Kommentar Kundera: Die Akten und die Roten

Der tschechische Schriftsteller Kundera soll einen Landsmann bei der Stasi verpfiffen haben, leugnet jedoch alles. Für die tschechische Gesellschaft ist diese Debatte wichtig.

Der Fall treibt die tschechische Öffentlichkeit um: Dass der Schriftsteller Milan Kundera 1950 einen jungen Landsmann bei der kommunistischen Geheimpolizei denunziert haben soll, der daraufhin 14 Jahre Zwangsarbeit verrichten musste, schlägt hohe Wellen. Das tschechische "Institut zur Erforschung totalitärer Regimes" hat den Vorwurf erhoben und ein entsprechendes Polizeiprotokoll veröffentlicht. Kundera selbst, der zu jener Zeit noch ein begeisterter Kommunist gewesen war, weist diese Anschuldigung indes kategorisch zurück.

Unter tschechischen Historikern tobt derzeit ein Generationskonflikt. Jüngere Historiker machen alte Akten öffentlich, weil sie meinen, dass dies der seelischen Hygiene der Gesellschaft diene, womit sie ganz sicher recht haben. Die meisten von ihnen haben den Kommunismus allerdings nur in ihrer Jugend erlebt, in den Jahren nach 1980, als sich jeder zwischen Opportunismus und Abwarten entscheiden konnte.

Ältere Forscher beziehen dagegen die persönlichen Wandlungen während der kommunistischen Jahre von 1945 bis 1989 ein. Viele zentrale Figuren der tschechischen Opposition - wie Pavel Kohout, Jirí Pelikán, Ludvík Vaculík und eben Milan Kundera - huldigten als junge Komsomolzen dem Kommunismus. Erst später wandten sie sich, ernüchtert, den Reformern des Jahres 1968 zu. Es gab aber auch 1948 schon engagierte Gegner des Kommunismus. Die meisten von ihnen überlebten nach langen Gefängnisstrafen nur in bescheidenen Verhältnissen oder starben vergessen im Exil. Deshalb ist es wichtig, weiter zu forschen und ein Gleichgewicht der Perspektiven anzustreben.

Ob Kundera eine vermeintlich kleine Verfehlung vergessen hat, über deren Konsequenzen er vielleicht gar nichts ahnte, ob er es bewusst verdrängt oder das veröffentlichte Dokument einen falschen Verdacht nährt - all das ist jetzt zu klären. Für den Schriftsteller ist die alte Gesichte in jedem Fall peinlich. Für die tschechische Gesellschaft aber ist diese Debatte wichtig: Deshalb sollte man den Eifer der jungen Historiker auch nicht verurteilen. JAROSLAV SONKA

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.