Lehren aus der Bankenkrise: Der absehbare Kollaps

Banken sind weder produktiv noch innovativ. Sie verleihen Geld. Gewaltige Renditen sind nur mit dem Aufbau von Kettenbriefsystemen zu erzielen.

Da hilft auch Beten nicht mehr: Vor der New Yorker Börse. Bild: dpa

Warum immer die Finanzmärkte? Warum platzt so selten eine Spekulationsblase am Kartoffelmarkt? Warum verkalkulieren sich Maschinenbauer selten so, dass der Staat helfen muss, weil sonst das gesamte marktwirtschaftliche System gefährdet ist? Was treibt Scharen scheinbar seriöser Banker und Börsianer dazu, so riskante Geschäfte zu machen, dass sie hinterher alle wie dumme Kinder im Brunnen liegen und nach dem Staat um Hilfe schreien?

Die Erklärungen sind relativ einfach. Zunächst muss man zur Kenntnis nehmen, dass das Finanzsystem fundamental anders funktioniert als die normalen Gütermärkte. Der berühmte Liberale Friedrich August von Hayek hat die Überlegenheit des marktwirtschaftlichen Systems immer damit begründet, dass hier Millionen von Marktteilnehmern zusammentreffen, die alle über unterschiedliche Informationen verfügen, die der Markt dann in einen einheitlichen Preis für ein Gut verwandelt. Keine Regierung dieser Welt sei zu einer solchen Effizienz in der Lage.

Die Kapitalmärkte aber funktionieren anders als der Handel mit Kartoffeln und Maschinen. Dort kommt bei den "wirklich großen Spielen" um Zinsen, Wechselkurse, Aktien, Hauspreise und Rohstoffe eine Handvoll privilegierter Akteure zusammen, die alle nicht mehr wissen, als jede gut informierte Abteilung eines Ministeriums oder einer Zentralbank wissen kann. Alle sind ferngesteuert von ein paar Informationen, die für jeden zugänglich permanent über die Bildschirme jagen und von allen Beteiligten in ähnlicher Weise gedeutet werden. Wenn also bestimmte Ereignisse eintreten wie beispielsweise eine Rohstoffpreishausse, dann springen fast alle Spieler gleichzeitig auf diesen Zug und versuchen sich eine goldene Nase zu verdienen. Das geht genau so lange gut, bis sie den Preis weit weg von dem Wert getrieben haben, den die reale Welt, also die richtigen Menschen, zu zahlen in der Lage sind. Dann aber kollabiert das ganze Spielsystem.

Dieses Spiel wird dadurch noch absurder, dass die gierigen Finanzmarktzocker und ihre Banker alle paar Jahre auf die grandiose Idee kommen, man könne die eigenen Gewinne dadurch so richtig in die Höhe jubeln (auf Herrn Ackermanns berühmte 25 Prozent Eigenkapitalrendite etwa), indem man den Großteil der Spekulation mit Schulden finanziert. Man leiht sich also zu dem Geld, das man ohnehin schon in der Tasche hat, noch viel mehr Geld dazu und investiert es in Anlagen, die eine etwas höhere Rendite erbringen als der Zins, den man den anderen Banken oder den braven Anlegern zahlt. Das ist der große Hebel, mit dem Banken, Hedgefonds und sogenannte Private-Equity-Fonds die Rendite auf das Eigenkapital in ungeahnte Höhen treiben können, wenn sie nur genügend Kredit bekommen.

Würden alle Spekulanten mit dem geliehenen Geld lediglich ins Spielkasino gehen, wäre der Spuk schnell zu Ende. Die extrem einfallslose Methode, die Renditen zu hebeln, funktioniert für das gesamte globale Finanzsystem nur dann eine Weile, wenn alle Spieler bestimmte Objekte finden, bei denen sie sich mit einer gewissen Plausibilität einreden können, sie würden hohe Renditen bei geringem Risiko bieten. So ein Objekt war der amerikanische Häusermarkt in den letzten zehn Jahren. In den Zwanzigerjahren des vergangenen Jahrhunderts übernahmen diese Rolle Aktien neu aufgekommener Konsumgüterhersteller und in den Neunzigerjahren Aktien der Telekommunikation. Sehr oft sind es Währungen, bei denen die Regierungen den Kurs stützen oder die Zinsen hochhalten. Auch Unternehmen mit hohem Eigenkapitalanteil zu kaufen ist beliebt, weil man die Rendite allein dadurch hochjubeln kann, dass man Eigenkapital durch Schulden ersetzt. Letzteres tun sogenannte Private-Equity-Firmen, also Unternehmen, die genau das Gegenteil dessen tun, was ihr Name sagt; sie vermindern nämlich systematisch das Eigenkapital, statt solches zur Verfügung zu stellen. Sobald die Märkte ein solches Objekt der Begierde identifiziert haben, wird eine Art Kettenbriefmechanismus in Gang gesetzt, bei dem jeder versucht, nicht der Letzte in der Kette zu sein.

So primitiv ist das und doch kurzfristig so profitabel. Solange man willfährige "Wissenschaftler" hat, die nichts anderes tun, als die "unbestreitbare Effizienz der Kapitalmärkte" zu loben, solange man Politiker hat, die vor Hochachtung vor den "Werteschaffern" in den Banken in die Knie gehen, solange man eine Öffentlichkeit hat, die sich gerne einreden lässt, man bräuchte eigentlich nicht mehr zu arbeiten und könne mit einem schnellen Geschäft an den Finanzmärkten quasi ohne Risiko reich werden, solange man eine öffentliche Diskussion in den Medien hinbekommt, die den Leuten weismacht, ihre Rente könnte nur mit dem großen Spiel an den Finanzmärkten sicher gemacht werden, so lange wird es immer wieder große Krisen geben.

Was wir nämlich endlich begreifen müssten: Banken produzieren nichts. Die Volksverdummung beginnt schon damit, dass man das, was Banken ihren Kunden anbieten, als "Produkte" bezeichnet. Das klingt gut und seriös und vor allem so, als seien Banken ebenso innovativ wie Produktionsunternehmen und würden alle paar Wochen ein "neues Produkt" auf den Markt werfen. Banken machen aber immer das Gleiche: Sie leihen Geld über relativ kurze Fristen und verleihen es über längere Fristen. Dabei ist Geld zu verdienen, weil die Zinsen für lange Fristen meist höher sind als die für die kurzen. Dabei geht man aber auch ein Risiko ein, weil die pünktliche Rückzahlung von Krediten an die Banken über lange Fristen nie so sicher ist wie die kurzfristige Verpflichtung der Banken gegenüber den Einlegern. Insgesamt ist es ein Geschäft, aber sicher kein Bombengeschäft, bei dem man systematisch und auf längere Zeit Renditen von 25 Prozent erzielen könnte, wie noch immer von der größten deutschen Bank angestrebt.

Ging man in der guten alten Zeit zu einem Bankschalter, hatte man regelmäßig feuchte Hände. Der Mensch hinterm Tresen, der damals "Bankbeamter" hieß, hatte nämlich keineswegs im Sinn, uns die Freuden des Finanzlebens darzubieten, sondern war nur darauf aus, die Gefahren zu beschwören, die allenthalben lauern. "Das ist nichts für Sie", wäre uns bei allen Anlagen beschieden worden, die in irgendeiner Weise mit den wirklichen Finanzmärkten zu tun hatten. Noch schlimmer natürlich, verbunden mit hochnotpeinlichen Befragungen, war es, wenn man Geld wollte.

Wenn ein Anleger in den letzten Jahren zur Bank ging, begegnete er trendigen Damen und Herren, die ihm mit allem Charme der Welt eines ihrer neuesten "Produkte" verkaufen wollten. Sollten es denn 13 Prozent Rendite mit argentinischen Langläufern sein oder doch vielleicht gleich 23 Prozent mit einem ordentlichen Aktienfonds? Auch derjenige, der Geld brauchte, hatte es bei den modernen Banken leicht. Nichts mit hochnotpeinlicher Befragung und Sicherheiten. Einen maßgeschneiderten Finanzierungsplan hatte das junge Bankteam sofort für das junge Unternehmen - mit dem schnellen Gang zur Börse als Krönung. Hatten uns nicht die Wirtschaftspolitiker über Jahrzehnte gepredigt, dass diesem Land der Mut zum Risiko und damit das Risikokapital fehlt?

Das ist nun zu Ende und das ist gut so. In großen Teilen der Finanzwelt war jedes Gefühl dafür verloren gegangen, dass das "Spiel" mit den ersparten Geld von Menschen, die nicht verstehen, was auf den Finanzmärkten geschieht, nicht nur moralisch verwerflich ist, sondern auch wirtschaftlich in eine Krise führen muss, sobald die Wetten in großem Stil nicht aufgehen. Das aber ist immer dann der Fall, wenn irgendwo ein Schock ausgelöst wird, wenn sich die Konjunktur zu überhitzen droht und die Zinsen von den Notenbanken hochgezogen werden - oder wenn die reale Welt einfach nicht mehr mitkommt beim finanziellen Roulette.

Was ist zu tun? Die raschen Interventionen der Zentralbanken waren zwar angebracht, weil sonst weit größere Schäden gedroht hätten. Aber das darf nicht heißen, dass der Staat, nachdem er wieder einmal Banken und andere Spekulanten vor dem Schlimmsten bewahrt hat, zur Tagesordnung übergeht. Damit provoziert er nur die nächste Krise, weil die Spieler im Kasino dann damit rechnen, dass es schon nicht so schlimm kommen wird. Wer, wie die Deutsche Bank, mit 25 Prozent Rendite protzt, dem muss man auch abverlangen, dass er 25 Prozent Verlust hinnimmt, ohne nach dem Staat zu schreien. Schreit er doch und kann der Staat nicht einfach die Augen zumachen, weil eine erhebliche Ansteckungsgefahr für gesunde Institute droht, muss der Staat dem "Institut" schon lange vorher auf die Finger klopfen, nämlich dann, wenn es mit seinem Renditeziel in aller Öffentlichkeit protzt.

Zum anderen muss die Politik beginnen zu verstehen, dass die großen Spiele, die da rund um den Globus gespielt werden, für die reale Wirtschaft vollkommen nutzlos sind. Dass die Hypothek eines amerikanischen Häuslebauers noch 23-mal auf den internationalen Finanzmärkten in der Form irgendwelcher "Produkte" verscherbelt wurde, war ja sogar schädlich für das amerikanische Häuserbauen. Es schien nur eine Zeit lang den Markt zu beflügeln, weil man die Häuslebauer im Unklaren über ihre Zinsbelastung gelassen und die Anleger hinsichtlich der zu erzielenden Rendite systematisch getäuscht hat. Spiele am Devisenmarkt sind in aller Regel unmittelbar und in massiver Weise schädlich für die reale Wirtschaft, weil sie die Wechselkurse ebenso systematisch in die falsche Richtung treiben.

Kredit für die wirklich investierenden Unternehmen können auch Banken schaffen, die sich solcher Kasinoaktivitäten vollständig enthalten. Man sollte nicht vergessen, dass es zu Zeiten des deutschen Wirtschaftswunders noch selbstverständlich war, das Zinsgebahren der Banken streng zu kontrollieren. Auch ein Land wie China hat sein noch größeres Wirtschaftswunder bei strenger Kontrolle des Staates über Soll- und Habenzinsen geschafft. Begreifen kompetente Wirtschafts- und Finanzpolitiker nun solche Zusammenhänge wieder, ist es ein Leichtes, die eklatanten regulatorischen Lücken zu schließen.

Auch die Lücken in der internationalen Finanzaufsicht sind offensichtlich. Die besten Vorschriften über die Hinterlegung von Bankaktivitäten mit Eigenkapital, wie sie beispielsweise bei der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich formuliert werden, nutzen nichts, wenn die Einschätzung von Risiken allein einer kleinen Gruppe von Ratingagenturen überlassen wird, die wiederum wegen Unfähigkeit oder Unwissen die wildesten Derivatkonstruktionen mit hohen Qualitätsmerkmalen versehen. Auch hier müssen die staatlichen Organe selbst Hand anlegen und dafür sorgen, dass solche Ratings von nicht interessengebundenen Institutionen wie einer Finanzaufsicht kritisch überprüft und nötigenfalls korrigiert werden. Jedes medizinische oder chemische Produkt wird von staatlichen Aufsichtsbehörden genehmigt, nur "finanzielle Massenvernichtungswaffen" (Warren Buffet) darf jeder vertreiben, ohne dass der Staat einschreitet. Schließlich muss das größte Kasino, dasjenige, in dem internationale Währungen gehandelt werden, schlicht geschlossen werden. Es geht weniger denn je an, dass der wichtigste Preis einer Volkswirtschaft, der Wechselkurs, den kurzfristigen Gewinninteressen internationaler Spekulanten und Finanzhaie überlassen wird.

Insgesamt gesehen ist es einfach: Finanzmärkte braucht man, aber man muss sich darüber im Klaren sein, dass sie massiv reguliert werden müssen. Denn sie erzeugen gefährliche Spielzeuge, indem Leute in ihrer Gier nach kurzfristigem Gewinn auf unverantwortliche Weise mit dem Geld anderer Leute spekulieren in der Hoffnung, dass es genügend Dumme auf der Welt gibt, die nicht merken, wie sie von smarten Bankern über den Tisch gezogen werden.

In Zukunft muss jedes Prahlen mit extremen Renditen von der Finanzaufsicht, den Finanzministerien und den Zentralbanken sofort zum Anlass genommen werden zu prüfen, zu wessen Lasten die übermäßigen Gewinne des betreffenden Finanzinstituts gehen. Auch für die Gehälter von Vorständen und Aufsichtsräten müssen staatlicherseits Grenzen gesetzt werden, weil es ja offensichtlich ist, dass diese Vorstände und Aufsichtsräte systematisch eine Beteiligung des Staates an den Verlusten erwarten. Wäre das nicht so, würden sie viel gründlicher prüfen, woher ihre Gewinne kommen und mit welchen Risiken sie behaftet sind.

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