Mehr Transparenz fürs Netz

Der Streit über die Freiheit des Internets beherrscht den UN-Gipfel zur Informations- gesellschaft in Tunis. Diktaturen ohne Meinungsfreiheit sind dabei nur ein Problem

Yahoos Begründung: Will man in China Geschäfte machen, muss man sich an dortige Gesetze halten

Auf dem UN-Weltgipfel der Informationsgesellschaft in Tunis wollen Delegierte aus aller Welt sich darüber verständigen, wie die „digitale Kluft“ zwischen Arm und Reich überwunden werden kann – auch mithilfe des Internets. Doch der Gipfel wird überschattet vom Streit über die Regulierung des Internets. Wer darf in Zukunft das Internet-Adress-System verwalten – die Icann, eine nichtkommerzielle, aber private Firma, die an kalifornisches Recht gebunden ist und noch dazu durch ihre Gründungsvereinbarung dem US-Handelsministerium untersteht? Oder eine Unterorganisation der Vereinten Nationen, die dafür sorgt, dass alle Länder mit am Tisch sitzen, wenn verhandelt wird – aber eben auch China, Saudi-Arabien und andere, deren Regierungen die Freiheit der Internetkommunikation nicht als Recht, sondern als Bedrohung empfinden?

Diese Frage ist wichtig, aber sie ist falsch gestellt. Das Domain-Name-System (DNS), mit dem im Internet bestimmten Nummernräumen für Menschen verständliche Adressen zugewiesen werden können – wie etwa www.taz.de – ist in der Tat ein Herzstück des Internets. Aber es ist durch den aktuellen Streit nicht ernsthaft bedroht. Und die Freiheit des Internets ist aus ganz anderen Gründen gefährdet.

Viel ist in den letzten Tagen von der so genannten „nuklearen Option“ gesprochen worden. Der Ausdruck soll das Ausmaß der Bedrohung deutlich machen, die vorliegt: Wenn sich die USA und andere Länder nicht darüber einigen können, wer das System verwaltet, und die Icann dabei unter die Räder kommt, wird das DNS zusammenbrechen und Internetnutzer werden unter den ihnen bekannten Adressen keine Webseiten mehr aufrufen können. Das ist ziemlicher Unsinn. Denn auch in einem solchen Fall wäre es im Interesse aller Beteiligten, dass unter bestimmten, eindeutigen Adressen auch immer nur eine bestimmte Seite gefunden wird. Wer un.org eingibt, will auch die Seite der Vereinten Nationen bekommen – egal, von wo aus er ins Internet geht.

Dennoch hat die Kontrolle über das DNS eine große symbolische Wirkung. Daher ist es erfreulich, dass sich die Kontrahenten offenbar auf einen Kompromiss einigen konnten: Für den Moment arbeitet die Icann weiter wie gewohnt. Das ist gut, denn die Technokraten in Kalifornien haben ihren Job in den letzten 35 Jahren – ja, so lange gibt es das Internet bereits – besser gemacht, als ihn Regierungsbeamte wohl jemals machen würden.

Daran, dass jetzt über ihre Abschaffung verhandelt wird, tragen sie kaum Schuld. Das haben sie der Kurzsichtigkeit des Bush-Regierung zu verdanken. Denn die war ihr in einer bisher nicht gekannten Art in den Arm gefallen. Fünf Jahre lang hatte sie den Prozess zur Einrichtung einer .xxx-Domain für Sex-Inhalte beobachtet, der nach allen besschlossenen Standards der Icann abgelaufen war. Dann hatte sie im letzten Moment verhindert, dass die Domain zugelassen wurde, um die christliche Rechte zufrieden zu stellen, die eine Kampagne gegen „Schmutz im Netz“ losgetreten hatte. Dass ohne .xxx-Domain keine einzige Sexseite weniger im Internet stehen wird, spielt bei dieser Art symbolischer Politik selbstverständlich keine Rolle.

Zugleich soll nun in Tunis per Resolution das so genannten Internet Governance Forum (IGF) eingerichtet werden. Es wird sich damit beschäftigten, wie die Kontrolle über das DNS mit Beteiligung von UN-Agenturen, Regierungen, Unternehmen und Nichtregierungsorganisationen ausgehandelt werden kann. Auch das ist erfreulich, denn ein solches Forum kann für mehr Transparenz und demokratische Beteiligung sorgen in Fragen, die inzwischen für einen großen Teil der Weltbevölkerung von entscheidender Bedeutung sind. Zugleich wird das Forum vor der enormen Herausforderung stehen, den Einfluss repressiver Regimes auf die Internetverwaltung einzudämmen. Ob das gelingen kann, ist unklar.

Denn schon lange können viele Länder unter Beweis stellen, wie ernst es ihnen mit der Freiheit der Internetkommunikation ist. Kein einziges hat dabei bisher gut ausgesehen. Zum einen gibt es die Länder, die aktiv bestimmte Kommunikation unterdrücken. Sie versuchen, strikte Anmeldungen für Internetanschlüse durchzusetzen, überwachen, was in Diskussionsforen geschrieben wird, und sperren ganze Namensräume, so dass Nutzer in Saudi-Arabien etwa überhaupt keine israelischen Seiten zu Gesicht bekommen können.

Bisher konnten derartige Einschränkungen von findigen Nutzern umgangen werden, wenn auch mit einigem Aufwand. Dass es immer schwieriger wird, dafür sorgen Privatunternehmen, in erster Linie aus den USA, aber auch aus anderen Ländern. Sie liefern zum Beispiel Router, die eigentlich dazu gedacht sind, den Internetdatenverkehr unterschiedslos weiterzuleiten. Nun aber haben sie schon Analysefunktionen eingebaut, um zu untersuchen, welche Art von Daten ausgetauscht werden – um sie im Zweifel zu sperren.

Der US-Weltmarktführer Cisco gehört dazu. Der Weltmarktführer für Websuche, Google, zensiert Suchergebnisse, die er an chinesische Nutzer ausliefert. Das Webportal Yahoo hat der chinesischen Regierung bereitwillig Auskunft gegeben, wem ein bestimmtes E-Mail-Konto gehört, von dem aus „staatsfeindliche“ Mails geschickt wurden. Der Journalist Shi Tao wurde anhand dieser Hinweise zu zehn Jahren Haft verurteilt. Yahoos Begründung: Wenn man in China Geschäfte machen wolle, müsse man sich eben auch an chinesische Gesetze halten.

Die Technokraten in Kalifornien haben den Job besser gemacht, als ihn Beamte je machen würden

Norm Coleman, republikanischer US-Senator aus Minnesota, hatte in der vergangenen Woche in einem Artikel für das Wall Street Journal gemahnt, die Bush-Regierung dürfe nicht zulassen, dass „Tunis zu einem digitalen München“ werde. Die Katastrophe, die verhindert werden müsse, sei die Politisierung der Internetregulierung durch die UN. „Appeasement-Politik“ wäre es demnach, das zuzulassen. Stattdessen müsse die Icann vollständig privatisiert werden, denn nur ein „marktbasierter“ Ansatz könne die Freiheit des Internets garantieren. Man sollte einmal den Journalisten Shi Tao fragen, was er von Colemans – und Yahoos – marktbasiertem Freiheitsansatz hält. Dennoch muss man Coleman dankbar sein.

Ohne seinen polemischen Aufruf wäre wahrscheinlich genau das passiert, was bisher immer passiert ist, wenn es um die Regulierung des Netzes ging: Es hätte niemand hingehört. Das ist nun anders. Der falsche Streit hat zur Aufmerksamkeit für das Richtige geführt. Und der Weg zu einer Lösung ist noch weit. Gerade deshalb darf sie nicht auf die unrühmliche Art gesucht werden, die sich auch die deutsche Regierung zur Gewohnheit gemacht hat: untergeordnete Verwaltungsbeamte hinter verschlossenen Türen aushandeln zu lassen, wie ein Kommunikationssystem reguliert wird, das inzwischen wie kein anderes unser Leben bestimmt.

MATTHIAS SPIELKAMP