Kolumne the stars down to earth (1): Kunst, Küche, Korridore

Die Berlinale-Kolumne

In den letzten Jahren entwickelte die Berlinale ein Herz für die Musik, besonders die Popmusik. Obwohl die längst ihre eigenen visuellen Genres entwickelt hatte, gab es vor allem Live- und Backstage-Dokus. Dieses Mal sind es das Kochen und die Lebensmittel im Allgemeinen - obwohl die doch auch? - aber dazu später. Holm Friebe und Kathrin Passig haben sich in einer ihrer Trend-Kolumnen neulich gefragt, was mit all dem Wohnraum passiert, der nun dadurch frei wird, dass die ganzen Schallplatten- und CD-Sammler ihre Archive auf iPods und Festplatten verschoben haben. Angeblich würden die repräsentativen Räume nun von theatralen Koch-Installationen gefüllt: bombastische Podeste, auf denen die gereiften Neubürgerlichen vor ihren Gästen kreativ bestehen wollen, wie vor kurzem noch in der Karaokebar.

Das eigentliche Kochphänomen, das die Berlinale interessieren müsste, wäre also nicht das grassierende Kochen, sondern das grassierende Kochen-Performen, auch zu Hause, aber insbesondere im TV. Hierzu gibt es einen ultimativen Kommentar schon aus dem Jahr 2003, der sich auch gut an einer der vielen Schnittstellen zwischen Kino und Kunst gemacht hätte, an denen diese Berlinale mal wieder reich, ja reicher ist als jede vorangegangene: Christopher Williams hat in seiner Arbeit "Supplement" eine TV-Kochsendung des Schweizer Fernsehens mitgeschnitten. Allerdings verzichtete er auf den Schnitt, wenn irgendwelche Speisen unspektakulär vor sich hin garten oder in Öfen und Pfannen rumbrutzelten. Die DVD, die man nicht fast forwarden kann, dauert knapp fünfeinhalb Stunden, in den man auf Ofenfenster starren und dazu Arnold Schönbergs "Begleitmusik zu einer Lichtspielszene" hören kann, bis nach Jahrhunderten harmlose Moderatorinnen zurückkehren und den Braten präsentieren.

Eine zu wenig beachtete Schnittstelle zwischen Kino und Kunst findet sich in der der Berlinale durchaus benachbarten Gemäldegalerie. Die alte Frage, die von Michael Snows "Wavelength" (ein 45-minütiger Zoom durch einen Raum - Snow ist mit neuen Arbeiten beim forum expanded vertreten) bis zur neuesten Arbeit von Sharon Lockhart ("Lunch Break": ein auf 83 Minuten verlangsamter Zoom durch einen Korridor in einer Fabrik, an 42 Arbeitern vorbei, die Mittagspause machen, 7. 2, 17.30 Uhr und 9. 2., 20.30 Uhr im Arsenal) sich immer wieder stellt, ist ja die, wie eine Kamera einen Raum erobert und welche Kontinuität der dadurch gewinnt, dass ihn die Kamera mit einer gewissen Regelmäßigkeit durchmisst.

In der Gemäldegalerie kann man studieren, wie vor Jahrhunderten Maler langsam die Mittel entwickeln, einem Raum kontinuierliche und psychologische Tiefe nicht mehr durch architektonische Homogenität zu verleihen; durch reiche Interieurs jenseits von als Pfeilern und Türrahmen getarnten mathematischen Hilfslinien in Tempeln, Loggias und Galerien. Ziemlich früh und ziemlich weit, nämlich schon um 1455, geht es bei dem linken und dem rechten Flügel des Johannesaltars von Rogier von der Weyden in die Tiefe. Man glaubt, solche Räume erst von Vermeer und seinen Zeitgenossen zu kennen, aber diese Zimmerflucht hier lädt bereits zu einer Plansequenz von köstlichster Sogkraft. Statt bei Vermeer, der in Berlin nicht stark vertreten ist, kann man dafür bei einigen Bildern seines Zeitgenossen Pieter de Hooch (1597-1665) in niederländischer Tiefenschärfe schwelgen. In einer Zeit, wo genussvolle Eroberung von Räumen immer öfter buchstäblich an die kriegerische Klärung von Unübersichtlichkeit in Spielen aus der Ego-Perspektive gebunden ist, kann man hier studieren, warum Kameras und Objektive überhaupt erfunden wurden. Bevor dann Filme gemacht wurden, die man auf Festivals schleppte, um sie Massen von Journalisten und diversen anderen Leuten zu zeigen, die offensichtlich immer wieder sehen wollen, was man mit diesen Kameras machen kann.

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