: SPD-Friedenspflicht in Karlsruhe
Das Platzeck-Wunder bei der NRW-SPD: Wie der neue Parteivorsitzende die zerstrittenen nordrhein-westfälischen Sozialdemokraten einte. Zwölf Kandidaten aus dem größten Landesverband gewählt
VON MARTIN TEIGELER
Als die NRW-Delegierten ihr Quartier beim Karlsruher SPD-Bundesparteitag ansteuerten, erlebten sie eine Schrecksekunde. „Zum Schlachtfest hier entlang“, hieß es auf einem Schild am Ortseingang. Doch der Hinweis der lokalen Metzgerinnung sollte kein Fingerzeig auf die Ereignisse bei der SPD-Jahreshauptversammlung sein. Angesichts des teils bitteren Streits um den Sturz von Franz Müntefering verlebten die Sozialdemokraten aus dem größten Landesverband einen bemerkenswert harmonischen Parteitag.
Keine Rache, keine Abstrafaktionen für jene „Königsmörder“, die zum Abgang Münteferings vor gut 14 Tagen beigetragen hatten – vielleicht lag es am urigen Ambiente des Hotels Ritter, in dem der NRW-Trupp abgestiegen war. Auch ein Gast hob die Stimmung. Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck machte den 127 NRW-Delegierten am Vorabend des Bundesparteitags seine Aufwartung. So saßen sie im stickigen „Rittersaal“ bei Bier, Wein und baden-württembergischen Speisen zusammen, der Hoffnungsträger und die Herzlandgenossen. Platzeck fand offenbar die richtige Tonlage, sprach sich etwa für weitere Kohlesubventionen aus. „Franz gut, SPD gut, Deutschland gut!“, rief er zum Gaudium der Genossen – auf ein Bonmot des Sauerländers anspielend. Nur Münte fehlte, um die Gemütlichkeit perfekt zu machen.
„Platzecks Auftritt hat die Stimmung verbessert“, berichtet ein Delegierter. Der Streit über das Verhalten der NRW-Mitglieder im Bundesvorstand bei der Kampfabstimmung um das SPD-Generalsekretariat und den folgenden Münte-Rücktritt wurde beschwiegen. Ein Platzeck-Wunder bei der NRW-SPD? Hat der Ossi mit der DDR-Schlagersängerstimme die Wessis befriedet? „Natürlich gibt es weiter Spannungen, aber das muss man ja nicht unbedingt auf einem Bundesparteitag ausleben“, heißt es. Doch nur Friedenspflicht in Karlsruhe? Jedenfalls stimmten die NRW-Delegierten getreu dem Platzeck-Motto („Wir brauchen ein neues Miteinander“) weitgehend geschlossen ab. Der Koalitionsvertrag auf Bundesebene wurde gar einstimmig durchgewunken, so Augenzeugen über die offene Abstimmung. Auch bei den Wahlen der Stellvertreter erzielten Bärbel Dieckmann und Peer Steinbrück wackere Ergebnisse (siehe Kasten).
Einen Denkzettel erhielten die Kandidatinnen Ulla Burchardt (Dortmund) und Kerstin Griese (Ratingen). Den Bundestagsabgeordneten waren im Vorfeld des Parteitags Abstrafaktionen angedroht worden, weil beide Ende Oktober im Vorstand angeblich für Andrea Nahles als Generalsekretärin gestimmt hatten. Und während die mittlerweile rehabilitierte Nahles als Beisitzerin gewählt wurde, mussten Burchardt und Griese eine Ehrenrunde drehen. Die Frauen schafften es im zweiten Wahlgang, anders als Kurt Bodewig (Neuss) und Rolf Stöckel (Unna). Die Stimmung der NRW-Delegierten konnte das nicht mehr verdrießen. Der Landesverband habe „einen sehr hohen Stellenwert“, sagte NRW-SPD-Chef und Neu-Bundesvorstand Jochen Dieckmann gestern. Zudem verwies er auf die Freundschaft mit dem Neu-Parteichef. Durch die 1990 begründete Partnerschaft zwischen Brandenburg und NRW fühle Platzeck sich den Nordrhein-Westfalen „sehr verbunden“.