Wahlkampf im Irak: Mit Lippenstift und Schleier

Im Irak werden die Abgeordneten für die Mehrzahl der Provinzräte neu gewählt. Erstmals nehmen die Sunniten in großer Zahl an Wahlen teil. Auch viele Frauen treten an.

Wahlkampf in der irakischen Stadt Kufa, südlich von Bagdad. Bild: ap

BAGDAD taz Sie baumeln über Straßen, kleben an Laternenpfählen, an Brücken, an den Sprengschutzwänden und den Stracheldrahtverhauen - ganz Bagdad ist mit Transparenten und Wahlplakaten tapeziert. Noch in den letzten Stunden vor den Provinzwahlen an diesem Samstag hängen die Kandidaten neue Plakate auf. Anders als bei der vorangegangenen Wahl können die Iraker diesmal auch einem Kandidaten ihre Stimme geben, nicht nur einer Partei. Und je länger der Wahlkampf dauert, umso mehr Frauen sind auf den Plakaten zu sehen, auch wegen der Quote des Wahlgesetzes von 25 Prozent.

Mit Ausnahme der drei kurdischen Provinzen im Nordirak und der Provinz Kirkuk werden am Samstag in 14 der 18 irakischen Provinzen die Lokalparlamente neu gewählt. Obwohl auch diesmal der Wahlkampf von einer Reihe von Anschlägen überschattet wurde und sechs Kandidaten, unter ihnen eine Frau sowie ein Mitglied der Wahlkommission, ermordet wurden, verlief der Wahlkampf weitgehend friedlich. Das hat schließlich auch zahlreiche Frauen ermutigt, Gesicht zu zeigen.

Eine von ihnen ist Anwar Ali Fikri. "Zuerst hatte ich Angst", sagt Fikri. Wie viele Frauen musste auch Fikri zur Kandidatur den Widerstand ihrer Familie überwinden. "Mein Vater war dagegen, dass ich antrete", sagt die Schiitin. "Aber auch zur Zeit des Propheten nahmen Frauen am wirtschaftlichen und politischen Leben teil. Das sollte heute nicht anders sein."

Von Kopf bis Fuß züchtig verhüllt, tritt die 31-jährige Lehrerin in Bagdad für den Iraqi Supreme Council of Iraq (ISCI) an, eine der größten schiitischen Parteien. Der ISCI ist Mitglied der Regierungskoalition und dominiert zahlreiche Lokalparlamente im schiitischen Südirak.

Doch die Unzufriedenheit mit der Regierung ist groß. Das spiegelt sich auch in der großen Zahl der Parteien und Personen, die zur Wahl antreten. Mehr als 14.000 Personen bewerben sich um die insgesamt 440 Sitze in den Provinzräten. Topthemen dieser Wahl sind die öffentlichen Dienstleistungen, Arbeitslosigkeit und die wirtschaftliche Entwicklung. Dem tragen auch die etablierten Parteien wie der ISCI Rechnung. Sollte sie gewählt werden, werde sie den Ausbau der Schulen, in denen oft in drei Schichten unterrichtet werde, voranbringen, sagt Fikri. Über ihre lokale Bedeutung hinaus sind die Wahlen auch ein erster Test für die Regierungsparteien, die sich Ende des Jahres zur Wahl stellen müssen. Dabei hat der schiitische Regierungschef Nuri al-Maliki seine Position in die Waagschale geworfen. Wie der ISCI kämpft al-Maliki vor allem um die Stimmen im Südirak. Der Wahlausgang wird ein wichtiger Gradmesser dafür, ob al-Maliki die Zentralregierung stärken kann oder ob sich der ISCI mit seinen Forderungen nach einem schiitischen Teilstaat durchsetzt.

Die größte Veränderung erleben jedoch die mehrheitlich sunnitischen Gebiete, wo erstmals seit dem Sturz von Saddam Hussein eine große Zahl sunnitischer Kandidaten ins Rennen geht. Dabei hoffen Politiker, die aus den Bündnissen gegen al-Qaida hervorgegangen sind, dass sich ihr Einsatz politisch niederschlägt.

Mit der sunnitischen Beteiligung werden aber vor allem die Provinzräte in den umstrittenen Gebieten wie Mossul oder Dijala stärker als bisher den Willen aller ihrer Bürger widerspiegeln. Besonders die kurdisch dominierte Provinz Ninive um Mossul, von der die Kurden einige Gebiete in ihren Teilstaat integrieren wollen, ist heiß umkämpft. Vom Wahlausgang hängt es ab, ob der Irak auf eine neue Konfrontation zwischen Arabern und Kurden zusteuert oder der Konflikt friedlich beigelegt werden kann.

Um die Wähler an die Urnen zu locken, haben die Parteien und Kandidaten weder Mühe noch Mittel gescheut. Dabei suchten in den letzten Tagen auch vermehrt säkular eingestellte Frauen die Öffentlichkeit. Mit oder ohne Kopftuch und Lippenstift werben sie für einen modernen Irak. Erst die Zeit nach den Wahlen wird aber zeigen, ob die Demokratie im Irak damit einen weiteren Schub erlebt.

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