: Reif und bekloppt
Der Kabarettist und Kardiologe Georg Ringsgwandl ist nicht nur in Bayern geboren, er hat auch in Kiel studiert. „Das war haarig“, sagt Ringsgwandl. Trotzdem ist er jetzt wieder auf Tour durch den Norden
von Klaus Irler
Von Garmisch-Partenkirchen im südlichsten Zipfel Bayerns bis nach Bremerhaven ist es ein weiter Weg. Bis Würzburg fährt der Zug problemlos mit Atomstrom. Ab Hessen läuft die Maschine mit Wasserkraft. In Südniedersachsen übernimmt die Windkraft. Von Verden nach Bremen, im Land von Kohl und Pinkel, ist Biogas verfügbar. Und „von Bremen an ging’s nur noch mit der Draisine, per Hand“, sagt Georg Ringsgwandl, der heute 57 Jahre alt wird. Sein Tipp für das strukturschwache Bremerhaven: „Alle Häuser verrammeln und Öl reinfüllen. Auch in die Segelschiffe der Zahnärzte. Überall Öl bunkern.“
Da steht er also, auf der Bühne des voll besetzten Theaters im Fischereihafen in Bremerhaven: Schwarze Gymnastikhose, Turnschuhe, über dem glitzernden grünen Leibchen ein durchsichtiges orangenes Mäntelchen, dazu blauer Schal, rot geschminkte Lippen und ein labbriger Filzhut. Mitten im Gesicht die große Hakennase. Der Schlagzeuger zählt ein, Ringsgwandl zuckt wie eine Marionette unter Strom, wankt vor zum Mikrophon und schreit: „Sog mal, bin i deppert, in einer depperten Welt?“ Das Begrüßungsstück an diesem Abend.
Das alles hat etwas Apokalyptisches: Der durchgeschossene Prophet vom Berg, der seit Jahrhunderten von den Menschen vertrieben wird und nun herausgefunden hat, dass er nur auf einer Bühne in Sicherheit ist. Zutiefst bayerisch, aber doch universell: So könnte der Mythos gehen. Das wäre dann ein Erklärungsversuch mehr in der Phalanx von „ein Geheimtipp der Verirrten“ (Die Zeit) bis zu „ein Otto Waalkes auf LSD“ (Braunschweiger Zeitung).
Letztendlich aber ist Ringsgwandl weder das eine noch das andere, sondern von allem ein bisschen. Als Rapper wird er an diesem Abend in Bremerhaven noch auf die Bühne kommen, als Salon-Chansonier, Opernsänger und Transvestit. „Wurschtig“ sei sein Witz, schrieb einmal ein Journalist in Bayern, und wenn man Ringsgwandl fragt, was wurschtiger Witz ist, dann sagt er: „Vielleicht hat der gemeint, dass es ein Humor ist, der sich nicht an einen bestimmten Glaubenskodex hält. Ein etwas freischlingernder Witz, der eine gewisse generelle Respektlosigkeit in sich hat.“ Und ein Witz, der nicht an den Grenzen Bayerns scheitert: Ringswandl tritt nicht nur regelmäßig im Norden auf, er kennt ihn auch. Mit 22 dachte er sich, seine Persönlichkeit bräuchte es dringend, die „Welt kennen zu lernen“. Also zog er von Bayern nach Kiel, um dort Medizin zu studieren.
„Das war haarig“, sagt Ringsgwandl ungeschminkt bei einer Tasse Tee in der Kantine von Radio Bremen. „Weil der Norden ist ja auch nicht so leicht zugänglich. Der Norden hat eine andere Art von Miteinander-befreundet-Sein: Es dauert lange, bis man Freunde gewinnt, aber die hat man dann fürs ganze Leben. Die pappen dann an einem dran, bis man stirbt. Das ist was Schönes, da oben.“
Ob sie denn auch an der richtigen Stelle lachen, die Norddeutschen? „Das Humorverständnis im Norden ist mir sehr angenehm. Es ist Gott sei Dank so, dass bestimmte Dummbeutel-Kabarettisten, die in Bayern erfolgreich sind, hier nicht in Frage kommen. Das freut mich. Die haben hier einfach einen gepflegteren Witz.“
Ringsgwandl jenseits der Bühne, gekleidet wie ein Lehrer beim Wandertag, mit ein bisschen Duschgel-Duft im Haar, das provoziert mehr noch als bei anderen Künstlern die Frage: Wo hört die Show auf, wo fängt die Person an? Man weiß es nicht. Und wahrscheinlich ist diese Unklarheit der Grund, warum das Fernsehen Ringsgwandl nie sonderlich mochte – zu fein ist bei ihm der Unterschied zwischen Ironie und Ernst, zu irritierend ist, wie wohl er sich fühlt, wenn er „wie ein aufgedrehtes Weib aus einem billigen Puff“ auf der Bühne steht. „‚Sei du selbst‘, heißt es immer wieder“, sagt Ringsgwandl. „Aber wer weiß schon, was das ist. Ich möchte gar nicht wissen, wer ich bin, weil ich vermute, dass das eine absolute Enttäuschung wird, wenn ich das entdecke.“ Also lässt er das Analysieren und probiert stattdessen öffentlich aus.
Dabei hatte er schon mal alles eingetütet in seinem Leben. 1975 promoviert Ringsgwandl zum Dr. med. in Kiel und arbeitet danach als Arzt in München. Hobby: schräge Bühnenshows. Er heiratet, bekommt zwei Kinder und wird Oberarzt für Kardiologie in Garmisch-Partenkirchen. 1993, mit 44 Jahren, kündigt er seine Stelle und macht ausschließlich als Künstler weiter. „Was heißt als Künstler“, sagt Ringsgwandl. „Als Bühnenkasperl.“ Seine Hochphase werden die frühen 1990er Jahre: Ringsgwandl gewinnt Preise, schreibt Musicals und denkt als Gastautor im Spiegel über Michael Jackson nach. Auch in diesem Jahr hat er einen Preis bekommen: Den Prix Pantheon in der Kategorie „reif und bekloppt“.
Im Februar 2006 soll die nächste Platte fertig sein. Die aktuelle Tour dient als Praxistest, um zu vermeiden, dass die Stücke „irreal werden, verquast oder versponnen, oder dass sich der Weltschmerz einschleicht oder die Schlauheit oder irgendeine Botschaft“.
Was wohl schlimmer ist, die bayerische Borniertheit oder die norddeutsche Spießigkeit? „Die bayerische Borniertheit ist grausam, die kann erstickend sein. Aber im Norden kann man natürlich auch verrecken. Wenn man im Urlaub ist, auf Spiekeroog zum Beispiel, wo das Fahrad als frevelhafte technische Errungenschaft gepeitscht wird, weil die Fasanenhennen gerade so gemütlich über die Straße gehen. Und alle gehen mit ihrem Ostfriesennerz spazieren und ermahnen die Kinder regelmäßig zum Zähneputzen – das ist auch eine Art von emotionalem Wärmetod, die sich gewaschen hat. Da ist mir dann das italienische Chaos noch lieber.“
Ein Vorteil, den Ringswandl gegenüber einem Otto Waalkes auf LSD hat, ist der Blick von außen. Und den hat er nicht nur als Bayer im Norden, sondern auch als Bayer in Bayern.
Ringsgwandl im Norden: 22. November, Hannover, Pavillon; 23. November, Lübeck, Kolosseum; 24. November, Kiel, Schloss; 25. November, Hamburg, Fabrik; 12. Januar, Bremen, Bremer Theater