Abenteuerliches Skispringen: Russen überraschen auf der Schanze

Die Erfolge der russischen Skispringer finden Anerkennung - auch finanziell. Trainer Wolfgang Steiert spricht dennoch von einem "Abenteuer".

Geballte Freude: Der russische Vorspringer Dmitri Wassiljew macht vor, wie es geht. Bild: dpa

Ein Trainingslager für 20 russische Skispringer und deren Vereinstrainer in Hinterzarten oder Finnland? Russische Skispringer dürfen ohne Visum nicht nach Europa reisen. Und um ein Visum zu bekommen, brauchen sie eine Einladung. "Aber ich bin Trainer, kein Verband, kein Verein. Wie soll ich eine Einladung aussprechen?" Wolfgang Steiert hat also den Hinterzartener Skiclub gebeten, eine Einladung zu formulieren. Und die 20 Springer samt Trainer durften ausreisen. Wolfgang Steiert erzählt solche Episoden, um zu unterstreichen, dass sein Job als Cheftrainer der russischen Weltcupmannschaft mehr ist, als mit den besten Athleten des Landes an deren Form zu feilen. Die zwei Trainingslager im Schwarzwald und Finnland konnten stattfinden, Steiert war zufrieden. "Wir konnten gut arbeiten."

Steierts "Abenteuer", wie er sein Engagement selbst einmal nannte, scheint sich spätestens seit dieser Vierschanzentournee zu lohnen. Dmitri Wassiljew ist vor dem Abschlussspringen in Bischofshofen Fünfter der Gesamtwertung noch vor dem jeweils besten Finnen (Harri Olli) und Norweger (Anders Jacobsen). Beim Auftakt in Oberstdorf war Wassiljew sogar Dritter. Und Ilja Rosliakow belegte beim Bergisel-Springen Rang zwölf. Steiert: "Es läuft überragend für uns."

Das russische Team betreut er gemeinsam mit dem Schweizer Bernie Schödler, der einst Simon Ammann bei dessen Olympiasiegen 2002 und dessen WM-Titel 2007 trainierte. Vor allem um den Nachwuchs soll Schödler sich kümmern, damit die Erfolge russischer Skispringer von Dauer sind. Für das Skispringen gibt es in Russland kaum Infrastruktur. Die Schanzen sind veraltet, das Material oft nicht wettbewerbsfähig, und, sagt Steiert vorsichtig, viele Trainer hingen noch einer antiquierten Schule an: "Die glauben, viel trainieren hilft viel." Dabei brauche es längst eine andere Trainingsmethodik. Doch die ließe sich nicht allein in Besprechungen vermitteln. "Man muss Erfolge vorweisen können. Wenn wir nur um Platz 30 mitspringen würden, hätten die kein Vertrauen."

Seit Jahren werden in Russland moderne Schanzenbauten versprochen. Über das Planungsstadium ist man jedoch nie hinausgekommen. In Garmisch-Partenkirchen nun sei eine Vertreterin des Organisationskomitees für die Winterspiele 2014 in Sotschi zu Gast gewesen, berichtet Steiert. 2012 seien die Schanzen im Olympiaort fertig.

Steiert hält die Zügel fest in der Hand. Über Weihnachten ließ er seine Springer nicht nach Hause fliegen, zu stressig wären die mehrtägigen Reisen gewesen. Und er hält Kontakte: zu den Sponsoren, zu Materiallieferanten. "Was das Material betrifft, sind wir absolut konkurrenzfähig." Und - ein kleines Lächeln kann er sich da nicht verkneifen - eine Schweizer Firma produziere exklusiv Sprunganzüge - nur für das Schweizer Team und die Russen. "Viele andere haben auch angefragt, aber die kriegen die Anzüge nicht." Zudem sei Russland für Skifirmen ein attraktiver Markt. Auch deshalb würden seine Springer gerne mit modernen Sprungskiern ausgestattet

Steiert, einst an der Seite von Reinhard Heß für die großen Erfolge des deutschen Skispringens wie Martin Schmitts vier WM-Titel und Sven Hannawalds Vierschanzentournee-Triumph verantwortlich, kennt sich aus in der Branche. Daran hat sich auch nichts geändert, nachdem sein kurzzeitiges Engagement als deutscher Cheftrainer im Oktober 2004 abrupt endete.

Sponsorenengagement jedoch ist ein schmaler Grat: Ein Pharmaunternehmen aus der Oberpfalz, ein Sportartikelhersteller und die deutsche Niederlassung des Energiekonzerns Gazprom stehen den Springern zur Seite. "Das ist eine echte Zusammenarbeit", sagt Steiert. Dazu gehörte dann auch, dass der Mannschaftsbus des Bundesligisten FC Schalke 04, der ebenfalls von Gazprom gesponsert wird, mal bei der Vierschanzentournee zu Gast war und die russischen Springer umherfuhr.

Wolfgang Steiert sitzt in einem Hotel in St. Johann nahe Bischofshofen. Bequeme Sessel in der Lobby, zuvorkommendes Personal an der Rezeption. Aus Lautsprechern erklingt leise klassische Musik. "Früher waren die Unterkünfte spartanischer", sagt er. Aber mit besseren Leistungen auf der Schanze seien eben auch komfortablere Hotels drin. "Umgekehrt darf es natürlich nicht sein, also erst das tolle Hotel und dann vielleicht die Leistung." Seinem Team hat er einen Slogan mit auf den Weg gegeben: "Stairway to Sotschi", findet Steiert, ist ein schöner "Claim". Man müsse eben "Schritt für Schritt gehen". Und dazu gehört im Falle eines Falles eben auch Kreativität bei der Beschaffung von Visa.

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