: „Kameras bei Demos schrecken immer ab“
BEWEGUNG Polizei soll bald ohne Anlass Demos filmen dürfen. Absurd, sagt Anja Heinrich vom Bündnis für Versammlungsfreiheit
■ Die Polizei hat bereits in der Vergangenheit ohne Anlass Versammlungen gefilmt, etwa die „Freiheit statt Angst“-Demonstrationen 2009 und 2010. Das war nicht legitim, entschied das Verwaltungsgericht: Eine Rechtsgrundlage dafür gibt es nicht.
■ Diese Grundlage wollen SPD und CDU jetzt schaffen: Dem Gesetzentwurf hat der Rechtsausschuss des Abgeordnetenhauses bereits zugestimmt. Der Innenausschuss wird demnächst darüber beraten.
■ Gegen das Gesetz kämpft das eben gegründete „Berliner Bündnis für Versammlungsfreiheit“, zu dem unter anderen die Humanistische Union, Ver.di, Grüne, Linke und Piraten gehören. (sepu)
taz: Frau Heinrich, Polizeikameras sind bei Demonstrationen doch längst Standard. Warum wehren Sie sich jetzt dagegen?
Anja Heinrich: Bisher darf die Polizei nur dann filmen, wenn es Anhaltspunkte für eine Gefährdung der Sicherheit gibt. Jetzt wollen SPD und CDU ein Gesetz, wonach die Polizei Kameras einsetzen kann, wenn es Größe oder Unübersichtlichkeit einer Versammlung erforderlich machen. Das sind aber völlig unbestimmte Begriffe, die die Polizei nach Gutdünken auslegen kann.
Rot-Schwarz sagt, es gehe ja nur um Übersichtsaufnahmen. Was ist das?
Laut Gesetzgeber sind das Aufnahmen, bei denen keiner individualisierbar ist. Sie würden von so weit weg gemacht, dass einzelne Personen nicht erkennbar seien. Doch beim heutigen Stand der Technik ist jeder identifizierbar – schlichtweg durch Heranzoomen.
Der Polizei geht es um eine bessere Koordination ihrer Einsätze, nicht um die Identifikation Einzelner.
Es gibt bessere Mittel, um Einsätze bei Versammlungen zu lenken. Schon jetzt sind Polizisten mobil und verständigen sich per Funk. Oder sie verschaffen sich ihren Überblick von einem Dach oder einem Hubschrauber aus. Kameras aber haben bei Demonstrationen eine enorme Abschreckungswirkung. Es besteht immer die Gefahr, dass eben doch herangezoomt oder gespeichert wird.
Das Gesetz verbietet die Speicherung der Bilder.
Da bin ich sehr skeptisch. Leider hat die Vergangenheit gezeigt, dass die Polizei solche gesetzlichen Vorgaben oft nicht einhält – Gerichte haben das vielfach festgestellt. Bis vor zwei Jahren hat die Polizei ja sogar permanent Übersichtsaufnahmen gemacht, obwohl es dafür überhaupt keine Rechtsgrundlage gab.
Die SPD will Transparenz gegenüber Demonstranten herstellen, indem filmende Polizisten Warnwesten tragen, auf denen steht: „Hier wird nicht aufgezeichnet.“
Dieser Vorschlag ist völlig absurd. Es heißt ja, die Polizei würde aus so großer Entfernung filmen, dass kein Demonstrant individualisierbar ist. Gleichzeitig soll der Einzelne den Schriftzug auf der Weste des filmenden Beamten entziffern können. Wie passt das zusammen?
■ 28, ist Geschäftsführerin der Humanistischen Union Berlin-Brandenburg.
Die Koalition ist fest entschlossen. Wie wollen Sie dieses Gesetz noch aufhalten?
Die Öffentlichkeit weiß derzeit gar nicht, dass da eine heftige Einschränkung ihrer Versammlungsfreiheit droht. Deshalb wollen wir informieren, mobilisieren und zeigen: Es gibt breiten Widerstand, die Koalition kann das nicht einfach im Stillen verabschieden.
INTERVIEW: SEBASTIAN PUSCHNER