Punk-Veteran Schorsch Kamerun: "Widerstand muss attraktiv sein"

Ab heute übernimmt Schorsch Kamerun für drei Monate das Neue Haus der Münchner Kammerspiele, um unter dem Titel "Ninfo/No Info!" mit vielen Gästen nach Strategien gegen die Informationsüberflutung zu suchen.

Auf der Ruhrtriennale 2008:"Westwärts" von Schorsch Kamerun. Bild: dpa

taz: Schorsch Kamerun, bevor im November Ihre Inszenierung des Märchens "Peter Pan" in den Münchner Kammerspielen Premiere hat, starten Sie dort heute ein mehrmonatiges Programm mit zwei Veranstaltungen pro Woche unter dem Titel "Ninfo/No Info!". Worum gehts?

Schorsch Kamerun: Unsere Gesellschaft ist an einem Punkt angelandet, an dem sie sich durch die vorhandene Informationsdecke keinen Schritt mehr bewegen kann. Ich will die Frage stellen, ob wir nicht einen Schritt zurücktreten und etwas weglassen können.

Nehmen wir doch mal an, wir würden ab heute alle nur noch taz lesen und auf andere Informationskanäle verzichten. Schließt man damit nicht auch andere Meinungen aus?

Das will ich überprüfen, ohne These, ohne Utopie. Es gab eine Zeit, da hieß es: Die Welt ist unerträglich, es reicht, wir steigen aus. Ab in den Wald, wir gehen alle nach Gomera. Diesmal erklären wir unseren Austritt mitten unter euch, wollen also das Gegenteil von Aussteigen.

Wie kann das aussehen?

Zum Auftakt machen wir eine riesengroße Schaumparty, als großes Reinemachen. Wir setzen sozusagen symbolisch alle Einflüsse auf null. Dann dokumentieren wir, wer sich bereits ähnliche Fragen gestellt hat: Ich habe Roberto Orth, Diedrich Diederichsen und Dietmar Dath eingeladen und die Band Gustav aus Wien.

Zuletzt gibt es eine Versuchsanordnung: Ein Proband begibt sich an einen informationsüberladenen Ort, nach London an einem Tag mit einem vollen iPod und einem geladenen eBook. Eine anderer geht parallel in den Keller.

Wie kam es zur Zusammenarbeit mit den Kammerspielen?

Ich habe dort bereits eine Migrationsgeschichte gemacht, "Down Understanding", die auch in dieser Spielzeit weiterläuft. Vorher wurde dort "Macht und Rebel" von Matias Faldbakken in meiner Bearbeitung uraufgeführt. Zwei Platten der Goldenen Zitronen sind in München rausgekommen. Nach München hatten wir daher schon immer gute Kontakte.

Sie haben zuvor an den großen Häusern in Hamburg, Berlin, Wien und Zürich inszeniert. Als Sänger der Goldenen Zitronen wehrten Sie sich stets gegen Verträge mit großen Plattenfirmen.

Hier bin ich keinem Multi gegenüber verantwortlich, der noch andere Geschäfte macht, sondern dem Steuerzahler. Das finde ich legitim. Große Kommunen sollten sich Kultur leisten, und da steht dann eben nicht Marlboro drunter.

Nimmt man dafür ein möglicherweise konservativeres Publikum in Kauf, gerade in Wien, Zürich und vielleicht auch München?

An der Maximilianstraße ein merkwürdiges Migrantenstück aufführen, das ergibt schon eine "Ästhetik des Widerspruchs". Die "Ästhetik des Widerstands" ist aber sowieso vorbei. Punk kann werden, wer bei Peek & Cloppenburg die richtigen Klamotten kauft.

Und im Theater hat man schon so viele Nackte gesehen, so viel Gematsche und Eingeschmierte - der provokante Gestus ist weggespielt und funktioniert nur noch im Privatfernsehen. Nirgends wird radikaler gedemütigt, sich ausgezogen und rumgeschrien als in dieser ausgestellten Pseudorealität.

Und davon befreien Sie nun in "Ninfo/No Info!"?

Da ist man tatsächlich genau bei dieser Geschichte. Individuell, radikal, alternativ - so verkauft die Werbung den Porsche Cayenne und das Fernsehen Information. Reisen sind heute natürlich "all inclusive", den Favela- Besuch gleich inbegriffen.

Damit sind diese Begriffe verstopft, denn alles ist schon im Mainstream vorhanden. Nicht mal Harald Schmidt glaubt da seiner eigenen Ironie. Ich will diese Superinformationen temporär ganz weglassen oder aber bewusst übersteigern und dann sehen, ob man überhaupt noch auf eigene Wünsche kommt.

Haben Sie einen erzieherischen Anspruch?

Nein. Ich glaube nicht, dass Kunst die Gesellschaft direkt verändert. Sie begleitet sie höchstens. Mich selbst haben tatsächlich Jugendbewegungen politisiert, aber bewusst bekommt man das schwer hin.

Ich komme aus einer ausgesprochen autoritären Umgebung, und Punk hat uns bei der Hand genommen und uns aus unseren kleinen Dörfern geführt. Wir waren einige Entschlossene und wollten zeigen: Auf keinen Fall so weiter, wir machen das anders. So eine Gegenkultur mit breiten autonomen Strukturen fehlt heute.

Fiel es Ihnen leichter, sich in diesem Rahmen künstlerisch auszudrücken?

Ja, man konnte sich besser darin aufhalten, die Gemeinsamkeit war eine andere. Ich habe in den Achtzigern immer wieder das Wort Revolution gehört und auch selbst in den Mund genommen. Wir haben wirklich daran geglaubt, dass es Veränderungen geben wird, wenn wir an bestimmten Dingen teilnehmen oder uns zumindest solidarisch zeigen.

Ich wüsste nicht, wo man da heute größer ansetzen könnte. Überall in der Gesellschaft wird eher nach unten getreten als nach oben. Protest braucht aber Selbstbewusstsein, und das wird den Leuten abgesprochen.

Vielleicht kann man die Versuche von Globalisierungsgegnern nennen, mit ihrer Symbolik der Clowns. Aber so eine absolut neue, frische Attraktivität zum gemeinsamen Losfahren fehlt, und Widerstand muss attraktiv sein. Dafür glaube ich, dass es heute wieder mehr um Inhalte geht, weniger um Äußerliches. Texte können treffen, wenn sie richtig ausgesprochen werden.

Soll "Ninfo/No Info!" in diese Richtung beeinflussen?

Man wird davon überhaupt nicht beeinflusst! Aber da ich das öffentlich mache, würde es mich schon freuen, wenn man sich damit auseinandersetzt.

Dann gehen unsere Ziele ja gar nicht so diametral auseinander. Die Medien wollen informieren. Sie auch.

Ja, ganz ernsthaft: Wenn man so will, ist das fast eine Art journalistische Untersuchung. Ich möchte den Diskurs, an dem ich beteiligt bin, in aktueller Form vermitteln, ob als Mitglied der Goldenen Zitronen oder als Theatertype.

Und das schließt es vielleicht ganz gut: Es ist nicht mehr und nicht weniger eine kritische Begleitung der Wirklichkeit, nur eben nicht mehr mit Irokesenschnitt und "No Future"-Shirt.

INTERVIEW: JOHANNA SCHMELLER

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.