Kunst, Krieg, Kongo, Club: Nebenkriegsschauplatz Kunst

Der Künstler Carsten Höller macht keine Objekte, sondern lieber Erfahrungen. In seinem neuesten Projekt The Double Club wird der Krieg im Kongo in London ausgetragen.

Der "Double Club" trennt die Kulturen und bringt die Menschen zusammen. Bild: screenshot: www.thedoubleclub.co.uk

Wenn es nach Carsten Höller geht, kann die Kunst dem Leben gar nicht zu nahe kommen. Nachdem er 2006 in der Turbinenhalle der Tate-Modern-Rutschen aufgebaut hatte, ist er nun mit The Double Club nach London zurückgekehrt - einer Bar, einem Restaurant und einer Tanzfläche, in und auf denen der Kongo auf den Westen trifft. Der Club - von Höller konzipiert und von der Fondazione Prada unterstützt - liegt in einem alten Lagerhaus in einer dunklen Gasse hinter der U-Bahn-Station Angel im Londoner Stadtteil Islington. Von kongolesisch-westlicher Fusion ist hier nichts zu spüren. Der Club hat vielmehr eine gespaltene Persönlichkeit - die man sehen, hören und sogar schmecken kann.

Auf der Speisekarte steht Rebhuhn neben Fumbwa (in Erdnusssoße gekochte Yamsblätter). Kunstwerke von Andy Warhol und Chéri Samba schmücken die Wände des Restaurants. Die eine Hälfte der Bar ist ein kupferglänzender Designerpub, die andere Hälfte eine behelfsmäßige Bretterbude. Auf einer Wand blitzt Werbung für "Primus Bière" auf; eine andere ist mit portugiesischen "azuejos"-Fliesen gekachelt, die die "Fliegende Stadt" des russischen Architekten Georgi Krutikow von 1928 abbilden. Die Tanzfläche ist eine silbrige kreisrunde Scheibe, die sich zu den Klängen von Papa Wemba oder M.I.A. drehen kann.

Die Begegnung zwischen dem Kongo und dem Westen ist nicht unproblematisch, denkt man etwa an die Kolonisierung durch die Belgier. Oder daran, wie jüngst eine 17.000 Mann starke UN-Friedenstruppe - die größte in der Geschichte der UN - nicht in der Lage war, den Rebellengeneral Laurent Nkunda davon abzuhalten, eine humanitäre Krise in Goma zu entfesseln. Höllers Projekt sollte zunächst "Prada Congo Club" heißen, wurde dann aber in "The Double Club" umbenannt, als sich die Krise verschärfte. Der Krieg schadet natürlich der Marke. Die Eröffnung im November fiel mit der Ankündigung der UN zusammen, weitere 3.000 Soldaten in die Demokratische Republik Kongo zu entsenden. Als Geste der Solidarität - oder der Rechtfertigung - werden die Einnahmen von The Double Club dem Unicef-Hilfsprogramm City of Joy gespendet.

"Ich mache nicht gerne Objekte, sondern lieber Erfahrungen", sagt Höller, der seit Jahren immer wieder nach Kinshasa reist, zuletzt, um an einem Film über die zentrale Rolle der Musik in der kongolesischen Hauptstadt zu arbeiten. Der verstorbene Diktator Mobutu Sese Seko, der 1965 die Macht ergriff, sagte gern: "Glücklich ist, wer tanzt und singt." Das galt für ihn bis 1997, dann wurde er von Laurent-Désiré Kabila gestürzt, der den Namen des Landes von Zaire in Demokratische Republik Kongo änderte. Inzwischen regiert dessen Sohn Joseph Kabila. Höller benutzte anfänglich dokumentarisches Filmmaterial von Konzerten in Kinshasa, um diese in Videokunst zu verwandeln. Später schlüpfte der Künstler in die Rolle eines Impresario und lud zwei Stars ein, in seiner Wahlheimat Stockholm zu spielen. Werrason trat 2004 in der Färgfabriken und Koffi Olomide 2005 im Berns auf.

The Double Club ist ein ehrgeizigeres Projekt - und eines, das nicht ohne Konflikte abgeht. Der Krieg im Kongo wird nun in London ausgetragen, allerdings mit anderen Mitteln. Höller hatte gehofft, Top-Bands aus Kinshasa für die Livemusik im Club zu gewinnen, aber seine Pläne wurden von einer Gruppe namens "Combattants de Londres" durchkreuzt. Die Combattants - die in London angeblich 4.000 Unterstützer hat und sich nach Paris und Brüssel ausbreitet - hindert kongolesische Musiker daran, in Europa aufzutreten, weil sie sie als Unterstützer von Joseph Kabila ansieht. Nach der Ermordung seines Vaters 2001 wurde Kabila jr. 2006 in den ersten freien Wahlen des Landes seit den 1960er-Jahren zum Präsidenten gewählt. "Das Regime ist korrupt", sagt Alidor Mutoba, Vorsitzender der Combattants. "Die Musiker haben Joseph Kabila unterstützt, und die Regierung hat sie instrumentalisiert". Die Combattants glauben, dass Ruandas Präsident Paul Kagame den Präsidenten Kabila und den Rebellengeneral Nkunda unterstützt, um das Land zu destabilisieren. Vermeintliches Ziel sei die Annexion der rohstoffreichen Region Kivu, in der sich mehr als die Hälfte des weltweit verfügbaren Koltans, eines Rohstoffs für den Bau von Schaltplatten für Mobiltelefone, befindet.

Aber wie machen sich Politiker die Musiker zunutze? Bob White, Professor für Anthropologie an der Université de Montréal, spricht von "kommerzialisierten Lobgesängen". "Libanga" sagt man dazu auf Lingala, der Sprache, die die Mehrheit im Kongo spricht. "Dédicace" wäre der französische Ausdruck. Auf Deutsch würde man vielleicht schlicht und einfach von Reklame sprechen. Weil sie durch Musikpiraterie verarmt sind, leben die Musiker im Kongo von Fans, die Geld dafür bezahlen, dass ihre Namen in Texten der Bands auftauchen. Die Preise schwanken bei einem Musiker wie Koffi Olomide von 300 US-Dollar für eine Liveperformance und 3.000 Dollar für eine Plattenaufnahme. Unter Mobutu erwartete man von Musikern, das Programm der "animation politique" des Diktators zu preisen - ansonsten riskierten sie den Verlust ihrer Reisevisa. Die Musiker wehrten sich, indem sie "animation" zu "ambiance" verballhornten - einen Begriff, den White mit Ausgelassenheit übersetzt. "Es ist kein Ambient wie bei Brian Eno, sondern die ausgelassene Stimmung einer guten Show", so White.

SAPE - die "Société des ambianceurs et personnes d'élégance" (die Gesellschaft der Stimmungsmacher und der eleganten Personen) - ist ein weiterer Ableger des Widerstands, der in den 1980er-Jahren zwischen den Hauptstädten Paris und Brazzaville mit Nyarkos und Papa Wemba seinen Anfang nahm. Statt sich die traditionellen kongolesischen Gewänder überzustreifen, wie es Mobutu diktierte, trugen die Musiker westliche Designerkleidung (und trugen diese mit dem Futter nach außen, um so stolz die Labels zu präsentieren). Die Musiker haben ungeheuren Einfluss auf den Massengeschmack und die öffentliche Meinung - mehr als die Politiker. Während Kabila seniorpatriotische Lieder forderte - zum Beispiel ein Album, dass 1998 die neue Währung "Franc congolais" feiern sollte -, wird Kabila junior nachgesagt, Propagandamusik in Auftrag gegeben zu haben, um die Wahlen 2006 zu gewinnen. Angeblich erhielten die beliebtesten Musiker bis zu 15.000 US-Dollar pro Lied.

Aus Sicht der Combattants sollten die Musiker das kongolesische Volk finanziell und moralisch unterstützen. "Die Menschen sind unzufrieden", so Combattant Mutoba, in Anspielung auf Mobutus Slogan. "Sie wollen nicht singen und tanzen." Die Mitglieder behaupten, dass sie hinter der Absage von Koffi Olomides Konzert im Londoner Club Coronet im Mai 2007 stünden und selbst hinter dem Nichterscheinen von Papa Wemba bei der Feier von Nelson Mandelas 90. Geburtstag im Hyde Park vergangenen Sommer. Werrason produzierte sogar ein Video mit einem Appell, ihn in The Double Club auftreten zu lassen. "Er kann nicht hierherkommen", beharrt Combattant Mutoba. Die Gruppe schüchtert nicht nur Musiker ein, sie wird auch mit einem Brandanschlag auf die Londoner Botschaft der Demokratische Republik Kongo im Mai 2007 in Zusammenhang gebracht. Ebenso soll sie hinter Angriffen auf kongolesische Würdenträger, die die Stadt besuchten, stecken. Angesichts dieser Konflikte entschied sich Höller, kongolesische Musiker einzuladen, die bereits in London leben.

Es ist acht Uhr abends in The Double Club. Von den Combattants ist nichts zu sehen. Sie haben dem Club - zumindest vorläufig - ihr stilles Einverständnis signalisiert. Africa Jambo - deren Musiker in London leben, aber aus dem Kongo stammen - nimmt Wünsche für "libanga" entgegen. "Heute Abend lassen wir es ruhig angehen", sagt der Sänger Eugene Makuta mit Blick auf die Band, die von 15 auf 4 Mitglieder geschrumpft ist. Der Sänger Aimé Bongongo, ein stolzer "Sapeur", trägt als Erinnerung an den anhaltenden Krieg und dessen Opfer ein Sweatshirt mit einem Peace-Zeichen, das aus den gestickten Umrissen menschlicher Schädel besteht. Wird das musikalische Tempo tanzbar sein? "Das hängt von der Ambiance ab…"

Um elf Uhr ist der Club brechend voll. Höllers Ziel wird deutlich: die Kulturen zu trennen, aber die Menschen zusammenzuführen. Die Gäste ignorieren die ästhetische Apartheid im Club. Nach der letzten Mode in beigen Fellanzügen gekleidete Sapeurs hängen an der westlichen Bar mit ihren Kupferverzierungen ab. Im kongolesischen Teil sitzt eine Gruppe von Prada-Mitarbeitern auf den weißen Plastikgartenstühlen dicht beim offenen Grill. Selbst für Londoner Verhältnisse geht es sehr gemischt zu. Popol Mukelenge, der Moderator der beliebten Kultursendung im kongolesischen Fernsehen "Bercy - Boulevard des Stars", hätte es lieber gesehen, wenn an den Entscheidungsprozessen mehr Kongolesen beteiligt gewesen wären. Selbst der Koch, der das Fumbwa zubereitet, ist kein Kongolese. "Unsere Kultur wird hier zwar gewürdigt", sagt Mukelenge, "aber eine engere Zusammenarbeit wäre wünschenswert gewesen."

Könnte The Double Club ein Ort für andere Begegnungen werden? Für einen Dialog zwischen Musikern und Combattants? Viel Zeit, um es herauszufinden, bleibt nicht. In fünf Monaten wird das gesamte Projekt abgebaut und zur Fondazione Prada nach Mailand verschifft. Das neue Gebäude der Stiftung, ein Entwurf von Rem Koolhaas, soll 2013 nahe der Piazzale Lodi in der früheren Abfüllanlage der der Società Distillerie Italiano eröffnet werden. Vielleicht gibt es dennoch eine Chance, dass The Double Club der Realität noch näher kommt und die Träume eines zerstörten Landes in einen Dialog der Hoffnung verwandelt.

Übersetzung: Niklas Hofmann und Claudia Kotte

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.