Eine Schweizerin im Himmel: Vom Warten auf Zeichen und Wunder

Ordensgründerin und Missionarin Maria Bernarda Bütler ist die erste Eidgenossin, die am Sonntag heiliggesprochen wird - und eine ganze Gemeinde ist im Aufruhr.

Sie wird gefeiert wie ein Popstar: Maria Bernarda Bütler auf einem undadierten Porträt. Bild: dpa

Der Vorgang: Viele Katholiken führen ein gottgefälliges Leben, doch nur den wenigsten wird die Ehre der Kanonisierung zuteil, und heilig zu werden ist nicht einfach. Zuerst wird der oder die KandidatIn selig-, anschließend heiliggesprochen. Ein Aktor, meistens eine Diözese, stellt den Antrag, worauf ein Postulator Nachforschungen über den/die DienerIn Gottes anstellt. Dem Gesuch muss ein historisch einwandfreier Lebenslauf beigelegt werden, der das tugendhafte Leben nachweist. Nun wird untersucht, ob die "fama sanctitatis et elenchus" (der Ruf der Heiligkeit und eines vorbildlichen Lebens) einer Nachprüfung standhält. Außergewöhnliche Vorkommnisse - zumeist ein Heilungswunder - bestätigen dies.

Wer spricht heilig? Das letzte Wort hat seit 1634 bei einer Heiligsprechung immer der Papst.

Das Dorf Auw, mitten im Schweizer Kanton Aargau - Rosmarie Wicki-Bütler, 78, öffnet die Tür und lässt im Wohnzimmer Platz nehmen, will aber auf den Junior warten. Als dieser kommt, springt man auf, will sich vorstellen, bekommt stattdessen einen Balken in die Hand. Der soll die Decke halten, des einzigen Zimmers im sanierten Bauernhaus, das wieder auf Alt renoviert wird.

Es ist das Geburtszimmer einer Schweizer Bauerntochter mit Taufnamen Verena, geboren 1848 als Maria Bernarda, 1924 gestorben. Sie ist die Großtante von Rosmarie Wicki-Bütler und wird am Sonntag vom Papst heiliggesprochen - als erste Dame im Kanon der Schweizer Heiligen. Deswegen sind die Menschen in der Gemeinde Auw ganz aufgeregt und organisierten gemeinsam mit der Kirchenpflege und Schwester Konzilia eine Pilgerreise nach Rom und eine Feier im Ort. Das gesamte Dorf reist dieses Wochenende nach Rom zur Heiligsprechung, um "ihre Heilige" zu würdigen.

Die Karriere von Maria Bernarda ist steil: erst 1924 gestorben, Seligsprechungsprozess seit 1948, Mitte der Neunziger dann seliggesprochen und bereits sieben Jahrzehnte nach ihrem Tod im Kanon der Heiligen. Chapeau, ihre ausländischen Konkurrentinnen warteten im Schnitt weitaus länger auf ihre Heiligsprechung.

Wer war Schwester Maria?

Die Nonne wurde in eine unruhige Zeit geboren, in der die Erinnerungen an die jüngst ausgetragenen Glaubenskämpfe noch frisch waren. Hier katholisch, jenseits der Kantonsgrenzen reformiert. Im Jahr 1888 reiste sie zuerst nach Ecuador und von dort nach Kolumbien und missionierte leidenschaftlich. Sie gründete die Kongregation der Franziskanischen Missionsschwestern von Maria-Hilf, diese wiederum weitere Niederlassungen in zehn Ländern und drei Kontinenten. Die Spezialgebiete der Mission: Kindererziehung und Krankenpflege. Schließlich, so die Rhetorik auf einem Kirchen-Blog, begab sich Bernarda in "arbeitsreiche Missionsgefilde". Ihre Notizen aus jener Zeit lesen sich aus Perspektive der Ordensschwester wie ein Abenteuer - auf der mehrwöchigen Reise nach Südamerika verletzt sie sich hoch zu Pferd das Knie - oder als Drohung für die Dortigen: Denn von denen wusste man, dass "Raub und Mord, Gottlosigkeit und Aberglaube drohen das Land dem Heidentum auszuliefern".

Vorgesetzte und spirituelle Begleiter beschrieben Bernarda als wahre "biblische Frau" mit ungeheurem Eifer und Liebe zu den Armen. Mindestens zwei Wunder gehen auf das Konto von Maria Bernarda, erklärt der Pfarrer in Auw, der extra für die Heiligsprechung seine Pensionierung um ein Jahr verschob. Der Status deute sich bereits beim Begräbnis an - bei Bernardas in Kolumbien kamen Tausende Gläubige zum letzten Geleit.

Der Seligsprechungsprozess wurde darauf eingeleitet, Bernardas Tugendleben peinlich genau untersucht. Ein Kirchengesetz von 1588 definiert die Kriterien zur Beförderung in den Heiligenstand: Übte sie die Tugenden - Glaube, Hoffnung, Liebe sowie Wahrhaftigkeit, Tapferkeit und Gerechtigkeit - heroisch aus? Zeugen und Beweise verlangten die dafür eingesetzten Consultoren, der Vatikan kontrollierte anschließend das Dossier.

Dann wartete man auf ein Wunder. "Ein himmlisches Wunder", wie der Pfarrer nachdrücklich betont. Und so geschah es dann auch.

Das erste ereignete sich in einer Nacht im August 1967 in Kolumbien und heilte Liliana Sanchez von einem - wie die Ärzte meinten - unheilbaren Gehirntumor. Die Eltern sprachen dennoch für die kranke Liliana Fürbitten auf Bernarda und legten ein Stoffstück ihres Kleides auf ihren Kopf. Am nächsten Morgen waren sowohl Reliquie als auch Tumor weg. Und Maria Bernarda konnte seliggesprochen werden. "Pfarrer Brunner, wie konnte das passieren?" Der 76-Jährige zuckt verlegen mit den Achseln und erzählt eilig vom zweiten, das erst vor sechs Jahren ebenfalls in Kolumbien geschah und Bernarda endgültig als Heilige klassifiziert: Mirna Yazime Correa, 27, kolumbianische Ärztin erkrankt an einem unheilbaren Lungenleiden. Die Fürbitte an Bernarda sind den Eltern letzte Hoffnung. Und tatsächlich, innerhalb weniger Wochen wird Mirna gesund. "Tatsächlich geschehen also noch Wunder?" "Ja!", freut sich der Pfarrer und gesteht im selben Atemzug seine Erleichterung, dass das zweite Wunder einer Ärztin passierte, das spreche für die Glaubwürdigkeit.

Doch der Pfarrer braucht sich nicht zu sorgen, ein Gremium mit sieben Ärzten erkannte an, dass die Kranke auf "wundersame Weise" gesundete. Rom prüfte die Akten und bestätigte. Bis vor 1983 hätte ein Wunder für die Heiligsprechung nicht genügt, Papst Johannes Paul II. aber reduzierte das Soll von drei auf ein einziges.

Gespannt wird jetzt die Feier erwartet, im Wirtshaus Hirschen spricht man bereits darüber. Dort sitzen Herr und Frau Kühne aus Baar zufrieden bei einer Portion Pommes. Heute besuchen die beiden Pensionäre das Altersheim in Auw, erzählt Frau Kühne stolz. Sie hat eine besondere Beziehung zu den Maria-Hilf-Schwestern. Ja, die Seligsprechung 1995, "Jecker, war das schön!", strahlt sie. Jetzt freut sie sich auf die Heiligsprechung, obwohl sie bedauert, nicht nach Rom mitzufahren. Die ehemalige Wirtin, direkteste Nachfahrin der bald Heiligen, setzt sich zu dem Paar. Ihr Mann erlitt einen Schlaganfall und es ist unsicher, ob er mitkann.

Verglichen mit der südamerikanischen Euphorie ist die Aufregung in Auw bescheiden. Im kolumbianischen Cartagena, wo Bernarda zeit ihres Lebens wirkte und starb, werde sie wie ein Popstar gefeiert, erzählt Pfarrer Brunner. Auch der Gemeindeschreiber ist beeindruckt. Die unsicherste Variable für das Organisationskomitee sind dann auch die Nonnen, die aus Cartagena anreisen werden. Mehr als 350 sollen kommen. So genau weiß man das aber nicht. Nur, dass sie die Gelegenheit für eine kleine Europareise nutzen: Neben Rom und Auw steht der Vorarlberg auf dem Programm, eine weitere Filiale der Franziskaner-Mission von Bernarda.

Und zur Feier in Cartagena im November werden zwei Gemeindemitglieder von Auw anreisen müssen - das werde wohl so erwartet, meint der Gemeindeschreiber etwas verunsichert.

Er zieht ein paar Meter Papier mit einem Stammbaum aus der Schublade, auf dem er minutiös die weit verzweigte Familie Bütler zu rekonstruieren versuchte. Sein Werk ist nicht ganz so hübsch wie jener aufwändig verzierte Stammbaum im Wirtshaus Hirschen. Dafür garantiert offiziell, und war außerdem ein mühseliges Unterfangen: Seit die Zivilstandsämter regionalisiert wurden, musste er bei jedem Amt separat anfragen und um Erlaubnis bitten. Der Datenschutz sprach sich zwar dagegen aus, aber der Gemeindeschreiber war hartnäckig. Schließlich sei das ein Ereignis "nationaler Bedeutung". Sein Werk verstaut er wieder in seiner Schublade, die Daten bleiben geheim und werden höchstens dem Orden weitergegeben.

Eine Frau - ein Dorf

Seit Ankündigung der Heiligsprechung ist in Auw nichts mehr so, wie es einmal war. Zwar wirkt die schweizerische Euphorie bescheiden, immerhin änderte aber die Gemeinde die einfallslose Altersheimstraße nach der Seligsprechung in die spektakulärere Maria-Bernarda-Straße. Noch ist kein Kredit gesprochen, wohl aber ein Pilgerweg - oder moderner: Besinnungsweg - geplant. All dies zu Ehren der Seligen, die einst äußerst zufrieden ihr Dorf als fromm beschrieb: "Im ganzen Dorf und im weiten Umkreis war kein Andersgläubiger zu treffen außer einem jüdischen Krämer." Und der Pfarrer, der über fehlenden Nachwuchs klagt, prophezeit wenigstens den Schwestern der von Maria Bernarda gegründeten Mission blühenden Nachwuchs. Die Heiligsprechung werde Auftrieb geben, da ist er sich sicher. Immerhin bekam er dank ihr seine Kirche in letzter Zeit ein bisschen voller.

Im Geburtshaus herrscht derweil immer noch Hektik. Der Balken ist montiert, der Besuch nochmals in die Stube gebeten, Kerzen mit Bernardas Antlitz, computermontierte Bilder der Nonne, eine Kopie des Taufscheins und der Firmurkunde präsentiert. Rosmarie Wicki-Bütler breitet zusammengeklebte Farbausdrucke der Website www.maria-bernarda.ch aus. Beim Abschied lacht sie nervös: "Ui Jesses, jetzt haben auch Sie vom Bernarda-Staub erwischt!", und klopft ungeschickt auf meinen Mantel. Das sei gerade auch zwei Nonnen, die zu Besuch waren, passiert. Ein göttliches Zeichen? Sie grinst: "Nun ja, vielleicht bringt es Ihnen ja Glück."

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