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Archiv-Artikel

berliner szenen Abschied von G.

Krähen über dem Grab

Als es am Nachmittag endlich dunkel war, Regentropfen gegen das Fenster prallten, im anderen Zimmer die Pastorale in F-Dur von Bach lief, von der alten, schweren Schallplatte, die ich von C. geerbt hatte, schien alles für einen Moment wieder leicht zu sein. Die Kratzer auf der Platte kannte ich seit 21 Jahren. Ich glaube nicht, dass es mehr geworden sind. Oder die, die dazugekommen sein mögen, bedeuteten nicht viel. Die entscheidenden Kratzer waren immer schon da gewesen, längst waren sie zum Teil der Musik geworden und von ihr nicht mehr zu trennen. Sie nahmen den Schwung der Orgelmusik auf; in dem Sinne, dass die Kratzer die Melodie fortzuführen schienen und in dem Sinne, dass die Pastorale im Kopf entstanden wäre, wenn man zuvor die Kratzer von der Musik gereinigt hätte. Ich dachte an G.'s Beerdigung ein paar Tage zuvor; an die morgendliche S-Bahn-Fahrt und wie man unsicher dagestanden war und später das langsamer werdende Vergehen der Zeit zwischen den Worten gespürt hatte.

Als die Urne in die Erde gelegt wurde, kreiste ein Vogelschwarm über dem Grab. Hast du das auch gesehen? Krähen, sagte später jemand. Obgleich sie alles Jenseitige immer für Augenwischerei gehalten hatte, war G. noch anwesend, und ich versuchte, mich zu erinnern, ob der Vogelschwarm tatsächlich seine Richtung verändert hatte. Das war aber ganz eindeutig; aus dem Pfeil war ein Kreis geworden für einen Moment über ihrem Grab. Später gingen wir wieder flippern. Es regnete ganz angenehm. Wir gingen die Gneisenaustraße Richtung Südstern, nicht ganz gerade, denn M. versuchte so zu gehen, dass sein Regenschirm auch mich vor dem Regen schützte, ich versuchte dagegen, weil mich die Berührung störte, ihm auszuweichen. DETLEF KUHLBRODT