Polizei im Notstand

Nicht nur der bevorstehende Castor-Transport bindet an den kommenden Tagen viele Beamte. Schröder-Zapfenstreich, Neonazi-Konzert und Fußballspiel könnten zu Personalengpässen führen

von Kai Schöneberg

Während sich die Anti-AKW-Bewegung auf „fantasievolle und bunte Aktionen“ gegen den Castor-Transport freut, läuten bei der Polizei die Alarmglocken. Das kommende Wochenende, wenn sich die zwölf radioaktiven Behälter dem Wendland nähern, ist mit Veranstaltungen im Norden gespickt. Falls es an einer Stelle zu gewalttätigen Ausschreitungen kommt, könnten die Sicherheitskräfte in Personalnot geraten. „Die Belastung wird hoch“, heißt es aus dem niedersächsischen Innenministerium, von einer „großen Herausforderung“ spricht Bernd Witthaut, der Landeschef der Gewerkschaft der Polizei (GdP).

Wie beim vergangenen Castor-Transport dürften dieses Jahr wieder etwa 10.000 Beamte von Polizei und Bundespolizei im Einsatz sein. Die Castoren werden Montag oder Dienstag in Gorleben eintreffen. Der Brandanschlag auf Polizeicontainer im Wendland vor einigen Wochen sowie Hakenkrallen-Aktionen an ICE-Strecken in Brandenburg am Dienstag lassen auf ein erhöhtes Gewaltpotenzial schließen: Ein nicht unterschriebener Zettel wurde an den Gleisen gefunden, der laut Staatsanwaltschaft Rückschlüsse auf Atomkraftgegner zulässt.

28 Kundgebungen wurden bislang angemeldet, entlang der letzten 70 Castor-Kilometer zwischen Lüneburg und Gorleben herrscht ein Demonstrationsverbot. Die Polizei ist in der Bredouille: Wegen einer Aktion von Rechtsextremen in Köln wird Nordrhein-Westfalen diesmal nicht so viele Beamte schicken können, Hamburg hat wegen örtlicher Proteste abgewunken, ebenso Mecklenburg-Vorpommern.

Wie ernst die Lage ist, zeigt das Demonstrationsverbot für die Jungen Nationaldemokraten am kommenden Sonntag. Der Landkreis Verden hatte deren geplanten Aufmarsch in Dörverden abgeblasen, weil „polizeilicher Notstand“ herrsche. Für die Begleitung des Sonntagsspaziergangs der Neonazigegner wird immerhin eine Hundertschaft der Polizei abgezwackt, weitere Kräfte bindet ein „Vortrags- und Liederabend“ der Rechten in Syke, zu dem Neonazi-Ikone Horst Mahler erwartet wird.

Polizeischutz verlangt auch der scheidende Bundeskanzler. Die Bundeswehr will Gerhard Schröder am Samstag per Zapfenstreich in Hannover verabschieden, im Internet kursieren bereits Protestaufrufe. Weitere Hundertschaften zieht das Regionalliga-Fußballspiel zwischen Emden und Osnabrück am Samstag ab. Die Polizei sieht hier ein „Hooligan-Problem“.

Die 1,4 Millionen Überstunden vom letzten Castor-Transport könnten an den kommenden heißen Tagen nicht ausreichen, fürchtet GdP-Chef Witthaut. Seine Kollegen seien sowieso „stinkend sauer“. Im August hatte das Innenministerium angekündigt, die Bezahlung der Bereitschaftszeiten zu senken.