: Stuttgart 21 kurz vorm Abflug
PROBLEME Internes Papier aus dem Bundesverkehrsministerium: Experten bezweifeln, dass die Bahn mit den steigenden Kosten fertig werden kann. Kritiker sehen sich bestätigt
■ Bauherr von Stuttgart 21 ist die Deutsche Bahn. Weil die der Bundesrepublik Deutschland gehört, wäre das Projekt am Ende, wenn Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer (CSU) oder Kanzlerin Angela Merkel eine entsprechende Entscheidung dazu treffen.
■ Allerdings könnten die vom Bund entsandten Vertreter im Aufsichtsrat der Bahn auch autonom gegen weitere Finanzmittel für Stuttgart 21 stimmen. Ebenso könnten die Arbeitnehmervertreter im Aufsichtrat weitere Mittel für Stuttgart 21 ablehnen, sie haben aber keine Mehrheit.
■ Die anderen Projektpartner, die Stadt Stuttgart, das Land Baden-Württemberg und der Verband Region Stuttgart, müssen mit der Bahn nur über eine weitere Kostenübernahme sprechen. Finanziert ist Stuttgart 21 bis 4,5 Milliarden Euro, die Bahn geht mittlerweile von 6,8 Milliarden aus.
VON INGO ARZT UND HANNA GERSMANN
Also doch oben bleiben? Wird der Stuttgarter Bahnknoten doch nicht in 32 Kilometer lange Tunnel unter die Erde verlegt? Bürger haben jahrelang protestiert, das Großbauprojekt Stuttgart 21 konnten sie aber nicht aufhalten. Jetzt könnten Mitarbeiter von Bundesverkehrsminister Peter Ramsauer den Ausschlag geben.
Dienstag. Ramsauer selbst ist auf einer Wirtschaftskonferenz in Bagdad. Via Stuttgarter Zeitung wird aus seinem Hause ein internes Dossier bekannt: Der Bund sehe keine ausreichende Grundlage für die Fortsetzung des Bahnhofsprojekts. Die Argumente für eine weitere Finanzierung seien zu schwach. Mittlerweile kostet Stuttgart 21 auch offiziell mindestens 6,8 Milliarden Euro. Das Projekt werde zudem frühestens im Jahr 2024 fertig, statt 2020. Der Bund wolle im Aufsichtrat der Bahn auf Alternativen drängen. Der Aufsichtsrat hält an diesem Tag einen „Workshop“ zum Thema Stuttgart 21 ab, für den das Ministerium das interne Papier erstellt hat.
Ramsauer muss reagieren und sagt einem ZDF-Reporter im Irak: „Das ist Quatsch.“ Seine Presseleute in Berlin erklären: „Es geht bei dem Dossier um alle hinlänglich bekannten Fakten und Probleme.“ Und: „Dem Bund geht es um eine offene Debatte. Dies bedeutet aber kein „Abrücken vom Vorhaben selbst“. Sowie: „Wir fragen als Eigentümer der Bahn nur, wie sie mit den Kostensteigerungen klar kommen will“.
Es ist nicht das erste Mal, dass der CSU-Mann Ramsauer kritische Positionen zu Stuttgart 21 links liegen lassen möchte. Schon vor gut zwei Jahren kam das Umweltbundesamt in einer Studie zur Finanzierung des Schienenverkehrs zu dem Ergebnis, Stuttgart 21 sei „von geringem verkehrlichen Nutzen“, die „Beibehaltung des Kopfbahnhofes“ sei die bessere Alternative. Ramsauer zeigte sich damals empört.
Macht der Verkehrsminister überhaupt seinen Job? Der verkehrspolitische Sprecher der SPD, Sören Bartol, wirft Ramsauer vor, sich nicht richtig mit den Fakten auseinandergesetzt zu haben. Er müsse ernst nehmen, was ihm sein Ministerium aufgeschrieben hat.
Die SPD selbst hat das Milliardenvorhaben bislang befürwortet. Bartol meinte aber am Dienstag: „Wir wissen zu wenig über die neuen Kostensteigerungen des Projekts, wir brauchen mehr Daten, die muss die Bahn nun liefern.“ Wenn das Ganze so unwirtschaftlich sei, wie es nun aussehe, „würde der Aufsichtsrat der Bahn mit einer Zustimmung grob fahrlässig handeln.“
Das sieht Toni Hofreiter genauso. Der Grüne ist Vorsitzender des Verkehrsausschusses im Bundestag. „Die Aufsichtsräte machen sich haftbar, wenn sie einer Fortsetzung von Stuttgart 21 zustimmen“, sagte er der taz. Hintergrund: Laut dem Papier aus dem Verkehrsministerium könnte es zu einer negativen Kapitalverzinsung für die Bahn kommen. Stuttgart 21 wäre also angesichts der Mehrkosten für das staatseigene Unternehmen ein Verlustgeschäft. Der Rechtsanwalt und Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21, Eisenhart von Loeper, geht sogar noch weiter: Sollten die Aufsichtsräte einer weiteren Kostenübernahme durch die Bahn zustimmen, seien sie verpflichtet, auch externe Expertisen einzuholen und sich nicht blind auf die Angaben der Bahn zu verlassen. „Das kann sonst durchaus den Straftatbestand der Untreue erfüllen“, sagt er.
SPD-Sprecher Sören Bartol
Derartige Warnungen von Projektgegnern und Grünen überraschen kaum. Aber selbst in der CDU kommen Zweifel auf. Zumindest hinter vorgehaltener Hand ist von „großer Verunsicherung“ angesichts der Zahlen die Rede. Zwar stehe man nach wie vor geschlossen zu dem Projekt, sagte ein Bundestagsabgeordneter der CDU aus Baden-Württemberg der taz. „Allerdings fragt man sich, auch nach den Erfahrungen mit dem Berliner Flughafen, ob die Zahlen, die den Politikern vorgelegt werden, tatsächlich stichhaltig sind.“
Bahnchef Rüdiger Grube wollte bisher nie vom Umbau abweichen. Teuer würde ein Ausstieg in erster Linie für die Bahn. Dabei wären die bereits vergebenen Bauaufträge nicht das Hauptproblem: Da müsste das Unternehmen nur die bereits entstandenen Kosten erstatten. Richtig schmerzhaft würde es aber für die Bahn, wenn sie die 460 Millionen Euro mit Zinsen zurückzahlen müsste, die ihr Stuttgart bereits vor elf Jahren für jene Grundstücke überwiesen hatte, die durch das Projekt frei werden sollten.
Kanzlerin Angela Merkel hat sich im Landtagswahlkampf im Herbst 2010 klar hinter Stuttgart 21 gestellt, um ihren Parteikollegen Stefan Mappus zu stützen. Nun trauen ihr in Berlin viele zu, den Kurs zu ändern. Ein Blick auf die desaströsen Beliebtheitswerte des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit wegen der Berliner Flughafentragödie könnte Merkel zu einem schnellen Ende von Stuttgart 21 bewegen.