: Die Grenze der Freundschaft
VERSPÄTUNG In Frankfurt an der Oder kämpft eine binationale Bürgerinitiative für eine deutsch-polnische Tramlinie. Sie hat einen mächtigen Gegner
TOMASZ PILARSKI, SŁUBICE
VON LALON SANDER
Eigentlich spricht alles dafür, eine Straßenbahnlinie über die Oderbrücke zu bauen. Mit ihr würden zwei Städte verbunden, die ursprünglich eine waren: Die polnische Stadt Słubice hieß vor dem Zweiten Weltkrieg Dammvorstadt und gehörte zu Frankfurt. Täglich überqueren viele Menschen die Oder, die auf der einen Seite wohnen und auf der anderen arbeiten oder einkaufen. Bisher geht das nur zu Fuß, mit Fahrrad oder Auto.
Das Frankfurter Stadtparlament wollte das schon vor Jahren ändern und beschloss im Frühjahr 2005 den Bau einer Tramlinie. Drei Gutachten haben sich für die Bahn ausgesprochen – sie sei wirtschaftlich sogar sinnvoller, als gar keine öffentlichen Verkehrsmittel über die Grenze fahren zu lassen.
Auch auf polnischer Seite gibt es die nötige Mehrheit. „Wir sind schon seit Jahren bereit, diese Straßenbahn zu bauen“, sagt Tomasz Pilarski von der polnischen Stadtverwaltung.
Bloß: Vier Jahre nach dem offiziellen Beschluss führen immer noch keine Schienen über die Brücke.
Die deutsch-polnische Initiative Pro Tram will das ändern. An einem Dezemberabend treffen sich ihre Aktivisten wieder in einem Universitätssaal in Słlubice. Auf den unteren Rängen haben sich Studenten in bunt gestreiften Pullovern, Künstler in Vliesjacken und Politiker in Anzügen verteilt, Deutsche und Polen. Weil die anwesenden Polen Deutsch sprechen, wird auf eine Simultanübersetzung verzichtet.
Jörg Gleisenstein moderiert die Sitzung. Der Mittdreißiger ist auch Grünen-Stadtverordneter. Vor zwei Monaten gründete er die Bürgerinitiative.
Es ist der Versuch, ein Projekt zu verwirklichen, für das es nur Pro-Argumente zu geben scheint. Außer dem einen, gewichtigen, auf der Gegenseite: Bei einer Bürgerbefragung haben sich vor drei Jahren 83 Prozent der Frankfurter gegen eine Straßenbahn über die Oder ausgesprochen. Das Frankfurter Stadtparlament sah sich nach diesem deutlichen Volksvotum gezwungen, das Projekt sterben zu lassen. Die Stadtverwaltung ist bis heute gespalten: Während der CDU-Oberbürgermeister sich seit Jahren für das Projekt ausspricht, meldete sein Parteikollege, der Stadtkämmerer, öffentlich Bedenken an, ob sich die Stadt eine Bahn überhaupt leisten könne.
Um für die Straßenbahn zu werben, schlägt Sahra Damus beim Aktivistentreffen an der Uni den Slogan „Yes, we tram“ vor, der einstimmig angenommen wird. Die junge Frau mit den langen dunklen Haaren hat an der deutsch-polnischen Viadrina-Universität studiert und arbeitet jetzt dort. Im Studentenparlament hat sie 2007 vorgemacht, wie grenzüberschreitender Nahverkehr funktionieren kann. Sie organisierte einen Bus, der Studentenwohnheime in Słubice mit den Universitätsgebäuden auf der deutschen Seite verband. „Innerhalb von zwei Wochen fuhren 2.000 Studenten mit dem Bus“, sagt Damus. „Es gibt Bedarf.“
Auch die Verantwortlichen im Rathaus hatten das offenbar verstanden. Anfang dieses Jahres schlug der Verkehrsausschuss vor, bei einem ohnehin nötigen Umbau der Frankfurter Tram eine Schleife über die Oderbrücke zu legen. „Einerseits kann der Bau als grenzüberschreitendes Projekt fast zu 85 Prozent mit EU-Geldern finanziert werden“, sagt Gleisenstein von der Bürgerinitiative. „Andererseits gewinnt die Verkehrsgesellschaft 20.000 neue Kunden.“ Die zwei Stadtverwaltungen haben nun ein viertes Gutachten in Auftrag gegeben und wollen nächstes Jahr bei der EU Gelder beantragen.
Es steht viel auf dem Spiel. „Wenn die Straßenbahn wieder scheitert, können wir alle größeren Projekte mit Słubice vergessen“, sagt Gleisenstein. Sie arbeiten dagegen an. Die Initiative muss auch die Vorurteile der Bevölkerung entkräften. „Da kommen Gegenargumente wie ‚Polen sind Diebe‘ “, erzählt Damus. „Eine Straßenbahn mache es ihnen leichter, über die Grenze zu fahren.“
Allerdings beruht der Protest gegen die Straßenbahn nicht nur auf Ressentiments. Der Stadtverkehrsgesellschaft fehlen jährlich 5 Millionen Euro, und die Fahrt über die Brücke wird laut Stadtverwaltung jährlich einen satten sechsstelligen Betrag kosten. Angesichts der sinkenden Einwohnerzahl Frankfurts und der deutlich geringeren Einkommen in Słubice sind das relevante Fragen. Der Frankfurter Stadtkämmerer hatte deshalb eine Buslinie gefordert – als Alternative. Das lehnen wiederum die Polen ab. „Ein Bus würde genauso viel kosten“, sagt Tomasz Pilarski in der Słubicer Verwaltung. „Aber er hätte symbolisch nicht dieselbe Wirkung.“
Im Universitätssaal diskutieren die „Pro Tram“-Aktivisten mehr als zwei Stunden, wie sie ihre Vision attraktiv verkaufen können. Von Flashmobs ist die Rede und von Gleislinien, die auf die geplante Strecke gesprüht werden sollen. Dann kommt ein älterer polnischer Mann dazu. „Kurwa, teraz musi tłumaczy?,“ ruft einer der Anwesenden und lacht. „Scheiße, jetzt muss ich doch dolmetschen.“