„Schily war nicht dabei“

taz: Die große Koalition wird eine „völlig überzogene Kriminalpolitik“ betreiben, befürchtet der FDP-Politiker Burkhard Hirsch. Hat er Recht?

Brigitte Zypries: Wenn etwas völlig überzogen ist, dann sind es solche Befürchtungen. An der Kriminalpolitik der Bundesregierung wird sich nichts Wesentliches ändern.

Wie? Schwarz-Rot macht die gleiche Kriminalpolitik wie Rot-Grün?

Ja. Paradigmenwechsel stehen nicht an. Ich bleibe ja auch Justizministerin.

Und Ihr Koalitionspartner hat nichts zu sagen? Im Wahlkampf hat die CDU/CSU doch zum Beispiel eine deutliche Verschärfung des Jugendstrafrechts gefordert …

Die Höchststrafe für Jugendliche bleibt bei 10 Jahren, die von der CDU/CSU geforderte Anhebung auf 15 Jahre hat die SPD verhindert. Heranwachsende zwischen 18 und 21 Jahren werden auch weiterhin nach Jugendstrafrecht behandelt, wenn sie noch unreif sind. Die Union wollte in diesem Alter regelmäßig Erwachsenen-Strafrecht anwenden. Das haben wir abgelehnt.

Was haben Sie noch abgeblockt?

Nur zwei weitere Beispiele: Die Union wollte eine Sicherungshaft für terrorverdächtige Ausländer. Doch eine Haft auf bloßen Verdacht wird es mit mir nicht geben. Die Union wollte den genetischen Fingerabdruck zur polizeilichen Standardmaßnahme machen. Auch da wird vorerst alles bleiben wie bisher.

Die Süddeutsche Zeitung hat Ihnen jüngst noch vorgeworfen, Sie seien eine ministerielle Verwalterin ohne Gestaltungswillen, keine beseelte Rechtspolitikerin. Dafür ist Ihr Verhandlungsergebnis erstaunlich gut …

Ich habe durchaus klare Koordinaten für sozialdemokratische Rechtspolitik im Kopf.

Liefen die Koalitionsverhandlungen also so: Die Union fordert etwas, und Sie blocken ab?

Nicht generell, aber für den Bereich Kriminalpolitik kommt das so ungefähr hin.

Otto Schily hat als SPD-Innenminister ganz ähnliche Positionen vertreten wie die CDU/CSU, so war er ebenfalls für die Einführung einer Sicherungshaft für Terrorverdächtige …

Otto Schily hat an den Verhandlungen nicht teilgenommen – obwohl er meine Haltung zum Thema Sicherungshaft kennt.

Gab es in der SPD-Verhandlungsgruppe jemanden, der die Positionen von Schily aufrechterhalten hat?

Nein.

Wie war das Klima der Verhandlungen?

Gut. Sachlich und sehr konstruktiv.

Ob das Ihr Verhandlungspartner Wolfgang Schäuble auch so sieht?

Wolfgang Schäuble ist ein professioneller Verhandler, der weiß, wo meine Schmerzgrenzen und die der SPD erreicht sind. Er war aber nur in der Innenpolitik Verhandlungsführer der CDU/CSU. In der Rechtspolitik saß mir Wolfgang Bosbach gegenüber. Da dauerten die Diskussionen manchmal etwas länger, aber konstruktiv und einigungsorientiert waren sie auch.

Die SPD hat heute also die Rolle des liberalen Bremsers in der Regierung übernommen, die bisher die Grünen innehatten?

Das sehen Sie falsch. Ich bin als Justizministerin schon bisher für eine abgewogene, grundrechtssichernde Kriminalpolitik der Regierung eingetreten.

Künftig steht die Bundesregierung unter dem Druck von drei Oppositionsparteien – FDP, Grüne und Linkspartei –, die die Bürgerrechte mehr schützen wollen als die große Koalition. So einig ist die Opposition sonst nirgends. Beunruhigt Sie das?

Nein. Wir müssen uns nicht verstecken, wenn es um den Schutz von Bürgerrechten geht.

Vielleicht hilft der Justizministerin der vereinte liberale Druck der Opposition sogar in den Auseinandersetzungen mit der Union, dem Innenminister und dem Bundesrat?

Ich habe genug Rückhalt in den Regierungsfraktionen, ich brauche die Hilfe der Opposition nicht. Es ist ja auch nicht so, dass die CDU/CSU etwas gegen Bürgerrechte hat. Im Gegenteil: Auch Wolfgang Schäuble hat in den Gesprächen die Bedeutung der Bürgerrechte betont. Auch deshalb war die Idee der Sicherungshaft bald vom Tisch.

Kommen wir zu konkreten Projekten der großen Koalition. Sie will Freier bestrafen, die Zwangsprostituierte ausnutzen. Das fordert die CDU/CSU schon länger, und Sie waren skeptisch …

Diese Forderung stand auch im Wahlprogramm der SPD. Insofern ist das nichts Überraschendes.

Doch wie soll man einem Freier nachweisen, ob er erkannte, dass eine Prostituierte unter Zwang stand? Vor der Wahl sagten Sie: Fahrlässigkeitsdelikte seien ein Fremdkörper im Sexualstrafrecht …

Dabei bleibe ich. Mein Ministerium wird einen Gesetzentwurf vorlegen, der von objektivierbaren Kriterien ausgeht. Wenn ein Freier zu einer Prostituierten geht, dann wird er in solchen Fällen häufig aus den gesamten Umständen erkennen, dass etwas nicht stimmt. Er merkt ja, wenn sie kein Deutsch kann, in welchen Räumen sie arbeitet und wer sich – etwa als Zuhälter – bei ihr oder direkt vor der Tür aufhält.

Die Koalition überlegt, ob die Sympathiewerbung für terroristische Vereinigungen wieder strafbar wird. Wollen Sie Jugendliche, die Al-Qaida-Parolen an die Wand schmieren, künftig als Terroristen verfolgen?

Leute, die Parolen schmieren, fängt man leider selten.

Der Paragraf 129 a des Strafgesetzbuches – Strafbarkeit terroristischer Vereinigungen – ist ja auch vor allem ein Ermittlungsparagraf, der das Abhören von Telefonen, Hausdurchsuchungen und U-Haft ermöglicht. Und das alles wegen ein paar Parolen. Ist das abgewogene Kriminalpolitik?

Halt! Wir wollen die Sympathiewerbung ja nicht erneut im Paragraf 129 a verankern. Wir haben uns vielmehr darauf verständigt zu prüfen, ob eine gesonderte Regelung nötig ist. Dabei würden positive unterstützende Meinungsäußerungen zugunsten von terroristischen oder kriminellen Organisationen unter Strafe gestellt. Wenn sich das als notwendig erweisen sollte, werden wir eine sehr präzise Formulierung vorlegen, damit auch die Richtigen bestraft werden.

Die Kronzeugenregelung war 1999 ausgelaufen. Jetzt kommt sie wieder. Musste das sein?

Auch das geltende Recht erlaubt Strafmilderungen, wenn ein Angeklagter an der Aufklärung oder Verhinderung anderer Verbrechen mitwirkt. In der Praxis wird das mit Erfolg genutzt. Denken Sie nur an das Urteil im Al-Tawhid-Prozess vor dem Düsseldorfer Oberlandesgericht Ende Oktober. Dieses Urteil wäre ohne die Aussagen eines Kronzeugen, der zuvor in seinem eigenen Prozess eine milde Strafe erhalten hatte, nicht möglich gewesen.

Warum braucht man dann überhaupt eine neue Kronzeugenregelung?

Damit sie ausdrücklich im Strafgesetzbuch steht. Die Polizei geht davon aus, dass Angeklagte besser kooperieren, wenn ihnen die Kronzeugenregelung schwarz auf weiß vorgelegt werden kann. Außerdem ist heute bei Mord keine Strafmilderung möglich, was gerade bei terroristischen Strukturen die Gewinnung von Kronzeugen erschwert.

Wird die neue Kronzeugenregelung auch wieder befristet?

Das ist noch offen.

Im Koalitionspapier findet sich keine Aussage zur Speicherung von Telefonverbindungsdaten. Warum?

Über dieses Thema wird doch auf europäischer Ebene verhandelt.

Na und? Da muss sich die Regierung doch auch auf eine Verhandlungsstrategie einigen …

Es gilt weiterhin der einstimmige Beschluss des Bundestags, der sich gegen eine Vorratsspeicherung der Verbindungsdaten ausgesprochen hat. Auf dieser Grundlage verhandelt die Bundesregierung auch weiterhin auf EU-Ebene und bindet das Parlament eng ein.

Kann man der Regierung trauen? Innenminister Schily hat sich an diesen Beschluss ja nie richtig gebunden gefühlt …

Otto Schily war für diese Verhandlungen auch nie zuständig, sondern ich.

Und wie verlaufen derzeit die EU-Verhandlungen zu diesem Thema?

Fast alle EU-Staaten sind für eine obligatorische Vorratsspeicherung. Deutschland steht hier für einen restriktiven Ansatz. Wir drängen darauf, strikt den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz zu wahren und deshalb den Datenumfang so knapp wie möglich zu halten. Allerdings stehen wir damit ziemlich allein. Wir können weitergehende Entscheidungen hier nur verhindern, wenn im Rat Einstimmigkeit gilt, was im Moment aber umstritten ist.