Sat.1 als eigener Sender aufgegeben: Marschbefehl nach München

Was die Kirch-Krise nicht schaffte, erledigen die Heuschrecken: Sat.1 wird als eigenständiger Sender aufgegeben und muss in die bayrische Konzernzentrale ziehen.

Bye Bye, Berlin: Empfangsanlagen von ProSieben-Sat.1 Media AG. Bild: dpa

2006 übernimmt KKR/Permira die ProSiebenSat.1 AG (ProSieben, Kabel 1, N 24, 9live). Die darf 2007 von KKR/Permira noch die SBS-Gruppe (Niederlande, Belgien, Skandinavien, Südosteuropa) für 3,3 Mrd. Euro kaufen, für die KKR/Permira selbst zwei Jahre zuvor nur 2,1 Mrd. Euro bezahlt hatten. Die Schulden werden der AG aufgebürdet und steigen - auf aktuell gut 3,8 Mrd. Euro. Anfang 2008 führt ProSiebenSat.1 ein neues TV-Werbungs-Modell ein, das floppt. Der Konzern muss auf Beschluss von KKR/Permira für 2007 eine Rekorddividende von 272 Mio. Euro ausschütten, obwohl der Nettogewinn nur bei rund 90 Mio. Euro lag. Die Börse überzeugts nicht: Die Aktie sank gestern weiter.

Es war die Hiobsbotschaft, mit der alle gerechnet hatten: Sat.1, einer der ältesten deutschen Privatsender, zieht von Berlin zum Sitz der ProSiebenSat.1 AG nach Unterföhring bei München. Der TV-Konzern will inklusive Umzug mindestens 225 Stellen abbauen. Als Finanzvorstand Axel Salzmann gestern bei der Mitarbeiterversammlung im Berliner Hilton vor den 500 Versammelten zu langatmigen Begründungen des Marschbefehls ausholt, reagieren die auf ihre Weise: Unter Buhrufen und Gejohle verlassen alle den Saal. Alle.

Denn der Umzug zur Konzernzentrale bedeutet nicht nur den Jobverlust für viele, die aus persönlichen oder finanziellen Gründen nicht ins teure München mitziehen können. Es ist auch das Ende von Sat.1 als eigenständiger Fernsehsender: In München sollen sich die FernsehmacherInnen im "Pool German Free TV" wiederfinden, aus dem dann alle Kanäle der Mediengruppe bedient werden. "Die Mitarbeiter werden nicht mehr senderbezogen arbeiten", hatte der für die deutschen Sender zuständige Konzernvorstand Andreas Bartl den Sat.1-Betriebsräten schon vor der Mitarbeiterversammlung erklärt. So könne das Profil der Sender weiter geschärft werden, lautete die schwer nachvollziehbare Begründung. Vor den MitarbeiterInnen drückt Bartl auf die Tränendrüse: Keine Entscheidung sei ihm "je so schwer gefallen", sagt er unter Buhrufen. Die Betroffenen sehens anders: "Sat.1 war denen in München immer ein Dorn im Auge, weil die Menschen hier nicht alles gefressen haben, was die Führung wollte", kommentiert ein Betriebsrat: "Jetzt ist hier in wenigen Monaten dicht."

Damit gelingt den Finanzinvestoren KKR und Permira etwas, was nicht einmal die Kirch-Pleite von 2002 geschafft hat: Sie streichen wegen der selbst verschuldeten Krise ihrer hoch verschuldeten ProSiebenSat.1-AG (siehe Kasten) einen Gutteil des deutschen Privatfernsehens einfach zusammen. Rendite zählt, der Rest sind Phrasen.

Der Durchmarsch war hart und gnadenlos: Eigentlich hätte gestern nochmals der Aufsichtsrat auf einer Sondersitzung tagen sollen. Doch stattdessen wurden die Betriebsräte am Mittwochabend für Donnerstagfrüh 8.15 Uhr einbestellt und ab 9.30 Uhr auf parallelen Mitarbeiterversammlungen in Berlin und München vollendete Tatsachen geschaffen. Schon bis zum 30. Juni 2009 soll Sat.1 in Berlin Geschichte sein.

Der Umzugsplan betrifft 350 Berliner Mitarbeiter. "Jeder Betroffene erhält ein Jobangebot in München oder eine angemessene Abfindung" heißt es doppeldeutig in einer Konzernmitteilung. In München soll aber nur von rund 150 zusätzlichen Stellen für Umzügler die Rede sein - man rechnet also ohnehin damit, dass längst nicht alle mitkommen: "Wenn alle nach München gingen, müsste man dort jede Menge Entlassungen aussprechen", sagt ein Betriebsrat - als "besonders perfide Form des Personalabbaus" geißelt ein Sprecher des Vereins Berliner Journalisten bei einer spontanen Demo der Mitarbeiter vor dem Sat.1-Gebäude diesen Schritt. Allein die knapp 100 Stellen der Sat.1-Zentralredaktion, die das Frühstücksfernsehen sowie die Sat.1-Magazine bestückt, bleiben als eigene GmbH an der Spree. Alle Verwaltungsfunktionen werden in München zentralisiert, das gilt auch für die bisher in Berlin sitzenden Teile der Konzerntöchter SevenOne Media (Werbezeitenverkauf) und SevenOne Interactive (Online).

Noch zwei weitere Vorstände sitzen bei der Betriebsversammlung auf dem Podium - N24-Chef Torsten Rossmann, dessen Laden in Berlin bleiben darf. Und Sat.1-Geschäftsführer Matthias Alberti. Der ehemalige Unterhaltungschef war beliebt in Berlin, nun ist er in den Augen vieler frustrierter Sat.1-Menschen Kriegsgewinnler: Alberti wird neben Andreas Bartl Geschäftsführer der German Free-TV-Holding in München. Er sagt nur einen Satz: Dass er "als Erster nach München gehen" und für ein "starkes Sat.1 sorgen" werde. Da sind die Pfiffe besonders laut.

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