Energieexperte über Strommarkt: "Wir brauchen andere Netze"
Für die Energiewende sind andere Stromnetze nötig, sagt Dirk Seifert. Der Energieexperte von Robin Wood fordert daher: Stromnetze gehören in die öffentliche Hand.

Stromnetze sind ein natürliches Monopol. Bild: dpa
taz: Herr Seifert, diese Woche haben Sie zusammen mit Attac und dem Bund der Energieverbraucher fast 10.000 Unterschriften für Stromnetze in öffentlicher Hand an die Bundesregierung gegeben. Ist Robin Wood die erste sozialistische Umweltorganisation?
Dirk Seifert: Nein. Das hat nichts mit Sozialismus zu tun. Stromnetze sind ein natürliches Monopol und sie sind enorm bedeutsam für die Klimaziele, die wir erreichen wollen.
Wieso?
Wir brauchen andere Stromnetze. Die erneuerbare Energien sind in aller Regel kleine, dezentrale Einheiten. Die stehen in der Fläche - überall im Land verteilt. Das momentane Stromnetz ist dafür bis heute nicht geeignet.
Aber das ließe sich ja ändern...
Die großen Energiekonzerne haben kein Interesse an dezentralen Anlagen. Ihnen gehört das Netz und sie haben seit Jahren so gut wie nichts investiert. In Schleswig-Holstein zum Beispiel hat das zur Folge, dass in sehr windlastigen Zeiten die regenerativen Anlagen einfach abgeschaltet werden. Eon sagt: Das Netz ist überlastet. Das stimmt - weil Eon nicht investiert hat. Die versorgen nur ihre eigenen Großkraftwerke.
Reicht es nicht aus, wenn die großen Energieerzeuger von ihren Netzen getrennt werden?
Nein, auch anderen privaten Netzbetreibern geht es um Rendite. Ein Umbau zu einer Netzstruktur, die dem Klima hilft, bedeutet aber Investition. Das schmälert den Profit.
Wenn das Netz in die öffentliche Hand überführt wird - erhalten die Eigentümer dann eine Entschädigung?
Darüber wird man heftig streiten müssen. Ich hätte aber auch nichts gegen eine Enteignung. Schließlich haben die Konzerne viel Geld gemacht. Den Preis für die Netze haben die Stromkunden und Bürger schon x-mal gezahlt.
Müsste nicht auch die Stromerzeugung in öffentlicher Hand sein, damit es zu einer Energiewende kommt?
Nein, der Ausbau der erneuerbaren Energien kann privat passieren. Wir müssen aber die politischen Rahmenbedinungen setzen. Und das zentrale Infrastrukturelement für diese Rahmenbedingungen ist das Stromnetz. Eine Bundesregierung, die das nicht begreift, möchte ich mir lieber nicht vorstellen.
INTERVIEW: FELIX WERDERMANN
Leser*innenkommentare
emiliozapatista
Gast
Ich finde, Anne hat vollkommen recht. Als ergänzendes Beispiel auch die schweizer Bahn ist staatlich und funktioniert ebenfalls hervorragend (übrigens viel besser als die Deutsche Bahn AG, soweit mir schon mehrfach von bahnerfahrenen Leuten versichert wurde). Es gibt gesellschaftliche Bereiche, meintetwegen "öffentliche Güter" zu nennen, die grundsätzlich nicht Marktgesetzmäßigkeiten überlassen bleiben sollten, wozu mindestens auch öffentl. Verkehr und die Versorgung mit Wasser und Energie gehört
- es sei denn die staatliche Kontrolle der beauftragten Unternehmen lenkt diese stark genug, damit diese dem Allgemeinwohl verpflichtend handeln (v.a. wo Staaten wenig demokratisch und sehr korrupt sind, können natürlich manchmal private Unternehmen sogar vorläufig besser sein, als Notlösung; aber in Deutschland haben wir doch eine einigermaßen "funktionierende Demokratie", dachte ich). Staaten wie Marokko, Tunesien, Ägypten u.a. sind zwar vielleicht keine "Musterdemokratien", aber mit einer Kooperation im Energiebereich könnte ja der Dialog allgemein verbessert werden und damit vielleicht auch die Menschenrechte dort vielleicht gestärkt werden (das wird nicht automatisch passieren, aber wenn es bewusst damit verbunden würde, könnte es möglich sein).
Außerdem: Die Staaten, von denen wir heute Erdöl, Erdgas und vieles vieles andere bis hin zu Gütern des täglichen Bedarfs und deren Vorstufen (die dann später zu den Endprodukten werden) beziehen, von China bis Kolumbien u.s.w. sind ja übrigens auch oft noch weniger demokratisch, als Deutschland (dessen Demokratie beileibe auch noch so manche Optimierung vertragen würde, ganz besonders die Ebene der politischen Kompetenzen und der Mentalitäten (kosmopolitische statt der gegenwärtig nationalistischen u.s.w.).
Anne
Gast
Ja, der Ausbau der erneuerbaren Energien kann - überwiegend - privat passieren. Aber er geht viel zu langsam, wenn es bei bisherigen staatlichen Lockmittelchen und Anschüben bleibt. Außerdem ist es ein ernsthaftes Problem, wenn dieselben Unternehmen, die möglichst lange ihre Kohle- oder Atomkraftwerke betreiben wollen, oder sogar noch neue bauen wollen, viel zu viel das Tempo bestimmen, z.B. indem sich einen zu großen Teil der Forschung/Entwicklung in Händen haben, und einen viel zu großen Teil der finanziellen Kapazitäten - z.B. Vattenfall u.a. um teuere Offshorewindparks zu bauen. Auch bzgl. Solarenergie wird es sogar mit höheren Einspeisevergütungen zu langsam gehen. Es müsste hier viel mehr staatliche Initiative ergriffen werden. Die Bahn in Norwegen und Schweden ist ja z.B. auch staatlich (und funtioniert hervorragend - und die britische hat immer mehr Unfälle und Verspätungen seit sie privat ist), warum soll nicht ein Großteil der Erneuerbaren Energie Industrie ebenfalls staatlich sein? Nur weil das zu viele fälschlich und fast paranoid mit DDR u.s.w. gleichsetzen?
Weite Teile Europas könnten bis 2025 zu einem Gridsystem verbunden sein, das fast 100% der elektrischen Energie aus Erneuerbaren Energien deckt, z.B. Windkraft in fast allen europäischen Küstengewässern, Solaranlagen auf 100% aller stabilen und unverschatteten Gebäudedächer, Geothermie (v.a. in Italien und in Balkanländern), Wellenkraftwerke u.s.w. Dazu ein bis dahin möglicher Ausbau von Solar- und Windenergie in Marokko, Tunesien, Ägypten etc. die mit EE mehr als das doppelte ihre Eigenbedarfs erzeugen könnten und die Überschüsse nach Europa exportieren könnten. Nur mit einem Verlassen auf ein kleines bisschen angeregte Markteffekte wird es aber nicht einmal halb so schnell gehen.