Kiezstreife: "Egal, was wir tun, es gefällt nicht"

Es wird noch dauern, bis die Bürger den Sinn der Kiezstreifen begreifen, glaubt Pankows Ordnungsstadtrat Jens-Holger Kirchner (Grüne). In Prenzlauer Berg fordern Anwohner mehr Kontrollen, von denen sie aber nicht betroffen sein wollen

taz: Herr Kirchner, seit vier Jahren gibt es die Kiezstreifen. Was für eine Idee steckt dahinter?

Jens-Holger Kirchner: Die Kiezstreifen sollen den Bürgern durch Kontrollen das Gefühl vermitteln, dass sie im öffentlichen Raum nicht tun können, was sie wollen. Die Bürger sollten dadurch aber auch motiviert werden, Verantwortung für das Miteinander zu übernehmen. Dabei geht es um Dinge wie mehr Sauberkeit und gegenseitige Rücksichtsnahme und darum, dass Regeln eingehalten werden.

Was für Erfolge sind erzielt worden?

Vier Jahre reichen nicht aus, um so einen Gedanken umzusetzen. Das wird noch eine ganze Weile dauern.

Also Planziel verfehlt?

Die eine oder andere Dreckecke des Bezirks haben wir immerhin beseitigt. Aber es ist ein ziemlich mühseliger Prozess. Um ein Bespiel zu nennen: Meine Mitarbeiter haben die Anrainer einer Kleingartenkolonie im Norden von Pankow in Einzelgesprächen zu überzeugen versucht, dass sie ihren Müll nicht mehr rund um die Laubenkolonie entsorgen. Vergebens. Weiterhin werden Gartenabfälle, Hausmüll, ausrangierte Kühlschränke und Sofas unverfroren an den Straßenrand gestellt. Das ist es, was ich meine. Auf Kosten der Allgemeinheit wird sich nicht an Regeln gehalten.

Wie erklären Sie sich so ein Verhalten?

Das ist nicht zu erklären. Egal, was wir tun, es gefällt den Leuten nicht. Und wenn wir nichts tun, gefällt es den Menschen auch nicht. Wir sind immer die Bösen. Wenn wir Radfahrer auf Gehwegen kontrollieren, heißt es, kümmert euch gefälligst um die Autofahrer. Die Autofahrer sagen, kümmert euch um die Radfahrer. Wenn wir Leute bei der illegalen Müllentsorgung erwischen, heißt es, kümmert euch um die Hundehalter. Bei den Leuten herrscht zunehmend die Einstellung vor, sie brauchen sich um nichts zu kümmern, die Ordnungsämter richten es schon.

Das klingt so, als wäre das Ganze voll nach hinten losgegangen.

Wenn es die Ordnungsämter nicht gäbe, würde es noch versiffter aussehen. Aber es ist schon manchmal frustrierend. Eine Zeitung hat mal geschrieben: "Wie Boote auf offener See bewegen sich die Kiezstreifen durch den Kiez. Da, wo sie entlangpflügen, sorgen sie in einem schmalen Streifen für Ordnung, während rundherum jeder macht, was er will. Haben sie sich entfernt, verliert sich ihre Spur genauso schnell, wie die der Schiffe im Meer". Besser kann man es kaum formulieren.

Einige Bezirksbürgermeister fordern mehr Personal. Sie auch?

Mit 40 Außendienstmitarbeitern in einem Bezirk wie Pankow ist nicht viel auszurichten. Umgekehrt kann es aber auch nicht das Ziel sein, an jeder Ecke eine Kiezstreife zu postieren. Daher setzen wir auf Selbstverantwortung für das Gemeinwesen. Das Paradoxe ist: Wir haben es mit Leuten zu tun, die Freiheiten durchaus zu schätzen wissen und auch dafür einstehen. Das ist gerade im südlichen Teil des Bezirks ein Riesenproblem.

In Prenzlauer Berg wohnen auffällig viele Grün-Wähler.

Ich nenne nenne das immer libertär. Diese Leute können sehr rabiat werden, wenn in ihrem unmittelbaren Wohnumfeld etwas Illegales passiert. Sie fordern, dass sich das Ordnungsamt auf die Lauer legt oder Kameras installiert, um den Übeltäter zu fassen. Die gleichen Leute demonstrieren am nächsten Tag für die Grundrechte.

Gibt es denn noch andere Beispiele?

Wir haben vor der Grundschule am Kollwitzplatz zu Schulbeginn eine Aktion zur Verkehrssicherheit gemacht. Eltern haben an Kraftfahrer Zettel verteilt, "Bitte parkt nicht immer vor der Schule". Zwei Tage später hat das Ordnungsamt vor der Schule in echt kontrolliert. Das Ergebnis war, dass brüllende Väter im Ordnungsamt standen und meine Leute beschimpft haben, weil sie dafür, dass sie selbst vor der Schule geparkt hatten, einen Strafzettel bekommen haben.

Was sagen Sie dazu bei Dienstbesprechungen?

Ich sage zu meinen Leuten immer: deutliche Worte, das ist okay. Aber niemand muss sich beschimpfen lassen. Dazu hat keiner das Recht, auch wenn er meint, noch so hip zu sein. Gegenseitiger Respekt ist das Mindeste, was wir erwarten können.

INTERVIEW: PLUTONIA PLARRE

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