: Aufbegehren um unterzugehen
Thirza Bruncken inszeniert am Schauspielhaus Arnolt Bronnens „Geburt der Jugend“: Als Studie einer Revolte, die sich schließlich gegen ihre Urheber wendet – und als Tour de Force für Schauspieler und Publikum. Die nahmen die Herausforderung unterschiedlich gut
Sicher ist, dass die Schauspieler und Schauspielerinnen mehr als gut aufgelegt waren. Sicher auch, dass Arnolt Bronnens Stück „Geburt der Jugend“ über eine Revolte, die in Selbstzerstörung umschlägt, kaum zu einem passenderen Zeitpunkt aufgeführt werden konnte. Sicher schließlich auch nach dem von Buhrufen durchsetzten Schlussapplaus, dass diese erste Inszenierung von Thirza Bruncken ein durchaus geteiltes Echo beim Bremer Publikum fand. Was nicht notwendigerweise ein schlechtes Zeichen sein muss.
Bruncken hat sich mit der „Geburt der Jugend“ ein selten gespieltes Stück vorgenommen, ein interessantes allemal, aber auch mühsam mit seinen spätexpressionistisch-ekstatischen Gefühlswallungen, wenn es der junge Revolutionär denn schreit: „Wahnsinnig heult es und tobt es und lodert es auf alles zersprengt es es platzt rote fressende auszuckende Flammen brechen aus uns Haß und Rache und Unersättlichkeit die Leiber zerspringen Haß gegen euch!“
Bronnen, der sich Mitte der 20er-Jahre den Nationalsozialisten angenähert, doch nach Differenzen mit Joseph Goebbels Berufsverbot erhalten hatte, zeigt mit der „Geburt der Jugend“ wie sich nach einer scheinbaren Lappalie ein Schulstreik zur Revolte der Jugend gegen die einengende, selbstgerechte ältere Generation ausweitet, der schließlich in selbstzerstörerischer Raserei endet. Und Thirza Bruncken gelingt es zumindest über weite Strecken, die Unsicherheit und Unruhe, die in dieser jungen Generation arbeitet, in eine Gegenwart, die 80 Jahre später liegt, zu transportieren.
Das glückt mit dem Bühnenbild, für das Robert Ebeling Skelette neben den Sonnenschirmen eines Cafés versammelt hat und es glückt in den Szenen, wo sich die Schülerinnen und Schüler zusammenrotten, wo sie sich im wahrsten Sinn des Wortes wie Hunde beschnüffeln. „Ich beantrage Hass, ich beantrage Gewalt“, schreit schließlich der Außenseiter und Anführer Karl, der von Heiko Raulin gerade auch in seiner nicht aufzuhebenden Nichtzugehörigkeit sehr eindringlich dargestellt wird. Und damit beginnt ein Reigen der Gewalt, der sich erst gegen die Alten und schließlich gegen sie selbst richtet. Bruncken lässt diesen Exzess als Duell auf der Tischtennisplatte beginnen, nahezu tänzerisch im flackernden Discolicht. Im letzten Akt aber nimmt das Geschehen eine ganz neue Wendung und hier schwenkt die Inszenierung ins Monströs-Surreale: Die Generation der Eltern und Lehrer erscheint mit riesigen Schaumstoffnasen und händen und beginnt sich gegenseitig mit Brei zu beschmieren. Die jungen Männer wiederum greifen in einer Art Lendenschurz zu Kunstblut, während die Mädchen in der Schlussszene mit riesigen Pappmaché-Köpfen auftauchen und sich mühsam begatten. Hier gehen die ersten Zuschauer und man könnte ihnen hinterher rufen, dass die Bilder der Selbstauflösung selten erfreulich zu betrachten sind. Dass hier Verfremdung angebracht ist, weil sich diese Figuren selbst fremd werden. Um zugleich zuzugeben, dass hier eine großartig begonnene Inszenierung ein ambivalentes Ende findet mit Bildern, die einmal beklemmend gewesen sein mögen, aber in den Inszenierungen der letzten Jahre zu allfällig sind, um nicht ein wenig ermüdend zu sein.
Friederike Gräff
Nächste Termine: 18., 20. 11., 1., 11. 12.