Streit um serbische TV-Sendung: 60 Minuten zu viel

Das Oberhaupt der Muslime Bosniens, Ceric, und der Chef der bosnischen Serben, Dodik, haben nur ein gemeinsames Interesse: die Absetzung des TV-Magazins "60 Minuten".

Keine Lust auf kritische Journalisten: Milorad Dodik. Bild: reuters

Die bosniakische (muslimische) Bevölkerungsgruppe in Bosnien und Herzegowina umfasst ungefähr 2,2 Millionen Einwohner, von denen jedoch vor allem die städtischen Bevölkerungen laizistisch geprägt sind. Während des Krieges 1992-1995 und danach aber hat die Religion an Einfluss zurückgewonnen. Der traditionelle bosnische Islam ist durch den türkischen Islam und die geistig weltoffene persische Strömung der Hanefiten geprägt. Der moderne bosnische Islam akzeptiert die Gewaltenteilung im Staat, tritt ein für die Integration in ein demokratisches Europa und wird deshalb seit kurzem als "europäischer Islam" definiert. Seit dem Krieg hat sich um die Zeitschrift Saff eine radikalere Strömung entwickelt, die sich an die islamischen Länder anlehnen möchte und den westlichen Einfluss ablehnt. Die von Saudi-Arabien finanzierten Wahhabiten versuchen gegen den Widerstand der proeuropäischen Traditionalisten in dieser Szene Fuß zu fassen. ER

Auf den Straßen bewegen sich nur wenige Autos. Und Verabredungen müssen abgesagt werden. Denn der Montagabend gehört dem inzwischen schon legendären Fernsehjournalisten Bakir Hadziomerovic mit seinem kritischen Politmagazin "60 Minuten" im Fernsehen der bosniakisch-kroatischen Föderation. Die Sendung ist beliebt beim normalen Volk und wird gehasst von den Mächtigen, den Korrupten, den Nationalisten und religiösen Fanatikern.

Mustafa Ceric, der Reisu-l-Ulema, das religiöse Oberhaupt der bosnischen Muslime, würde seine Schäfchen am liebsten vor der "Provokation eines schlechten Journalismus" bewahren. Die ständige Kritik an ihm, seiner Lebensweise und seines Führungsstils, der Verquickung von religiöser und politischer Macht, den finanziellen Machenschaften seiner Gefolgsleute stören ihn empfindlich.

Und sogar in der serbischen Teilrepublik Bosnien und Herzegowinas, der "Republika Srpska", wird die Sendung gern gesehen. Dort hat aber Ministerpräsident Milorad Dodik das durchgesetzt, wovon Mustafa Ceric nur träumen kann: Während der "60 Minuten" wird die Übertragung des Föderationsfernsehens ausgesetzt. Nur dort, wo die Sender des anderen Teilstaates in die serbische Teilrepublik hineinreichen, herrscht also Pressefreiheit. In Banja Luka, der Hauptstadt der "Republika Srpska", treffen sich am Montagabend deshalb Familien und Freunde bei jenen, die "60 Minuten" empfangen können. Und dürfen sich daran ergötzen, wie die Sendung aus Sarajevo nicht nur dem Oberhaupt der Muslime, sondern auch ihrem Regierungschef Milorad Dodik auf die Füße tritt.

Der scharfzüngige Bosnjak Bakir Hadziomerovic kennt keine Grenzen, schon gar keine ethnischen oder religiösen. Aus Banja Luka berichtet der serbische Journalist Slobodan Vaskovic. Damit gewinnt die Sendung in ganz Bosnien an Glaubwürdigkeit, und genau da wittern Mustafa Ceric und Milorad Dodik die Gefahr. Die beiden sind eigentlich Gegner, der eine Oberhaupt der bosnischen Muslime und der andere der Chef der überwiegend serbisch-orthodoxen Teilrepublik. Nur im Kampf gegen "60 Minuten" sind sie sich einig. Denn sie möchten beide in der jeweils eigenen Volksgruppe ideologisch und politisch unbestritten den Ton angeben.

Der in ganz Europa mit vielen Preisen überhäufte Ceric gilt als ein weltgewandter, vielsprachiger Theologe, der gerne zum Dialog der Religionen eingeladen wird. Ceric stellt sich als ein Vertreter eines "europäischen Islam" dar, der die Demokratie und die Menschenrechte achtet, und der es gerne hört, wenn er zur glitzernden Führungsgestalt der europäischen Muslime hochstilisiert wird.

Doch im eigenen Land ist er schon vor Jahren in die Kritik gekommen. Nicht nur in der Fernsehsendung "60 Minuten" oder den in Sarajevo erscheinenden Wochenzeitungen Dani und Slobodna Bosna, sondern vor allem in der islamischen Gemeinschaft selbst. Sein Gegenkandidat für die Wahl des Reisu-l-Ulema im Jahre 2005 bekam immerhin 120 von 300 möglichen Stimmen. Damit wurde schon damals deutlich, dass nicht alle Delegierten der islamischen Gemeinden dem Kurs Ceric folgen wollten. Seine Kritiker werfen ihm seither vor, die kleine Gruppe der saudi-arabisch gelenkten Islamisten, die Wahhabiten, in Bosnien gewähren zu lassen oder sie zumindest nicht energisch genug zu bekämpfen.

Das damalige Wahlergebnis muss für ihn schockierend gewesen sein. Seither versucht Ceric gezielt, seine Machtposition innerhalb der islamischen Gemeinschaft auszubauen, und verbündete sich mit den radikaleren Strömungen innerhalb der islamischen Gemeinschaft. Seine Kritik an den Wahhabiten wurde leiser. Vor allem die ihm kritisch gegenüberstehenden Professoren der Islamischen Fakultät in Sarajevo wurden abgestraft. Das Institut hat nun extreme finanzielle Schwierigkeiten. Wer Ceric kritisiert, gerät in Gefahr, fortan als "kein richtiger Muslim" zu gelten. Vor allem in den Dörfern ist dies die Höchststrafe. Für Prominente bedeutet dies, in das Fadenkreuz der Ceric-freundlichen Tageszeitung Dnevni Avaz zu kommen.

"Ceric politisiert die Religion und will die Politik religiös ausrichten", erklärten Kritiker in "60 Minuten" am letzten Montag. Und das mit Grund. Bei den allgemeinen Wahlen 2006 ließ Ceric zum Beispiel die Partei der Demokratischen Aktion (SDA ) unter dem liberalkonservativen Sulejman Tihic links liegen und unterstützte offen die Kandidatur von dessen Konkurrenten, Haris Silajdzic, der dann auch bei der muslimischen Bevölkerungsgruppe gewann. Weil Silajdzic aber kurz darauf nicht mehr nach seiner Pfeife tanzte, unterstützte Ceric bei den Gemeindewahlen 2008 wiederum ihm nahestehende Kandidaten der SDA. Erfolgreich. Seine Schäfchen vor allem in den Dörfern folgten ihm.

Ceric versucht eine "Reislamisierung" der in den Städten zumeist laizistischen Muslime Bosniens zu forcieren. Er ließ demonstrativ Moscheen in religiös gemischte Stadtviertel Sarajevos setzen, propagierte nicht nur Religionsunterricht in den Schulen, sondern brachte die Stadtverwaltung dazu, religiöse Unterweisungen schon in den Kindergärten Sarajevos einzuführen.

Letztes Jahr wurde der auch bei muslimischen Kindern populäre "Santa Claus" abgeschafft. Und als letzten Herbst eine Ausstellung über Homosexualität eröffnet wurde, setzte er die Bevölkerung mit "Argumenten", Homosexuelle würden ihre Kinder schänden, erfolgreich in Angst und Schrecken. Schlägertrupps der Wahhabiten und Fußballanhänger schlugen nach der Veranstaltung auf die versammelten Aktivisten der Zivilgesellschaft ein.

Was die kritischen Zeitungen und "60 Minuten" zu Tage förderten, hat das Bild in der Öffentlichkeit umschlagen lassen: Für den Bau einer Residenz für Ceric, so die Berichte, seien zweistellige Millionenbeträge vorgesehen, die schwäbische Limousine habe über 100.000 Euro gekostet. Ceric sei verwickelt in allerlei dunkle Geschäfte mit Banken und dem Besitzer von Dnevni Avaz, Fahrudin Radoncic. Der Gipfel jedoch war Ceric Verhalten gegenüber einem Kinderschänder, einem Imam in einem Dorf, der kleine Mädchen sexuell belästigt hatte. Ceric fuhr im Februar in das Dorf, um ein 10-jähriges Mädchen zu "vernehmen". Und stellte sich demonstrativ schützend vor den Imam. Was ihm den Verdacht eintrug, dieser Imam sei nur die Spitze eines Eisberges.

Milorad Dodik läuft rot an, wenn er nur den Namen "60 Minuten" hört. Der selbstherrliche Chef aller bosnischen Serben, der sich fälschlicherweise Sozialdemokrat nennt, hat allen Grund dazu. Denn die Journalisten fanden schon vor Jahresfrist heraus, dass Dodik in Korruptionsskandale verwickelt ist. Als Dodik letztes Jahr die international anerkannte Antikorruptionsagentur Transparency International aus Banja Luka rausgeworfen hatte, begann ein Verfahren der Sipa, der gesamtstaatlich organisierten Antikorruptionspolizei, gegen ihn. Dodik wird vorgeworfen, er habe beim Bau eines überdimensionierten Regierungspalastes und eines Autobahnteilstückes sowie bei der Privatisierung von Firmen vermutlich Provisionen eingesteckt. Tatsache und überprüfbar ist, dass Dodik sich im Nobelviertel von Belgrad, Dedinje, eine Villa für mehrere Millionen bauen ließ.

Am vergangenen Montag war Dragan Lukac, der Vizedirektor der Sipa, Gast der Sendung. Und es stellte sich heraus, dass Dodik versucht hat, in das schwebende Verfahren einzugreifen und es zu torpedieren. So bewog er offensichtlich den serbischen Chef der Behörde und einen Richter am gesamtstaatlichen Gericht, Einfluss auf das Verfahren zu nehmen.

Da aber die Europäische Polizei und auch das Office of High Representative, also die internationale Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, den Gang der Dinge überwacht, wird diese Einflussnahme möglicherweise erfolglos sein. Das kann aber niemand mit Bestimmtheit sagen, denn auch die Institutionen der internationalen Gemeinschaft sind anfällig für Einflussnahmen von außen.

Dodik ist aber auf jeden Fall in Schwierigkeiten. Und so versucht er mittels seines Freundes Zeljko Kopanja, dem Chefredakteur der in Banja Luka erscheinenden Zeitung Nezavisne Novine, und des Fernsehens der serbischen Teilrepublik, die Angriffe auf ihn als "Angriffe auf alle Serben" hinzustellen. Er droht sogar damit, eine Massenbewegung zur Verteidigung der serbischen Teilrepublik ins Leben zu rufen. Und er versucht in die ohnehin nationalistische orthodoxe Kirche einzugreifen. Gegen dialogbereite und reformerische Priester gerichtet, spendete Dodik kürzlich große Geldsummen für deren extrem-nationalistische Gegenspieler im Klerus.

Dodik hat sich eine starke Machtposition aufgebaut: eine absolute Mehrheit im Parlament, eine hörige Presse, einen gefügigen Staatsapparat und eine bisher schwache Opposition. Doch die wird stärker - der Vorsitzende der einflussreichen serbischen Veteranenorganisation sagte gegenüber "60 Minuten", niemand dürfe sich anmaßen, die "Republika Srpska" und die eigene Person gleichzusetzen.

Auch die ehemaligen Soldaten gehen auf Distanz. Bei den Serben und den Bosniaken-Muslimen. Bosniakische Veteranen besetzten des Parlament der bosniakisch-kroatischen Föderation. Die sozialen Probleme haben sich mit der Weltwirtschaftskrise verschärft. Entlassungen, Streiks und soziale Unruhe greift um sich. Tausende demonstrierten letzte Woche in Tuzla.

Dodik, der Sarajevo als "bosnisches Teheran" bezeichnet und ständig von "muslimischem Terrorismus" in Bosnien faselt, und Ceric, für den Dodik ein "Spalter Bosniens" ist, sind eigentlich Antipoden. Beide, Dodik und Ceric, brauchen jedoch einander - um als gegenseitiges Feindbild die eigenen Schäfchen zusammenzuhalten.

Aber hinsichtlich "60 Minuten" sind sie sich einig. Jetzt verteidigt Dodik sogar seinen Gegner Ceric gegen die Journalisten. Zum Gaudium eines immer größer werdenden Publikums. Jeden Montagabend.

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