Kunst von Menschen mit "kognitiven Schwierigkeiten": Friedliches Trollen

Ist die Behinderung eines Künstlers ein Kriterium für seine Kunst? Nein, beweist die Ausstellung "Nasen riechen Tulpen - Kunst von besonderen Menschen" im Museum Würth in Künzelsau.

Joachim Hepler: Vogelfries, 1997, bemaltes Wandobjekt aus Holz. Bild: sammlung würth

"Nasen riechen Tulpen" nannte der 1963 geborene Uwe Kächele seine abstrahierende Farbkomposition. Das Gemälde entstand 1999 in der Kreativen Werkstatt Stetten, in deren Ateliers "geistig behinderte" Künstlerinnen und Künstler arbeiten. Doch das sieht man dem Werk nicht an. Mit seiner markanten Ornamentik könnte es - sagen wir - von Penck stammen, dessen aggressiver Unterton ihm allerdings fehlt. Auf der Höhe zeitgenössischer Kunst sind auch die übrigen 80 Exponate der Ausstellung im Museum Würth in Künzelsau, für die Kächeles Arbeit titelgebend war: "Nasen riechen Tulpen - Kunst von besonderen Menschen". Vermutlich hat man lange und etwas ratlos gesucht, bis man eine so allgemeine Charakterisierung der ausgestellten Künstlerinnen und Künstler fand, von denen viele mit Down-Syndrom geboren wurden.

Ein angemessener Begriff fehlt nämlich bis heute, so dass die Katalogtexte dann doch die bisher noch übliche Bezeichnung "geistig behindert" benutzen. Sie scheint aber ebenso untauglich wie die früher übliche Beschreibung von Menschen mit Down-Syndrom als "mongoloid". Denn sie betont einzig die intellektuellen und sprachlichen Defizite. Die Betroffenen selbst empfinden "geistig behindert" als diskriminierend, ihre Selbstorganisation "Mensch zuerst - Netzwerk People First Deutschland e.V. spricht von "Menschen mit Lernschwierigkeiten". "Lebenshilfe e.V. für Menschen mit geistiger Behinderung" räumt ein, dass "geistige Behinderung … vielleicht kein Wort für die Zukunft ist". Es soll etwa durch das Wort "kognitive Schwierigkeiten" präzisiert werden.

Eine brauchbare Charakterisierung müsste jedoch der gesamten Persönlichkeit gerecht werden, denn die unleugbaren Schwächen werden durch überdurchschnittliche Stärken wettgemacht. So zeichnen sich Menschen mit Down-Syndrom durch eine wunderbare Liebenswürdigkeit, Empathie, Lebensfreude und nonverbale Kreativität aus, was das hohe Niveau ihrer Kunstproduktion erklärt. Spätestens die Ausstellung "take off 2008" in Berlin, organisiert von der Bundesvereinigung der Lebenshilfe zu ihrem 50-jährigen Jubiläum und kuratiert von Jean-Christophe Ammann, erregte Aufsehen. In der zweiten großen Schau dieses Jahres zeigt nun das Museum Würth die Highlights der eigenen Sammlung, für die das Sammlerpaar Carmen und Reinhold Würth bisher 200 Arbeiten "besonderer Menschen" ankaufte. Da laut Katalog eines seiner eigenen Kinder in einer betreuten Einrichtung lebt, wurde das Paar früh auf die Kunst dieser Personengruppe aufmerksam.

Ergänzt werden die Gemälde, Skulpturen und Installationen durch Leihgaben aus dem Atelier Goldstein in Frankfurt. Es stellt, wie die mittlerweile über 20 anderen betreuenden Ateliers auch, die professionelle Infrastruktur bereit. Im Goldstein haben fünfzehn ausgewählte Talente ihre Ateliers, und hier beginnt nach der täglichen monotonen Arbeit in einer Behinderten-Werkstatt ihr eigentliches Leben. Durch die kreative Atmosphäre sind viele künstlerisch derart aufgeblüht, dass sie bereits international ausstellen. Die 55-jährige Christa Sauer gehört dazu. In ihrem Atelier bemalt sie riesige Leinwände mit Kreisformen, und das mit exquisitem Farbgefühl und leidenschaftlicher Hingabe.

In Künzelsau ist Christa Sauer mit Sessel und Wandschirm vertreten, auf denen sie ihre abstrakten Markenzeichen variiert. Konfrontiert wird ihr Ensemble mit einer von Christo verpackten Sitzgruppe, wobei Christa eigentlich origineller wirkt als Christo. Auch der 2003 von Rosemarie Hübner gemalte "Pfau", der sein prächtiges Gefieder hinter einem menschlichen Schwellkopf spreizt, kann es spielend mit der ebenfalls rundköpfigen "Dame Blanche" von Jean Dubuffet aufnehmen. Kurzum, es hätte der eingestreuten Werke arrivierter Künstler gar nicht bedurft, um die Güte der Exponate zu beglaubigen.

Man erkennt schnell, dass die meisten Werke keineswegs nur aus dem Bauch heraus, sondern mit Überlegung geplant und geschaffen wurden. Und dass alle Künstler ihren individuellen Stil und individuelle motivische Vorlieben haben. Während bei Birgit Ziegert Mensch und Tier als skurrile, schwarz-weiße Holzskulpturen friedlich nebeneinander trollen, zitiert etwa Heinz Krug gern die alten Meister oder persifliert er sie gar? Sein "Mädchen mit Kirschohrringen" lässt an Vermeer denken und sein "Engel" mit dem unschuldigen Pimmel an Caravaggios "Amor".

So wie die unweit von Künzelsau thronende Madonna von Stuppach hat diejenige des Michael Kuthe einen blauen Mantel, wenn auch einen bescheiden blassblauen. Über allem fliegen die Flugzeuge des Hans-Jörg Georgi. Obwohl aus Pappresten in bizarren Formen gebaut, schafften sie es bis in eine Ausstellung im chinesischen Guangzhou. Nun werden sie durch das Kantinenglas gestoppt, da das Museum in die Würth-Firma integriert ist und sich Angestellte und Besucher mischen.

Während des Rundgangs vergisst man schnell, dass die Kunstwerke von "besonderen Menschen" stammen. Das ist ganz im Sinne der Künstlerinnen und Künstler, die ihre Arbeiten zur Diskussion stellen und nicht ihre Person. Auch Christiane Cuticchio, Leiterin des Ateliers Goldstein, lehnt eine Klassifizierung als Behindertenkunst ab: "Wenn wir sagen, das ist Behindertenkunst, dann müssen wir auch sagen, das ist Kunst von Diabetikern oder Linkshändern. Tun wir das?"

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