident ist, der einen Job erledigte, der sonst Gazprom-Managern vorbehalten ist.

Am Mittwoch verhandelte der Konzern mit Bulgarien über die Beteiligung der Balkanstaaten an der "South Stream"-Gaspipeline. So versucht Gazprom Europas Projekt "Nabucco" auszubooten. Die South Stream soll unter dem Schwarzen Meer nach Bulgarien führen und sich in den Westen verzweigen. Dem Konzern gehört das weltweit größte Gasnetz, auf ihn entfallen 20 Prozent der weltweiten Gasförderung. 2006 hatte der Export nach Europa ein Volumen von 161,5 Mrd. Kubikmeter Gas. 2005 wurde die Pipeline North Stream errichtet, 2006 South Stream. Gazprom hatte 2007 einen Konzernumsatz von ca. 93 Mrd. Dollar. 50 Prozent der Gazprom-Aktien gehören dem russischen Staat.

Bei einer "Gastournee" besuchte er drei ehemalige Sowjetrepubliken, die über die größten Gas- und Ölvorkommen auf dem Gebiet der früheren Sowjetunion verfügen. Seinen ersten Stopp machte er in Aserbaidschan, dann in Turkmenistan und schließlich in Kasachstan.

Um diese Reise wäre Gazprom nicht herumgekommen. Denn zwischen diesen drei Staaten und Russland waren die Beziehungen stets heikel - und oft waren es persönliche Sympathien oder Feindseligkeiten zwischen den Führern, die für die geschäftlichen Beziehungen der Gasexporteure entscheidend waren. Und spiegelbildlich erschweren diese Feindseligkeiten auch das Geschäftsfeld von Gazprom.

So dachte Turkmenistan all die Jahre seiner Unabhängigkeit über Pläne nach, eine Gaspipeline auf dem Grund des Kaspischen Meeres zu bauen. Das hätte es dem Land erlaubt, seine Energieressourcen nach Europa zu exportieren. Unter Umgehung Russlands. In Aserbaidschan wurden diese Pläne fast 15 Jahre lang nicht diskutiert; das persönliche Misstrauen zwischen dem turkmenischen Präsidenten Saparmurat Nijasow und dem Präsidenten Aserbaidschans, Haidar Aliew, war zu groß.

Jetzt, wo beide gestorben sind, könnte die Idee des Baus einer transkaspischen Gaspipeline realisierbar werden. Was bei Gazprom für Unruhe sorgt. Vor allem deshalb hat Dmitri Medwedjew Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan besucht. Sein wichtigste Ziel war, die drei Staatschefs dazu zu bringen, auf keinen Fall dem Bau einer solchen Gasleitung zuzustimmen und das Projekt "Nabucco", für das vor allem die EU-Staaten werben, zu verhindern.

Der russische Staatschef soll den Kollegen aus Aserbaidschan, Turkmenistan und Kasachstan versprochen haben, dass Gazprom jeden Preis für ihr Gas zahlen würde, wenn sie nur nicht Nabucco zustimmen würden. Auf diese Weise sollten turkmenische und kasachische Kohlenwasserstoffe nur durch die russische "Gazprom-Leitung" nach Europa gelangen, die schon zu Sowjetzeiten "Zentralasien-Zentrum" genannt wurde.

Doch so einfach war die Situation für Medwedjew und Gazprom nicht. Denn die Gesprächspartner des russischen Präsidenten weigerten sich, Nabucco definitiv abzulehnen.

Jedwede Kontakte zwischen Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken sind stets von Emotionen bestimmt. Auf der einen Seite ist es für aserbaidschanische, turkmenische und kasachische Beamte leicht, mit ihren russischen Kollegen zu verhandeln, sprechen sie doch die gleiche Sprache und teilen die sowjetische Mentalität.

Doch ungeachtet dessen fürchten sich die Führer der postsowjetischen Staaten vor Russland. Die Funktionäre aus Baku, Aschgabat und Astana können diese Ängste nicht zugeben, die noch aus Sowjetzeiten stammen. Sie befürchten, dass, wenn sie ihr Öl und Gas nur an Russland, Moskau und Gazprom liefern, auch bald die Zeiten wiederkehren, in denen sie ihre Weisungen von dort erhielten.

In Turkmenistan erzählt man sich eine Anekdote. 2004, nachdem in Russland die Gouverneurswahlen abgeschafft worden waren, berief der mittlerweile verstorbene Präsident Saparmurat Nijasow eine geheime Konferenz ein. Dort wurde erörtert, ob künftig etwa auch der turkmenische Präsident wieder in Moskau ernannt wird. Dies alles passierte, 13 Jahre nachdem Turkmenistan ein unabhängiger Staat geworden war.

Gazprom und die russische Regierung wollen von solchen Befürchtungen der Nachbarn nichts wissen. Gazprom macht sich um sein Image im Osten keine Sorgen. Besorgt ist man vielmehr um das Image im Westen. Jedoch werden auch gerade die Beziehungen zwischen Gazprom und Europa von persönlichen Erniedrigungen, alten Ängsten und seit lange währendem Unverständnis bestimmt.

Zuerst klatschte Europa noch

Die jüngste Geschichte dieser Beziehungen zwischen Gazprom und Europa begann 2005, nachdem Gazprom, BASF und Eon mit dem Segen von Wladimir Putin und Gerhard Schröder vereinbart hatten, die "North Stream" zu bauen, die damals noch "Osteuropäische Gaspipeline" hieß. Während weniger Monate klatschte Europa Beifall, und die Medien schrieben, dass Gazprom für die Energiesicherheit Europas sorge. Doch das dauerte nur bis zum sogenannten Gaskrieg zwischen Russland und der Ukraine.

Paradoxerweise war man bei Gazprom, als geplant wurde, der Ukraine das Gas abzustellen, davon überzeugt, dass der Konflikt mit Kiew das Image des russischen Gasgiganten verbessern würde. Gazprom-Manager gingen davon aus, die Widerspenstigkeit der Ukraine würde Europa demonstrieren, wie wenig verlässliches Kiew als Transitland sei. Dass es unerlässlich sei, die North-Stream-Gaspipeline zu bauen, die Russland und Europa von solchen Transitpartnern unabhängig machen würde.

Doch die Europäer sahen die Sache nicht mit den Augen der Gazprom-Manager, sondern durch die Brille des ukrainischen Verbrauchers. Europäische Medien schrieben, dass Russland so wie mit der Ukraine auch mit Europa verfahren könnte. Diese Reaktion kam für Gazprom völlig unerwartet.

Die britische Firma Centrica verzichtete auf ihren Verkauf an Gazprom. Eon Ruhrgas, der älteste und zuverlässigste deutsche Partner von Gazprom, nahm Abstand davon, im Austausch gegen seine Schulden bei den südrussischen Förderanlagen Gazprom Zugang zu den deutschen Verteilungsnetzen zu gewähren. Und schließlich schwieg Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Putins Appell, eine Energieallianz zwischen Russland und Deutschland zu gründen. Moskau war sichtlich beleidigt. Die Gazprom-Manager befanden, dass Europa undankbar sei und man nicht auf Freundschaft bauen könne.

Seitdem sind die gegenseitigen Beziehungen zwischen Gazprom und der Europäischen Union von Erschütterungen geprägt. Auf der einen Seite setzt sich die EU ernsthaft für das Projekt "Nabucco" ein. Zudem hatte die Europäische Kommission ein Maßnahmenpaket erarbeitet, um den europäischen Energiemarkt zu reformieren. Deshalb muss sich Gazprom, wenn es weiter in Europa tätig sein will, liberalisieren. Gazprom hingegen hat westlichen Firmen den ihnen versprochenen Status als gleichberechtigter Partner in den Förderstätten in der Barentsee wieder entzogen und dann Shell aus dem Sachaliner Projekt verbannt.

Für Gazprom speist sich das Misstrauen Europas nicht aus taktischen Fehlern Gazproms, sondern aus den hinterhältigen Absichten der Europäer. Die Manager des russischen Monopolisten stellten fest, dass es "gute" und "schlechte" Europäer gibt.

Anfang Juli trat Gazprom-Chef Aleksej Miller, der Chef des russischen Energieverbandes RAO EES, in Frankreich auf und stellte fest: "Unter unseren europäischen Partnern denkt die Mehrheit wie wir. Und wir werden unsere Anstrengungen vor allem mit ihnen koordinieren, um die europäischen Beamten davon zu überzeugen, dass man nicht den Ast absägen sollte, auf dem man sitzt. Andernfalls könnte am Horizont bald nicht nur ein Energiedefizit, sondern die Deindustrialisierung des Kontinents auftauchen."

Derartige Drohungen gehören mittlerweile zum Stil des Konzerns. Bei den Geschäftstreffen in Europa propagieren Gazprom-Manager stets: Die Europäer haben keinen anderen Ausweg, als sich in die Arme Russlands zu werfen. Der stellvertretende Vorsitzende von Gazprom, Alexander Medwedjew, lässt sich gern darüber aus, dass künftig weltweit nur drei Länder energiepolitisch unabhängig sein werden: Russland, Iran und Katar. Sie alle besitzen bedeutende Gasvorkommen. Das bedeutet, dass die Experten von Gazprom die Europäer darin bestärken, dass die EU bloß freudig russisches Gas konsumieren soll, weil es ohnehin keine Alternativen gibt. Sollten die Europäer jedoch weiter hartnäckig nach Alternativen suchen, wird Gazprom noch stärker "auf stur stellen".

Die Strategie von Gazprom stößt auch in Russland auf Kritik. So verwies beispielsweise Anatoli Tschubais, der ehemalige Chef der Kooperation PAO EES, in einem Interview mit Financial Times darauf hin, dass es für den Gasmonopolisten darum gehen müsse, seine Tätigkeit innerhalb Russlands zu intensivieren und nicht nach Wegen zu suchen, um im Westen zu expandieren bzw. den Osten unter Kontrolle zu bekommen.

Das weist auf ein Hauptproblem von Gazprom hin: das sinkende Niveau der Förderungen in den russischen Förderstätten. Die Gazprom-Manager geben keine klare Antwort auf die Frage, ob ihre Firma ohne turkmenisches Gas auskommt, wenn das Gas nach Europa exportiert und dabei Russland umgangen wird. Die Bilanz von Gazprom ist geheim, und das nährt einen Verdacht: Sind nicht die Emotionalität und die Empfindlichkeit des Gasmonopolisten ein Anzeichen dafür, dass er doch instabiler und verwundbarer ist, als es den Anschein hat?

Aus dem Russischen von Barbara Oertel

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