Bankenkrise bedroht Non-Profit-Organisationen: Weniger Geld für Harlems Kinder

Drei Millionen von Lehman Brothers, 500 000 Dollar von Bear Stearns: New Yorks Wohltätigkeitsorganisationen wurden von Wall-Street Unternehmen gesponsert. Was nun?

Als Geldquelle auch für Soziales weg: Das Bankhaus Lehman Brothers Bild: dpa

Es fällt Irene Baldwin schwer, an der derzeitigen Lage noch irgendetwas zu finden, was Hoffnung macht. "Es ist ein GAU für uns", sagt die Direktorin der Association for Neighborhood and Housing Development, einer Organisation, die sich in New York für die Umwandlung von Slums in gepflegte Wohngegenden für untere Einkommensschichten einsetzt. Baldwin spricht von der Krise an der Wall Street und deren Auswirkungen auf ihre Arbeit: "Wir stehen unter doppeltem Beschuss. Die öffentliche Förderung versiegt, weil die Steuermittel abnehmen. Und Spenden aus der freien Wirtschaft bleiben auch aus." Ehrlich gesagt, so Baldwin, wisse sie nicht so recht, wie es weitergehen soll.

Die Fördermittel von der öffentlichen Hand, die 30 Prozent von Baldwins Haushalt ausmachen, sind in Erwartung schwererer Zeiten bereits im laufenden Jahr zusammengestrichen worden, erzählt sie. Weitere erhebliche Kürzungen im nächsten Haushaltsjahr sind geplant. Die 70 Prozent aus privaten Stiftungsmitteln, dessen ist sie sich sicher, werden diesem Abwärtstrend folgen. Die New Yorker Finanz ist der potenteste Wirtschaftszweig der Stadt sowie der großzügigste Spender. Und mit deren schwerer Krise werden die Zeiten für gemeinnützige Organisationen hart. "Wir werden sowohl von der Wachovia Bank als auch von der Citibank mit je 250.000 Dollar gefördert", nennt Baldwin ein Beispiel. Jetzt, da die bankrotte Wachovia von Citi gekauft worden ist, werden sich die Einnahmen aus dieser Ecke wohl mindestens halbieren.

An Initiativen wie der von Irene Baldwin wird besonders drastisch deutlich, was die Finanzkrise für die Stadt New York bedeutet. Die Association for Neighborhood and Housing Development ist dafür verantwortlich, dass man in Gegenden wie der South Bronx heute wieder würdevoll leben kann. Nach der Krise der 70er-Jahre hat die Association hier verfallene Wohnblocks wieder aufgebaut und mit dafür gesorgt, dass die Grundversorgung mit Schulen, Polizei und Müllabfuhr zurückkehrt und dass Familien die Drogengangs wieder verdrängen. Jetzt sei all das in Gefahr. "Wenn wir dort die Wohnanlagen nicht mehr instand halten und keine sozialen Dienste mehr anbieten können, dann wird ganz schnell die gesamte Arbeit der vergangenen dreißig Jahre zunichtegemacht." Die South Bronx könnte schon bald wieder brennen.

Die Organisation von Irene Baldwin ist "non-profit", was mit "gemeinnützig" nur ungenügend übersetzt ist. "Non-Profits" spielen in den USA eine zentrale gesellschaftliche Rolle, sie übernehmen wichtige soziale Funktionen, die in europäischen Ländern dem Staat obliegen: Sozialdienste aller Art von Seniorenbetreuung bis zur Einwandererhilfe, Krankenhäuser, Kunststiftungen, Schulen und Bildungsinitiativen - all das gehört zum Non-Profit-Sektor. "Die regionalen und lokalen Regierungen bezuschussen zwar diese Organisationen", erläutert Michael Clark vom Koordinationskomitee New Yorker Non-Profit-Organisationen. Sie sind jedoch private Körperschaften und daher für ihr Überleben letztlich selbst verantwortlich.

Deshalb sind diese Organisationen, ohne die kein Gemeinwesen in den USA funktioniert, von der Finanzkrise nun auch bedroht. Eine potenzielle Katastrophe für eine Stadt wie New York. "Jeder New Yorker kommt in seinem Alltag mit einer Vielzahl von Non-Profits in Berührung", sagt Michael Clark. "Wir werden das alle sehr schnell spüren." So hatte etwa die Non-Profit-Organisation Citymeals, die Mahlzeiten an die Armen der Stadt verteilte, jährlich 500.000 Dollar vom nunmehr aufgelösten Investmenthaus Bear Stearns erhalten. Die "Harlem Childrens Zone" eine Förderorganisation für Ghettokinder, hatte 3 Millionen vom Bankhaus Lehman Brothers bekommen. Lehman ist seit 14 Tagen bankrott. Auch das Krankenhaus für Spezialchirurgie wurde im vergangenen Jahr mit einer Million von der Lehman-Stiftung gefördert. Opportunities for Better Tomorrow, eine Organisation für benachteiligte Kinder und Erwachsene, hatte pro Jahr 75.000 Dollar von Lehman erhalten.

Die größte Tragödie an der Entwicklung ist jedoch, dass die Mittel für soziale Leistungen genau in dem Augenblick knapp werden, in dem diese Leistungen am dringendsten benötigt werden. New York steht aufgrund der Finanzkrise vor einem sozialen Fiasko: "An jeder Wall-Street-Existenz hängen in New York drei andere Existenzen", sagt Gordon Campbell, Direktor der Sozialinitiative United Way. Eine Katastrophe angesichts der schätzungsweise 180.000 Arbeitsplätze, die 2008 im Finanzsektor voraussichtlich verloren gehen.

In einer Stadt, in der ohnehin 1,5 Millionen Menschen unter der Armutsgrenze leben, kommen auf Organisationen wie United Way überwältigende Aufgaben zu. "Wir können auf keinen Fall so weitermachen wie bisher", sagt Campbell, der bislang jährlich 115 Millionen Dollar zur Verfügung hatte. Seine Ziele, wie den Anteil der Familien in der Stadt, die sozial stabil sind, um 30 Prozent zu steigern, will er zwar noch immer nicht aufgeben, "aber wir müssen wohl unsere Strategien gründlich überdenken".

Etwas Positives, so Campbell habe die Krise trotz allem für seine Arbeit: "In Zeiten wie diesen rücken die New Yorker enger zusammen und sorgen sich umeinander. Ich rechne damit, dass wir auf deutlich mehr Freiwillige zurückgreifen können als in guten Zeiten." Es ist ein schwacher Trost. Aber immerhin ein Trost.

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