Alois Glück im Interview: "Die Welt hat sich verändert"

Mit dem Ende der Alleinherrschaft der CSU geht auch der Vordenker der Partei in den Ruhestand. Alois Glück über die Arroganz der CSU und den notwendigen Wandel der Konservativen.

"Wir lagen neben dem Lebensgefühl für uns wichtiger Menschen." Bild: dpa

taz: Herr Glück, Sie sind seit 38 Jahren in der Landespolitik und gelten als Vordenker der CSU. Heute gehen Sie in den Ruhestand. Wie unzufrieden sind Sie mit der Situation, in der Ihre Partei gerade steckt?

Alois Glück: Natürlich ist dieses Wahlergebnis eine tiefe Zäsur. So etwas habe ich in all den Jahrzehnten nicht erlebt. Aber ich habe mit der CSU schon früher sehr schwierige Zeiten durchgemacht, etwa nach dem Tod von Franz Josef Strauß 1988. Plötzlich hatten wir bei der Europawahl im Mai 1989 nur 45,4 Prozent. In der Endphase von Ministerpräsident Max Streibl gab es Umfrageergebnisse unter 40 Prozent. Insofern wird man auch in solchen Zeiten ein Stück gelassener.

Jetzt war die Partei tagelang nur mit Personaldebatten beschäftigt, ehe sie sich auf Horst Seehofer geeinigt hat, der nun CSU-Chef und Ministerpräsident werden soll. Dabei war man sich nach der Wahl doch einig: Zuerst sollen die inhaltlichen Fehler analysiert werden.

Die Personaldebatte war ein notweniger Klärungsprozess. Aber nach den Koalitionsgesprächen muss dann die Partei die tieferen Ursachen dieses Wahlergebnisses grundlegend analysieren. Der entscheidende Faktor für das Wahlergebnis war bestimmt nicht die Doppelspitze Erwin Huber und Günther Beckstein.

Sondern?

Es ist die Summe der letzten Legislaturperiode, die Summe der Eindrücke, wie die Wähler offensichtlich die CSU erlebt haben. Daraus hat sich eine massive Stimmung gegen die absolute Mehrheit der CSU entwickelt. Damit müssen wir uns auseinandersetzen. Denn sonst hätte die CSU wenig Chancen, wirklich aus dem Ergebnis zu lernen. Wenn wir nur vergangene Zeiten beschwören und glauben, mit den Erfolgsmustern der Vergangenheit in einer so veränderten gesellschaftlichen und politischen Situation erfolgreich zu sein, dann wäre das ein fataler Irrtum.

Hat die CSU auf die Menschen zu arrogant gewirkt?

Die Menschen haben zwar weitgehend unserer Politik zugestimmt - von Einzelthemen und kleinen Gruppen einmal abgesehen - aber die Art der Machtausübung durch die CSU nicht mehr akzeptiert. Das ist eine klare Botschaft. Die enge Verbindung Bayern und CSU hat so nicht mehr gegriffen.

Ein Vermittlungsproblem?

Nein. Wir lagen hier neben dem Lebensgefühl für uns wichtiger Menschen.

Wie soll denn dieses Lebensgefühl aussehen? Ist es das der Akademiker in den Städten, oder das der heimatverbundenen Bauern im Voralpenland?

"Den Bayern" gibt es nicht. Auch nicht das eine bayerische Lebensgefühl. Was hier besonders ist: Die Menschen identifizieren sich mit ihrem Heimatland Bayern in einer Weise, wie es das sonst nirgendwo in Deutschland gibt. Sie tun es aber in unterschiedlicher Weise. Das Bayernbild ist bei jemandem, der im Trachtenverein ist, ganz anders als bei einem Manager, der aus Singapur nach Hause kommt und sich hier zuhause fühlt. Die Befindlichkeiten, die Lebenseinstellungen haben sich auch in Bayern bei vielen Menschen massiv verändert. Die innere Bandbreite von Lebensstilen, von Wertvorstellungen, aber auch Erwartungen an die Politik, sind sehr viel breiter geworden. Das haben wir als Partei zu wenig aufgenommen.

Sie haben aber auch in ganz traditionellen Milieus verloren. Bei den Bauern hat die CSU 40 Prozent an Stimmen eingebüßt. Wie konnte denn das passieren?

Auch in der bäuerlichen Bevölkerung hat sich die Lebensweise verändert. Selbst für den Bauernverband wird es schwieriger, alle zu erreichen. Die einen arbeiten modern, fast industriell, die anderen ökologisch. Das macht es für uns schwer, die 50 Plus X unter einem Dach zu versammeln.

Die klassischen Konservativen Milieus haben sich in den vergangenen Jahrzehnten aufgelöst. Vereine verlieren Mitglieder, immer weniger Menschen engagieren sich in den Kirchen. Wo will die CSU denn in Zukunft Ihre Stammwähler hernehmen?

Die Erfolge der Vergangenheit sind ja auch nicht nur auf diesen Milieus begründet. Schon vor zwanzig Jahren hat einmal ein Pfarrer in meinem Heimatlandkreis gesagt: "Früher sind die Menschen bei uns aufgefallen, die am Sonntag nicht regelmäßig in die Kirche gehen. Jetzt fallen die auf, die regelmäßig gehen." Die Bindekraft von Milieus ist schwächer geworden. Die CSU war aber bis zuletzt für viele Menschen der stabile Faktor in einer sich rasch verändernden Welt. In den vergangenen fünf Jahren sind viele Gewissheiten noch stärker ins Schwimmen gekommen. Das alles miteinander macht die Situation sehr labil.

Neulich haben Sie bei einem Vortrag einen sehr prägnanten Satz gebraucht: "Der Konservativismus vergangener Zeiten bietet keine ausreichende Orientierung mehr für die Gegenwart". Was meinen Sie damit?

Man erschöpft sich oft im Beschwören alter Werte. Die eigene Kultur und die eigene Identität sind natürlich wichtig. Aber gleichzeitig müssen wir uns auch mit dem Weltbild von Menschen aus anderen Kulturen und Religionen vertraut machen. Bisher war das konservative Denken vor allem auf die Vergangenheit bezogen. Das geht heute nicht mehr. Die Verantwortung für die Zukunftschancen der Nachkommen ist noch wichtiger als die Verpflichtung gegenüber dem Erbe der Väter und Mütter. Wir dürfen nicht nur im Bremserhäuschen der Moderne sitzen.

Werfen Sie das der CSU vor?

Nein. Wir sind in den vergangenen zehn Jahren vielen Menschen vielleicht zu technokratisch und fortschrittsgläubig geworden. Zur Bundestagswahl 2005 waren viele Jahre auch durch eine sehr marktgläubige Position geprägt. Wir haben jetzt auch eine besondere Chance, jetzt wo das sozialistische Modell nicht mehr trägt und auch die liberale Vorstellung der zügellosen Märkte zusammengebrochen ist, können wir aus unserem programmatischen Fundus heraus gestalten. Voraussetzung ist, dass alle bei uns die Zeichen der Zeit erkennen.

Sie treten derzeit mit dem Motto an "mehr Netto vom Brutto". Das klingt doch wieder stark nach der Forderung nach einem schlanken Staat.

Wir wollen die Mittelschicht entlasten, und sie ihr Leben eigenverantwortlich gestalten lassen. Das ist unbestritten ein gutes Steuerkonzept. Sicher gab es bei uns auch eine Zeit, wo Parolen wie "schlanker Staat" modern waren. Aber das ist längst überholt. An der Finanzkrise sehen wir derzeit ja, was der Radikal-Kapitalismus bei den Menschen und in der Gesellschaft anrichtet. Gerade CSU und CDU müssen jetzt eine ordnungspolitische Debatte führen, denn sonst treiben wir sie in die Arme von Leuten wie Oskar Lafontaine, die einen starken Staat als Allheilmittel anpreisen.

In ihrem Grundsatzprogramm ist viel von "Eigenverantwortung" die Rede.

Was der Einzelne leisten kann, soll er selbst leisten. Das gilt auch für Unternehmer, nicht nur für Empfänger sozialer Leistungen. Mitnahmeeffekte über Subventionen und Steuervergünstigungen soll es nicht mehr geben. Die Menschen sollen ihre eigenen Kräfte mobilisieren. Wenn die eigenen Kräfte nicht ausreichen, etwa bei Krankheit oder Behinderung, dann muss er sich auf die Solidargemeinschaft und den Staat verlassen können.

Eine andere große Zukunftsfrage ist die der knapper werdender Ressourcen. Bisher hat die CSU sich für Großprojekte eingesetzt: den Transrapid, den Ausbau des Münchner Flughafens. Ist das noch zeitgmäß?

Ob es für die dritte Startbahn am Münchner Flughafen bei den gestiegenen Kerosinpreisen noch einen Bedarf gibt, wird das Planungsverfahren zeigen. Wenn es keinen Bedarf gibt, wird sie nicht gebaut. Man muss das Thema aber unabhängig von der Frage "groß oder klein" behandeln. Nirgendwo sonst ist der Anteil an erneuerbaren Energien so groß wie in Bayern.

Weil es in Bayern viele Wasserkraftwerke gibt.

Nicht nur deswegen. Bei uns ist auch die Fotovoltaik mehr verbreitet als anderswo in Deutschland. Es wäre falsch, nur auf die Kernenergie zu setzen. Es ist aber auch unrealistisch, jetzt nur auf regenerative Energien zu bauen. Kommuniziert haben wir unsere Bandbreite schlecht. Bei der Stromversorgung denken die meisten bei CSU nur an Kernkraftwerke, obwohl wir uns nie darauf reduziert haben.

Wenn man Sie so reden hört, denkt man: Eigentlich müssten sich die CSU und die Grünen in Bayern viel besser verstehen. Warum ist das nicht so?

Die Grünen sind einseitig fixiert auf ihre Lieblingstechnologien. Im Moment ist eine rationale Debatte über eine vernünftige Energiestrategie mit denen nicht möglich. Die Umweltpolitik haben in Bayern nicht die Grünen erfunden. Wir haben 1970 schon ein Umweltschutzministerium gegründet, da gab es weder die Ökologiebewegung noch die Grünen.

Sie haben die Umweltbewegung auch stark gemacht, etwa mit dem Bau der Wiederaufbereitungsanlage in Wackersdorf.

Das ist längst Geschichte. Das ändert nichts an unseren Pionierleistungen im Umweltschutz.

In Zukunft soll ein Mann Ihre Politik nach außen kommunizieren: Horst Seehofer.

Das ist auch seine außergewöhnliche Fähigkeit. Die Parteiführung ist aber kein Ein-Mann-Betrieb. Die Aufgaben können nur durch eine starke Teamleistung und einen starken Teamleader gemeistert werden.

Der Druck scheint enorm: Horst Seehofer hat gesagt, er habe "bammel".

Er weiß, dass er einen riesigen Rucksack geschultert hat, und damit eine gewaltige Verantwortung trägt.

Vor einem Jahr wollte er schon einmal CSU-Chef werden, war aber nicht mehrheitsfähig. Was hat sich seitdem geändert?

Die Welt hat sich verändert.

INTERVIEW: BERNHARD HÜBNER

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