Anwohner protestieren gegen Potsdamer Flüchtlingsheim: Asyl für den Alltagsfrust

In einem Potsdamer Stadtteil soll ein Flüchtlingswohnheim für 150 Menschen eröffnet werden. Die Anwohner protestieren. Eine Bürgerversammlung soll die aufgebrachte Volksseele beruhigen.

Keiner will sie: Flüchtlinge habens schwer Bild: REUTERS

Erhitzte Gesichter, brodelnde Stimmung, wuselnde Kamerateams: Die Atmosphäre im Saal kocht. Aufgeregte alte Männer stammeln ihren Frust ins Mikrofon: "Wir wollen keinen neuen Brandherd", ruft der eine. "Das Boot ist voll" der andere. Und ein Dritter hat genug von "Toten, Drogen und Polizeirazzias".

Der Applaus im Bürgerhaus in Potsdam-Schlaatz an diesem Montagabend ist laut. "Genau",schallt es aus der einen Ecke, "Bravo" aus der anderen. Dazwischen steht der stadtbekannte Michael Guse von der DVU, der nicht frei sprechen kann und lieber eine Erklärung verliest, während die Potsdamer Antifa ihn gnadenlos ausbuht. Der Grund für die Aufregung: ein geplantes Flüchtlingsheim.

Der Moderationsleitung fällt es schwer, zwischen Podium und Potsdamern zu vermitteln. Nachdem der erste Ärger im Saal verraucht ist, kommt endlich Marcel Kankarowitsch zu Wort. Der Geschäftsführer der Diakonie Potsdam, die das Flüchtlingswohnheim ab 1. Juli betreiben wird, wirft mit einem Beamer die Fakten an die Wand. "Viele wissen ja gar nicht, worüber sie hier eigentlich diskutieren", sagt der kleine, drahtige Mann. Die Lautstärke im Saal legt sich etwas.

Potsdam will 150 Asylbewerber stärker integrieren. Seit Jahren wohnen sie in umgebauten Schweineställen, neben einer Kläranlage, kilometerweit von der Stadt entfernt. Für das integrative Projekt saniert die Diakonie gerade ein leerstehendes Wohnheim im Plattenviertel Schlaatz. Die Stadt wird für den Betrieb - eine kommunale Pflichtaufgabe - etwa 700.000 Euro im Jahr zahlen. Die Bewohner des Heims werden nun erstmals vor der Haustür Straßenbahnanbindung, Ärzte und Schule haben. So soll ihnen die Tür zu unserer Gesellschaft geöffnet werden, erklärt die Potsdamer Sozialbeigeordnete Elona Müller. Dass die Stadt auch für die umgebauten Schweineställe zuständig war, erwähnt sie nicht.

Die Zahl der Asylbewerber ist in der Landeshauptstadt rückläufig. 2008 wurden ihr lediglich 24 neu zugewiesen. Vor fünf Jahren waren es 110. Und auch der Ausländeranteil in Potsdam stagniert: Laut Verwaltungsstatistik gibt es derzeit knapp 7.000 Einwohner mit ausländischem Pass - etwa 4,5 Prozent der Potsdamer.

Als die Pläne für das neue Flüchtlingswohnheim Ende Januar bekannt wurden, entbrannte starker Widerstand bei den Anwohnern und besonders bei der Potsdamer Wohnungsbaugenossenschaft PBG. Sie bewirtschaftet im betroffenen Viertel die meisten Platten. In einem öffentlichen Brandbrief drohte sie bei einem Einzug der Flüchtlinge aus Asien, Afrika und Osteuropa, ihre geplanten Millionen-Investitionen für diese Gegend aufzugeben. Sie erklärt: "Eine derartige Nutzung steht der nachhaltigen Entwicklung der betroffenen Region im Wege." Das "zarte Pflänzchen" einer positiven Entwicklung am Schlaatz würde so "zertreten werden". "Menschenverachtend", schimpfen die Potsdamer Grünen zurück.

Das Wohngebiet Schlaatz wurde 1987 im typischen DDR-Platten-Stil errichtet. Einige Fassaden wurden inzwischen gestrichen, bei vielen scheint die Wende noch nicht angekommen zu sein. Zwischen den Blöcken erscheint das neue Bürgerhaus wie ein postmodernes Ufo, umgeben von einer original erhaltenen DDR-Kaufhalle, verrostetem Asia-Imbiss und der obligatorischen Dönerbude. Rund 9.000 Menschen wohnen hier, 10 Prozent haben keinen deutschen Pass. 150 neue Flüchtlinge scheinen da nicht aufzufallen.

Am Montagabend versucht auch die Polizei, die Menge zu beschwichtigen: Potsdams Polizeidirektor Ralf Marschall bemüht dazu die Statistik. 2008 habe es in der gesamten Stadt rund 22.000 Straftaten gegeben, 16.000 Täter konnten ermittelt werden, 57 davon waren Asylbewerber. Zudem verspricht er eine Extrastreife für das Heim. Und Kankarowitsch will einen Sicherheitsdienst beauftragen, der die Asylbewerber "von innen und gegen außen" schützen soll.

Doch erst der evangelische Kiez-Diakon Matthias Stempfle kann die Gemüter wirklich abkühlen. "Das Flüchtlingswohnheim ist nur ein Ventil", sagt er. "Wir Schlaatzer fühlen uns durch das Potsdamer Bürgertum und die Stadtverwaltung zu Bürgern zweiter Klasse herabgewürdigt." Man habe hier viele Ausländer integrieren können. Aber niemand erkenne das an. "Die Integration der 150 Flüchtlinge schaffen wir doch locker", ruft er in das Mikrofon und erntet überraschend viel Applaus.

Plötzlich gibt es immer mehr Stimmen, die kein Problem mit den Flüchtlingen haben. "Mich stört etwas ganz anderes", meldet sich eine 60-jährige Dame zu Wort: "Der viele Hundekot!" Müller will sich darum kümmern. Auch die Bitte eines zehnjährigen Schülers wird notiert, die einstürzende Decke des Schulgebäudes zu reparieren. Das Flüchtlingsheim scheint in Anbetracht der Alltagsprobleme in weite Ferne gerückt zu sein.

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