Politischer Krimi: Kubanische Fassaden

Unter dem Deckmantel des Kriminalromans dokumentiert Leonardo Padura die kubanische Inselwirklichkeit. Gerade ist sein sechster Roman "Der Nebel von gestern" erschienen.

Einer der bekanntesten Schriftsteller Kubas: Leonardo Padura Bild: unionsverlag

Reichlich gedeckte Tische sind im realen Kuba ausgesprochen selten. Dort regiert seit beinahe zwei Jahrzehnten der Mangel, und die wenigen talentierten Köche der Insel haben es schwer, Zutaten und Gewürze für die klassischen Rezepte der kubanischen Küche zu ergattern. Die werden nur in den wenigen feinen Restaurants, teils staatlich, teils privat angeboten, und in einen solchen "Paladar" schleppt auch Leonardo Paduras Alter Ego Mario Conde seinen besten Freund, den Dünnen, und dessen klapprige Mutter Josefina. Fürstlich bewirten will er die beiden, denn der Frau, die ihn zeitlebens wie einen zweiten Sohn bekocht hat, kann er schließlich nicht das prächtigste Kochbuch, das jemals in Kuba in Druck ging, auf nüchternen Magen überreichen.

Das schickt sich nicht, schließlich gibt es das Ende des Lebensmittelheftchens zu feiern. Die Libreta, das kleine Zuteilungsheftchen, welches seit 1961 in Kuba mehr oder minder bestimmt, was auf den Tisch kommt, hat ausgespielt. Mario Conde, der ehemalige Kommissar, der seit 13 Jahren als Buchhändler seine Pesos Cubanos verdient, ist reich. Er ist mitten in Havanna auf eine Goldader gestoßen. Eine alte herrschaftliche Bibliothek, die überquillt von Erstauflagen, wertvollen Drucken und mit Widmungen versehenen Originalen aus eineinhalb Jahrhunderten kubanischer Geschichte, hat der 48-Jährige in Havannas einst vornehmem Stadtteil Vedado aufgetan. Die Bücher, insgesamt rund 5.000, sind selbst auf Kuba etliche Tausend US-Dollar wert, genug, um den trinkfesten Inspektor a. D. über Jahre hinweg über Wasser zu halten.

Ein triftiger Grund zu feiern, doch so schnell wie der Traum vom Leben in Saus und Braus vor dem inneren Auge Mario Condes auftauchte, so schnell zerplatzt er auch wieder.

Mitten in der prächtigen Bibliothek findet die Polizei eines Nachts den Leichnam von Dionisio Ferrero. Der alternde Revolutionär hatte, gemeinsam mit seiner Schwester Amalia, Conde und seinem finanzstarken Kompagnon die Bücher verkauft. Doch nun machen die Fingerabdrücke und einige fehlende Bücher die beiden Buchhändler zu Verdächtigen. Um sich vom Mordverdacht reinzuwaschen, nimmt Conde im Einvernehmen mit seinem Exkollegen Manuel Palacios die Ermittlungen auf. Doch er beginnt nicht nur in den heruntergekommenen Straßenschluchten des heutigen Havannas, sondern auch in der Welt der Casinos und Bars der 50er Jahre zu ermitteln. Warum? Spürnase Mario Conde ist sich sicher, dass es einen Zusammenhang zwischen dem Mord an dem Altrevolutionär Dionisio Ferrero und dem ungeklärten Mord an der Bolerosängerin Violeta del Río gibt, auf deren Foto Conde in der Bibliothek stieß. Die Frau mit der magischen Stimme verdrehte den Männern gleich reihenweise den Kopf in Havannas Glamour-Clubs Mitte der 50er Jahre. Dann verstarb sie vollkommen unerwartet an einer Portion Zyankali. Grund genug für Conde, steinalte Sängerinnen ausfindig zu machen, ehemalige Stripperinnen und nicht mehr ganz taufrische Musiker auszuquetschen, um mehr über die Frau mit der betörenden Stimme zu erfahren.

In seinem sechsten Roman lässt Padura die späten 50er Jahre auferstehen und seinen Kommissar auf den Spuren von Guillermo Cabrera Infantes "Drei traurige Tiger" wandeln. Die kleine Zeitreise ins vorrevolutionäre Kuba von Meyer Lansky, Lucky Lucianos und Diktator Fulgenico Batista beginnt allerdings im heruntergekommenen Havanna des Jahres 2004, wo die revolutionäre Mangelwirtschaft und nicht der amerikanische Jetset dominiert. Eine Gradwanderung für Padura, die er lange bravourös meistert, bis ihm am Ende die Luft ausgeht. Sein Plot kommt nicht mehr allzu knackig rüber. Das wird den Mann, der in Havannas Stadtteil Mantilla lebt, nicht weiter jucken, denn Padura begreift sich in erster Linie als Chronist der kubanischen Wirklichkeit und erst danach als Kriminalautor. Die realfidelistische Wirklichkeit anno 2004 will Padura seinen Lesern nahebringen, und dabei macht er auch keinen Bogen um den traurigen Mangel in den kubanischen Kochtöpfen. An dem hat sich bis heute nichts geändert.

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