"Trauermarsch" und Fackelzug in Dresden: Rekord-Aufmarsch von Neonazis

Mit Wagner, Leberwurstbrot und kaputter Grammatik ziehen die Rechtsradikalen durch Dresden. Diesmal kommen 6.000 - der größte Neonazi-Aufmarsch der Bundesrepublik.

"Das Mitführen von Reichskriegsflaggen ist verboten": Marsch der Rechten am Samstag in Dresden. Bild: dpa

DRESDEN taz Am Freitagabend klingt Lachen über einen unbeleuchteten Parkplatz hinter dem Dresdner Hauptbahnhof. Über 1.000 Neonazis sammeln sich hier, um zum nunmehr zehnten Mal mit einem Fackelzug ihre Version der Bombardierung Dresdens auf die Straße zu tragen.

Junge Männer mit Thor-Steinar-Pullovern und Palästinensertüchern knuffen sich zur Begrüßung in die Seite, die blonden Pferdeschwänze der Mädchen wippen beim Küsschengeben. Man plaudert über den Schnee im Erzgebirge und die neue Liebschaft. "Wie heißt deine Freundin?", fragt einer. "Emily?" Sein Gegenüber korrigiert: "Amelie! Schön deutsch." Eine junge Frau mit Glitzerstein in der Oberlippe verkauft Leberwurstbrötchen, 1 Euro das Stück.

"Das Mitführen von Reichskriegsflaggen sowie von Flaggen, die das Symbol der schwarzen Sonne zeigen, ist verboten!", plärrt es aus dem Lautsprecherwagen. Gegen halb sieben setzen sich die Rechtsextremen in Bewegung: In Fünferreihen, leise murmelnd, flankiert von Polizisten mit Helmen, Schlagstöcken und Körperpolsterung. Fotografen und Kameraleute gehen am Straßenrand schweigend ihrer Arbeit nach. Aus den Boxen schallt die Ouvertüre der Wagner-Oper "Rienzi".

Der bis Samstag größte Nazi-Aufmarsch in der Geschichte der Bundesrepublik fand am 1. März 1997 statt, als fast 5.000 Rechtsextremisten in München gegen die Ausstellung "Verbrechen der Wehrmacht" demonstrierten. Berlin erlebte den größten Aufmarsch anlässlich dieser Ausstellung am 2. Dezember 2001 mit 3.000 Anhängern vor allem der NPD. Neonazis zogen alljährlich zum Grab von Hitlers Stellvertreter Rudolf Hess, der im bayerischen Wunsiedel begraben liegt. Höhepunkt 2004: Rund 5.000 Teilnehmer. Wichtiger Anlass für die rechte Szene war immer das von ihr bezeichnete "Heldengedenken" im brandenburgischen Halbe, wo sich der größte Soldatenfriedhof aus dem Zweiten Weltkrieg befindet. Bis zu 2.000 Neonazis marschierten 2005 am Volkstrauertag durch Halbe. Der Aufmarsch am Samstag in Dresden ist mit 6.000 Neonazis ihr bislang größter. FLEE

Zwischendurch hält ein "Kamerad Andreas" aus Magdeburg keine Rede: Er brüllt Tiraden, seine Stimme überschlägt sich fast. "Volksgenossen!", gellt es über den Platz. Die dunklen Fassaden werfen die Phrasen zurück: "Luftmörder", "Heimatfront", "Ehrenschutz". Zwei Mädchen legen einen Kranz nieder und heben ihn alsbald wieder auf.

Kurz bevor die Neonazis den Platz der Abschlusskundgebung erreichen, schaffen drei linke Aktivisten es doch noch. Aus einer dunklen Seitenstraße stürzen sie hervor, reißen die Flaggen Israels und der USA in die Höhe und rufen: "Nie, nie, nie wieder Deutschland!" Rasch werden sie von Polizisten abgedrängt. Dann dröhnt wieder nur Wagner durch die Nacht. Verträumt dirigiert eine ältere Dresdnerin dazu.

Am Samstag ist der Neonazi-Aufmarsch zu 6.000 Teilnehmern angewachsen. Damit sich ein Zusammentreffen mit Gegendemonstranten nicht wiederholt, schirmt eine Eskorte den "Trauermarsch" ab. Ausbrüche sind ob der verordneten Disziplin nicht zu befürchten. "Warum sollen die verschwinden?", meint sogar ein älterer Dresdner in einer Diskussion am Rande. "Die haben sich doch anständig benommen."

So gesehen müssen die Studenten der Wohnheime an der Petersburger Straße als Provokateure gelten, wenn sie "Nazis raus!" rufen und Wasserbeutel in Richtung der Neonazis werfen. Eingestimmt durch Kriegserinnerungen des 95-jährigen Ritterkreuzträgers und Altnazis Hajo Herrmann, zieht der Tross schweigend am Rande des Stadtzentrums entlang. Die Spruchbänder der Reichsdeutschen demonstrieren vor allem die mangelnde Beherrschung der muttersprachlichen Grammatik: "Wir gedenken den Opfern des alliierten Bombenterrors."

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