FELIX LEE POLITIK VON UNTEN : Die Wut auf die Zocker fehlt
Demos gegen Unistreik, AKW, Milchpreise – nur gegen die Finanzkrise gab’s 2009 kaum Protest. Warum nur?
Es ist nicht so, dass in diesem Jahr hierzulande nicht viel los war auf den Straßen. Allein in Berlin hat es fast 2.800 politische Versammlungen gegeben, so viele wie seit dem Irakkriegsjahr 2003 nicht mehr. Eins jedoch hat mich überrascht: Ausgerechnet im Krisenjahr drehten sich nur die wenigsten Demos um die Finanzkrise.
Bauern demonstrierten für höhere Milchpreise, in Hamburg und Berlin ging es um Stadtumbau, gegen Luxuswohnungen und Atomkraftwerke und in den letzten zwei Wochen um den Klimagipfel in Kopenhagen. Vor allem die Bildungsproteste der StudentInnen haben viele auf die Straße gelockt.
15 Monate nach der Lehman-Pleite scheint sich die Wut über das weiterhin gierige Gebaren der Banker jedoch in Grenzen zu halten. Dabei haben viele Sozialbewegte Anfang des Jahres noch beschworen, die Krise würde zu einer neuen Wut führen. Selbst Kreise, die Protesten auf der Straße sonst argwöhnisch gegenüberstehen, warnten plötzlich vor „sozialen Unruhen“ in Deutschland. Sie blieben aus.
Zunächst dauerte es Wochen, bis es im März überhaupt zu größeren Krisendemos kam. Dann hieß es: Spätestens wenn der Frühjahrsaufschwung ausbleibt, würde sich der Massenprotest schon formieren. Nach langer Sommerpause riefen Initiativen zu einem heißen Herbst auf. Aber auch der blieb aus. Von einer Renaissance der Globalisierungskritiker oder gar einer neuen Bewegung gegen die Zockermentalität in Frankfurt und New York kann nicht die Rede sein.
Stattdessen scheint sich aufseiten der Marktradikalen etwas zu regen – und damit ist nicht nur das gute Abschneiden der FDP bei der Bundestagswahl gemeint. Der Spiegel kritisierte kürzlich in einer Titelgeschichte, wie wenig die Verantwortlichen doch aus der Lehman-Pleite gelernt hätten. Die Schlussfolgerung lautete aber nicht: Zu wenig politischer Wille zur schärferen Regulierung der Finanzmärkte hätte zu einer neuen Spekulationsblase geführt. Sondern: Staatsversagen – und deswegen solle der Staat sich gefälligst wieder komplett aus dem Marktgeschehen heraushalten.
Prognosen für Krisenproteste 2010? Wage ich keine. Aufgefallen ist mir bloß, dass viele Außerparlamentarier hierzulande sich längst anderen Themen als der Finanzkrise zugewandt haben. Das finde ich bedauerlich. Denn das Jahr 2009 hat vor allem eines gezeigt: Ohne Politik von unten ist von oben nicht viel zu erwarten.
■ Der Autor ist taz-Redakteur für soziale Bewegungen Foto: W. Borrs