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Kritik am Finanzsystem LettlandsVerhaftet wegen "Destabilisierung"

Die lettische Polizei ermittelt gegen einen Wissenschaftler und einen Popmusiker. Sie hatten Zweifel an der Stabilität des Finanzsystems geäußert.

Verstaatlicht: Lettische Großbank Parex. Bild: dpa

STOCKHOLM taz "Die Finanzen sind sicher!" In Lettland sollte besser niemand öffentlich an so einem Versprechen der Regierung zweifeln. Das haben jetzt ein Wirtschaftswissenschaftler und ein Popmusiker erfahren. Gegen beide laufen, wie die Sprecherin der Sicherheitspolizei Drosibas policija gegenüber der lettischen Nachrichtenagentur Leta bekräftigte, Ermittlungsverfahren wegen Verdachts der "Destabilisierung" des finanziellen Systems des Landes.

Das Vergehen von Dmitrijs Smirnovs, Lektor für Wirtschaftswissenschaften am Ventspils University College: Er hatte vor drei Wochen in einer Diskussionsveranstaltung davon gesprochen, dass Lettland womöglich vor größeren finanziellen und wirtschaftlichen Problemen stünde als die USA und: "Was ich empfehlen würde: Spart euer Geld nicht bei Banken und spart nicht in Lats."

Diese Ratschläge müsste derzeit in Lettland jeder verantwortungsbewusste Anlageberater weniger risikobereiten KundInnen geben. Denn sie beruhen auf einer Analyse, die sich jedenfalls teilweise bestätigt hat: mit der Verstaatlichung der zahlungsunfähig gewordenen Parex-Bank und dem Hilferuf aus Riga nach einem Kredit des Internationalen Währungsfonds (IWF).

Der dürfte wahrscheinlich an die Freigabe der noch an den Euro gebundenen einheimischen Währung Lat und damit dessen Abwertung geknüpft sein. Davon werden Guthaben in Dollar oder Euro profitieren.

Laut sagen darf man dies in Lettland nicht. Smirnovs wurde wegen seines Debattenbeitrags zwei Tage in Haft genommen und ist nun, belegt mit einem Ausreiseverbot, wieder auf freiem Fuß. Gegen Valters Frîdenbergs von der Popband Putnu balle wird wegen eines ähnlichen Delikts ermittelt. Er hatte bei einem Konzert seinen ZuhörerInnen empfohlen, in Ruhe das Konzert anzuhören, danach aber doch besser mal beim Bankautomaten vorbeizuschauen - "ein Witz", wie der Musiker beteuert.

Die LettInnen sind gebrannte Kinder. Viele haben bei einem Bankencrash in den Neunzigerjahren alle Ersparnisse verloren. Als Versuch, künftig eine von Gerüchten ausgelöste finanzielle Panik zu verhindern, hatte die Regierung 2007 ein Gesetz verabschiedet, das die Verbreitung von Gerüchten, die zu einer finanziellen Destabilisierung führen könnten, unter Strafe stellt.

Aber wegen eines Witzes und einer Finanzanalyse womöglich in den Knast? Die Debattenseiten im Internet füllten sich am Wochenende mit Beiträgen, die Parallelen zu längst vergangen geglaubten Sowjetzeiten ziehen.

"Die Meinungsfreiheit eine kriminelle Handlung?", titelte die Rigaer Tageszeitung Latvijas Avize in ihrer Samstagausgabe, und die "Unterdrückung von Meinungen" beklagt die Neatkariga Rita Avize und fragt: Dürfe denn wirklich kriminalisiert werden, wenn jemand in Lettland nur wiederhole, was man im Wall Street Journal und anderen internationalen Wirtschaftszeitungen schon lange lesen könne? "Es darf nicht sein, das so etwas in einem EU-Land passiert", sagt der Medienwissenschaftler und Journalist Karlis Streips. REINHARD WOLFF

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