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Archiv-Artikel

Fütterung der Kaulquappe

Heute fällt das Urteil im Hoyzer-Prozess. Die Angeklagten kommen wohl mit Bewährungsstrafen davon, Ante Sapina ausgenommen. Der Staatsanwalt sieht keine organisierten Kriminellen am Werk

AUS BERLIN MARKUS VÖLKER

„Ich bitte, hohes Gericht, um eine zweite Chance.“ Mit diesem Satz Robert Hoyzers endet der neunte Prozesstag. Die Beweisaufnahme ist abgeschlossen. Die Staatsanwälte haben ihre Schlussbetrachtungen verlesen. Die Plädoyers sind gehalten. Robert Hoyzer darf abschließend im Saal 500 des Berliner Landgerichts sprechen. Es sind seine „letzten Worte“, wie es im Duktus des Strafgerichts heißt.

Am heutigen Donnerstag werden die Urteile im Wett- und Manipulationsprozess gefällt. Hoyzer spricht mit brüchiger Stimme. Er macht Pausen. Die Augen sind feucht. Der betrügerische Schiedsrichter ringt um Reue. „Ich entschuldige mich bei allen, die ich so lange belogen und betrogen habe“, sagt er. Er habe so viele Fans und Fußballfreunde bitterlich enttäuscht. Dann stellt er sich eine günstige Sozialprognose aus: „Für mich steht fest, dass ich niemals wieder in Kontakt mit einem Strafgericht kommen werde.“ Er wolle künftig ein einfaches und solides Leben führen. Er sei bereit, einen schweren Weg zu gehen.

Pate und Patenkind

Hoyzers Anwalt Thomas Hermes hatte das Gericht zuvor darum gebeten, eine Strafe gegen seinen Mandanten zu verhängen, „die weit unter dem Antrag der Staatsanwaltschaft liegt und zur Bewährung ausgesetzt ist“. Die Ankläger hatten zwei Jahre Freiheitsstrafe gefordert, die zur Bewährung ausgesetzt werden kann, weil Hoyzer ein umfassendes Geständnis abgelegt hat; die Bewährungsfrist solle drei Jahre betragen. Hermes versucht noch einmal, das Gericht gewogen zu stimmen. Mit Hoyzer und dem Hauptbeschuldigten Ante Sapina hätten sich keinesfalls zwei Gleichgesinnte gefunden, sondern es habe das Verhältnis „Wettpate/Patenkind“ vorgeherrscht. „Aus der Kaulquappe züchtete sich Ante Sapina durch Anfütterung und Zufütterung einen Frosch“, plädiert der Anwalt bildreich. Robert Hoyzer sei also verführt worden, habe eine Metamorphose vollzogen, die ein anderer anstieß. „Er war erst ein angestifteter Gehilfe, dann ein Gehilfe, der nicht mehr angestiftet werden musste“, sagt Hermes. Ante Sapina schüttelt bei diesen Worten ungläubig den Kopf.

Ante Sapina sitzt seit knapp zehn Monaten in Untersuchungshaft – im Gefängnis Berlin-Moabit. Der Drahtzieher der Manipulationen wird wohl noch ein paar Monate länger in Gewahrsam bleiben müssen. Die Staatsanwälte Cloidt und Fätkinhäuer fordern zwei Jahre und elf Monate. Ohne Bewährung. Ein dreistes Bubenstück habe sich Ante Sapina geleistet, stellen sie fest. Um „organisierte Kriminalität“ habe es sich jedoch nicht gehandelt – um bandenmäßigen Betrug allerdings schon. „Kroatenmafia“, das sei eine von außen hereingetragene Wertung gewesen. Es habe sich vielmehr um Bekanntschaftsnetze und Freundschaftsdienste gehandelt, führt Fätkinhäuer aus, der sich durch 192.000 Kubikzentimeter Papier respektive 25.000 Aktenblätter gelesen hat. Man habe nun „ein großes Wissen, aber kleine Beweise“. Sein Fazit lautet: „Das Ziel ist erreicht, jedenfalls solang es den Raum Deutschland betrifft.“ Fußballdeutschland sei durch die Geständnisse ein unsäglicher Prozessmarathon bis weit in das WM-Jahr erspart geblieben. Er geißelte indes Hoyzers „mediales Mitteilungsbedürfnis“, das nur „Unheil“ gebracht habe sowie die Ermittler ins Hintertreffen: „Die Wagenburg Fußballwettskandal war durch das Ausbrechen Hoyzers einnehmbar“, veranschaulicht Fätkinhäuer Hoyzers „unseliges Treiben“, um dann festzustellen, dass der Prozess vor einem grundlegenden Problem gestanden hat: „Der Grat zwischen spielerischem Missgeschick und absichtsvoller Manipulation“ auf dem Platz sei sehr klein.

Therapie gegen Spielsucht

Dies war eine Argumentation, die die Verteidigung Ante Sapinas nicht nur aufgriff, sondern weiterführte. Sie verlangte Freispruch für ihren Mandanten, da es nicht strafbar sei, wenn ein Wettwilliger „bestimmte Kenntnisse“ hat, diese aber beim Wettabschluss nicht offen legt; er sei nach den Geschäftsbedingungen von Oddset damals nicht dazu verpflichtet gewesen. Im Juristendeutsch hört sich das so an: „Es lag keine Täuschung durch konkludentes Tun vor.“ Die Dreistigkeit des Bubenstücks mache die Strafbarkeit nicht aus. „Ich halte das Ganze für eine Fiktion und für nicht strafbar“, so ein Anwalt Ante Sapinas: „Ante kann ja nicht erklären, diese oder jene Wette werde ich gewinnen. Das kann er schlichtweg nicht. Es wurden ja auch nur 25 Prozent der Wetten gewonnen.“ Sein Mandant räumte ein, die Dimensionen seiner Taten nicht erkannt zu haben. Auch er kämpfte mit den Tränen. „Ich werde es nicht zulassen, je wieder in eine derartige Situation zu kommen“, sagte er reumütig. Er wolle sich in der Gastronomie eine neue Existenz aufbauen und seine Spielsucht therapieren lassen. „Ich werde mein Leben neu ordnen und meine Mutter wieder stolz machen.“

Das würde der Mitangeklagte Dominik Marks wohl auch gern. Doch der ehemalige Schiedsrichter muss nach dem Antrag der Staatsanwaltschaft mit einer Gefängnisstrafe ohne Bewährung rechnen; seine Aussage böte keinen Anlass, „von einer günstigen Sozialprognose auszugehen“.

Richterin Gerti Kramer wird am Donnerstag um 13 Uhr darüber befinden, ob die Clique eine zweite Chance verdient.