: Pizza für Heiner Geißler
KONGRESS Aufregende Abenteuer mit schillernden Promigästen
Die Stühle stehen kreuz und quer im Saal herum, alles sieht noch recht provisorisch und unaufgeräumt aus, das Licht ist noch nicht eingerichtet, die Tonanlage funktioniert nicht, Kollegen laufen hektisch und kopflos hin und her, räumen leere Kartons von einer Seite auf die andere, und ich frage mich, wie wir das alles in der kurzen Zeit noch schaffen sollen. In nur einer halben Stunde werden sich die Pforten öffnen, dann werden sie hereinströmen, die Massen der neugierigen und überaus diskussionswütigen Menschen, die bereit sind, Unsummen für eine Eintrittskarte zum taz-Kongress zu bezahlen. Sie werden uns überschwemmen, und die Dinge werden unaufhaltsam ihren Lauf nehmen, unkontrollierbar und schicksalhaft.
Eine Tür öffnet sich, und ich sehe mit Erstaunen Heiner Geißler eintreten. Ich wusste nicht, dass er auch eingeladen ist. Er trägt einen großen, schweren Koffer und einen schwarzen Mantel über dem Arm, und er kommt direkt auf mich zu.
"Seit Stunden renne ich hier herum", hebt er direkt zu sprechen an und sieht mir dabei vorwurfsvoll in die Augen, "seit Stun-den! Und niemand hier kann mir sagen, wo ich meinen Mantel und meinen Koffer ablegen kann, ich bin langsam wirklich sauer!" Er sieht tatsächlich fix und fertig aus und tut mir leid. Ich will ihm den Koffer abnehmen, aber er kracht mir direkt zu Boden. Geißler muss Blei darin transportieren. Wenigstens seinen Mantel nehme ich ihm ab und versuche ihn salopp auf einen zufällig herumstehenden antiken Kleiderständer zu werfen. Ich werfe aber versehentlich daneben. Peinlich! Nun sieht mich Geißler erwartungsvoll an, und ich fühle mich für ihn verantwortlich. Weil ich aber keine Ahnung habe, was ich mit ihm anfangen soll, frage ich ihn, ob er eine Pizza haben möchte. Er möchte, und tatsächlich habe ich plötzlich wie durch Zauberei einen Teller mit Pizza in der Hand, den ich Herrn Geißler elegant kredenzen will. Doch im Augenblick der Übergabe stolpere ich über meine eigenen Füße, und die Pizza fliegt in hohem Bogen unter die herumstehenden Stühle. Ich krieche hinterher, kann sie aber nicht mehr finden, ich finde nur ein Stückchen Paprika und eine Scheibe Tomate und frage Geißler, ob ihm das auch reicht. Aber er will eine ganze Pizza, ich muss wohl oder übel irgendwo eine neue besorgen.
Draußen in den Gängen drängen sich bereits die Kongressbesucher, es ist eng, es ist kaum durchzukommen. Ich suche einen Pizzastand, doch während ich noch meine Blicke schweifen lasse, steht plötzlich die kleine Chefin neben mir und zischt mir zu: "Wann räumst du endlich Saddam weg, er verstopft alles und macht einen unmöglichen Eindruck."
Und nun sehe ich es: Saddam Hussein sitzt mitten im Gang auf dem Fußboden. Er trägt einen bunten Poncho aus Ballonseide, hat nackte Füße und betupft sich seine Zehennägel mittels Wattestäbchen mit Parfüm aus einem kleinen, rosa Flakon. Die Chefin hat recht, das macht auf dem tazkongress wirklich keinen guten Eindruck.
Ich versuche, ihn wegzuschieben, ich möchte ihn in irgendeine Ecke drücken, in der er nicht so sehr auffällt und auch den Gang nicht mehr verstopft, aber ich bekomme ihn nicht vom Fleck. Und während ich noch schweißgebadet drücke und schiebe, reißt mich jemand am Arm fort und schnauzt mich an: "Du bist viel zu spät, alle warten schon ewig!" Ich bin etwas verwirrt, denn ich kann mich an keine Verabredung erinnern. Doch der Fremde zerrt mich mit sich, und plötzlich stehe ich Elvis Presley gegenüber - und um uns herum stehen hunderte Reporter, Filmteams und Journalisten aus aller Welt.
Da fällt es mir wieder ein: Ich sollte ja Elvis Presley interviewen! Sein erstes Interview seit er tot ist! Auf dem tazkongress! Eine Weltsensation! Und alle sehen mich ungeduldig an, erwarten meine erste Frage, die Kameras und Mikros sind gezückt, die Luft vibriert vor Spannung, es ist so leise, dass man eine Steckrübe fallen hören könnte. Mir fällt nur blöderweise keine Frage ein. Elvis und ich starren einander an, und es gibt wirklich gar nichts, was ich von ihm wissen will. Er hat mich nie interessiert und tut es auch jetzt nicht. Ich merke wie die Stimmung langsam kippt. Elvis beginnt zu knurren wie ein Hund, und mir wird unbehaglich. Aus den Augenwinkeln suche ich nach einem Fluchtweg, ich muss ja auch noch die Pizza für Herrn Geißler besorgen. Die Reporterschar rückt inzwischen bedrohlich näher … Ich reiße meine Augen auf!
Erleichterung erfasst mich: Ich liege sicher und gemütlich im Bett, alles nur geträumt! Hurra! Dann der Schreck: Es ist Samstagmorgen, zwei Kongresstage liegen noch vor mir. Was, wenn alles noch wahr würde? Vorsorglich notiere ich mir die Nummer eines Pizzalieferanten und schreibe mir ein paar Fragen an Elvis Presley auf. Nur das mit Saddam Hussein könnte wirklich noch zum Problem werden.
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