Kolumne Speckgürtel: Die NPD im Paradies

126 Stimmen? Also was soll der Quatsch mit der NPD? Wo stecken die hier?

Ich bin nicht sicher, ob wir uns recht verstanden haben. Ich meine: NPD - hallo?! Was soll das hier geben im Speckgürtel? Die Ortsmitte wird zum Aufmarschgebiet? Der ungarische Zahnarzt kann schließen? Beim Bäcker gibts nur noch Kommissbrot?

Mag sein, dass Ihnen das entgangen ist, aber außer in Bayern hatten kürzlich auch Bürgerinnen und Bürger im Beitrittsgebiet das Vergnügen zu wählen. Wenn auch nur ihre Kommunalpolitiker - das sind die, die die konkrete Arbeit machen.

Meine Nachbarn und ich - zweieinhalbtausend suburbane Hausbesitzer, Laubharker, Hauptstadtpendler - hatten also Gelegenheit, sich ihr kommunalpolitisches Personal für die nächsten Jahre auszusuchen. 1.200, nicht mal die Hälfte von uns, haben das Wahllokal tatsächlich aufgesucht. Und was kommt raus? 126 Stimmen für die NPD, allein aus unserem popligen Ortsteil.

Mal ernsthaft, wer wählt die denn? Ist es der nette ältere Herr mit dem Spitzbart und dem rheinländischen Dialekt, mit dem ich seit Jahren morgens die gleiche Vorortbahn nehme? Die Apothekerin im BMW-Cabrio? Die Oma, die mir mit ihrem übergewichtigen Dackel allmorgendlich vors Fahrrad läuft? Meine Vermutung, die einzige auszumachende proletarische Klientel im Ortsteil, der Gaswasserscheißemann, könnte aus seiner Belegschaft 126 Stimmen rekrutiert haben, war schnell widerlegt. Der ist SPD. Schon immer. Also seit 1990.

Also, was soll der Quatsch mit der NPD? Wo stecken die hier? Unseren kleinen Speckgürtelort müssen Sie sich als Himmel auf Erden vorstellen, als paradiesischen Lebensentwurf, der nichts als spießiges Glück bereithält. Wer hier keine Arbeit hat, ist Rentner. Die Natur ist so was von intakt, dass Besuchern aus der Großstadt die Tränen in den Augen stehen. Kinder können auf der Straße Federball spielen. Die einzige, kaum befahrene Hauptstraße ist gesäumt von alten Eichen, ein Bäcker, eine Grundschule, eine Arztpraxis, ein Maklerbüro, eine Hebammenpraxis - das wars. Mag sein, dass so viel Harmonie manchem Mitbürger zu langweilig ist. Mag sein, sie wollen die Verhältnisse "zum Tanzen bringen", wie man heute nicht mehr sagt.

"Die Mark wählt deutsch" stand auf den Plakaten, die zwei Wochen vor der Wahl an den Straßenlaternen gaaaanz oben hingen. Scheiße, dachte ich - die hier? NPD? In der großen, rauen Kreisstadt, ja - aber in meinem Ortsteilchen, in dem biologisch gegärtnert und gekocht wird? Wo Laub quasi noch im Herabfallen aufgefangen und kompostiert wird? Wo die Straßenränder nachts von Wildschweinen aufgewühlt werden? Offenbar hatten wohl auch andere Bürger Mitleid mit den Jungs, die da von schlecht ausgeleuchteten Fotos ins Märkische blickten. Schon einen Tag später waren die Plakate abgenommen und ordentlich, mit dem Bild nach hinten, neben die Laternenpfähle gestellt. Wirklich nett, fand ich, hier in unserer kleinen Gemeinde achten wir halt aufeinander.

Okay, und dann der 28. September. 126 Stimmen für die NPD. Das macht bei drei möglichen Kreuzchen pro Nase mindestens 42 Hausbesitzer, Laubharker, Hauptstadtpendler, die - entsprechend dem NPD-Wahlflyer - finden: erstens, dass wir Speckgürtelbewohner "denen da oben" mal auf die Finger klopfen sollten. Zweitens, dass "Arbeit zuerst für Deutsche" da sein sollte. Und drittens, dass die Abwassergräben in der Gemeinde einer dringenden Sanierung bedürften (alle Achtung, das war wirklich neu).

Nun warte ich seit zweieinhalb Wochen, dass aus der einzigen Kneipe unseres Örtchens - einem Italiener, der mithilfe von allerlei Gesäusel wie "Si signorina" und "frrrrische Dorrrade" geschickt, aber erfolglos zu verbergen versucht, dass er Albaner ist - ein altdeutsches Gasthaus wird. Dass die Grundschule den Englischunterricht aus dem Lehrplan streicht. Dass ich meine persönliche Einladung zum Parteiaufnahmegespräch im Briefkasten finde. Aber nichts passiert. Es scheint, als hätten die Jungs auch eingesehen, dass wir im Speckgürtel einfach noch nicht reif sind für sie.

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1965, ist taz-Parlamentsredakteurin. Sie berichtet vor allem über die Unionsparteien und die Bundeskanzlerin.

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