: Ende eines Schauprozesses
In Usbekistan werden 15 Personen wegen Terrorismus zu Haftstrafen zwischen 14 und 20 Jahren verurteilt. Sie sollen Drahtzieher bewaffneter Proteste in Andischan gewesen sein
BISCHKEK taz ■ Das oberste Gericht Usbekistans hat ein halbes Jahr nach dem Massaker von Andischan 15 Angeklagte wegen Terrorismus, religiösem Extremismus und Verfassungsfeindschaft zu Haftstrafen zwischen 14 und 20 Jahre verurteilt. Das Richtertrio folgte damit weitgehend der usbekischen Staatsanwaltschaft und verzichtet auf die Verhängung der Todesstrafe. Die Angeklagten hatten sich bereits am ersten Prozesstag vor sechs Wochen einhellig für schuldig bekannt und in ihrem Schlusswort erklärt, dass sie eigentlich die Todesstrafe verdient hätten. Die Anwälte der in einem Eisenkäfig sitzenden Männer entschuldigten sich bei der usbekischen Öffentlichkeit, ihre Mandanten überhaupt verteidigt zu haben.
„Der Prozess hat nichts zur Klärung beigetragen, welche staatlichen Einheiten auf die unbewaffneten Demonstranten geschossen haben und wer den Befehl gegeben hat“, sagt die Direktorin von Human Rights Watch für Europa und Zentralasien, Holly Cartner.
Das an stalinistische Schauprozesse erinnernde Verfahren in Taschkent sollte mit Hilfe von ausgesuchten Zeugen und aussagewilligen Angeklagten die obskure Sichtweise der usbekischen Regierung belegen: Bei dem Aufstand in Andischan am 13. Mai hätte es sich um eine Verschwörung islamistischer Terrorgruppen, westlicher Medien und Nichtregierungsorganisationen sowie der US-amerikanischen Botschaft in Taschkent gehandelt. Das benachbarte Kirgisien wurde beschuldigt, dass auf dessen Territorium die Terroristen ausgebildet worden seien.
Augenzeugen und zu jener Zeit in Andischan anwesende Journalisten hatten jedoch gesehen, dass sich die Bürger der usbekischen Provinzstadt am 13. Mai gegen Rechtswillkür und Korruption der usbekischen Staatsmacht erhoben hatten. Sicherheitskräfte des usbekischen Innenministeriums hatten ohne Vorwarnung von Panzerwagen aus auf eine mehrtausendköpfige Menschenmenge geschossen und viele hundert Andischaner Bürger getötet.
In der mehrstündigen Urteilsbegründung wurden namentlich einheimische und ausländische Journalisten, die über das Massaker berichtet hatten, der Mittäterschaft bezichtigt. Die Angeklagten bestätigten während des Prozesses die vom Staatsanwalt vorgegebene Linie. Sie machten nach Angaben von Prozessbeobachtern einen durch Folter gebrochenen und abwesenden Eindruck.
Nur die geladene Zeugin Mahbuba Sokirowa hatte sich der Prozessregie entzogen und am 14. Oktober überraschend ausgesagt, dass es in Andischan keinen terroristischen Umsturz gegeben habe und die usbekischen Sicherheitskräfte ohne Vorwarnung in eine Menschenmenge geschossen hätten. „Ich habe die Wahrheit gesagt, werden sie mich nun verhaften?“, sagte die Usbekin, als der sichtlich überraschte Staatsanwalt sie ermahnte, ihre Worte zu überdenken.
Die Aussagen Sokirowas blieben im weiteren Prozessverlauf unberücksichtigt. Stattdessen beschuldigte die usbekische Presse die Zeugin, mit den Terroristen zu paktieren. Der Prozess wurde in Usbekistan von einer Kampagne gegen ausländische Medienanstalten wie die BBC, Radio Free Europe und die Deutsche Welle begleitet. Kritische Journalisten wurden verhaftet, zusammengeschlagen oder aus dem Land getrieben. Ende Oktober hat daher die britische Sendeanstalt BBC aus Sicherheitsgründen ihr Korrespondentenbüro in der Hauptstadt Taschkent geschlossen.
Die USA und die EU forderten nach dem Massaker eine unabhängige Untersuchung, der sich der usbekische Präsident Islam Karimow verweigert. Die USA wurden stattdessen von Taschkent aufgefordert, die Militärbase im usbekischen Karschi zu räumen.
Die EU verhängte Sanktionen und Visumsbeschränkung gegen den zentralasiatischen Staat. Gleichwohl durfte nach Angaben des Spiegels der usbekische Innenminister Sakir Almatow im Oktober nach Deutschland einreisen und lässt sich seither in einer privaten Luxusklinik, dem International Neuroscience Institute in Hannover, medizinisch behandeln.
Almatow gehört zu den Hauptverantwortlichen des Massakers von Andischan. Die Visumserteilung an den usbekischen Innenminister erfolgte aus „humanitären Gründen“, wie ein Sprecher des deutschen Außenministeriums dem Nachrichtenmagazin mitteilte. Deutschland unterhält nach wie vor einen Luftwaffenstützpunkt in Termes. Von dort versorgt die Bundeswehr die Isaf-Mission im benachbarten Afghanistan.
MARCUS BENSMANN