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Samy Deluxe über Rassismus-Erfahrungen"Petitionen lösen keine Probleme"

Deutschland ist voller Multikulti-Missverständnisse, aber darüber wird zu wenig geredet, meint der afrodeutsche Rapper Sammy Deluxe. Ein Vorabdruck seiner Autobiografie.

Was geht in Deutschland? Rapper Samy Deluxe. Bild: dpa

Meiner Meinung nach hängen viele der sogenannten Ausländerprobleme damit zusammen, dass man sich in Deutschland zu selten begegnet und zu wenig aufeinander zugeht. Man kennt sich nicht, weil es keine oder nur sehr wenige Überschneidungen gibt - im Berufsleben nicht und schon gar nicht im Privaten. Anfangs, weil man in verschiedenen Gegenden aufwächst, und später, weil jeder in seinem Viertel bleibt und den anderen am liebsten auf Distanz hält. Ein Vater vom "Elternstammtisch" meinte, dass er nur zweimal in seinem Leben etwas mit Türken zu tun gehabt hätte. Beide Male hätten sie ihm was aufs Maul gegeben, ohne dass er etwas gemacht oder gesagt hätte.

Die Provokation waren seine kurzen blonden Haare. Auch dagegen konnte ich meine Erfahrungen halten. Ich selbst war in meiner Jugend ziemlich oft mit türkischen Mitschülern aneinandergeraten. Aber wir stritten uns nicht, weil ich schwarz und sie türkisch, sondern weil wir jung und dumm und arrogant und reizbar waren. Und sobald man als Konter etwas gegen deren Mutter äußerte, war einfach alles vorbei. Zack! Bum! Aus! Einmal nur "Hurensohn" gesagt, und schon gings richtig ab. Obwohl ich selbst gar nicht wusste, was ich da von mir gab. Es war einfach nur ein schlimmes Wort. Nie im Leben wollte ich irgendeiner Mutter unterstellen, dass sie ihr Geld mit Sex verdient. Aus so einer Situation heraus ergab es sich allerdings, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben "Nigger" genannt wurde. Und zwar von einem Türken.

Von Deutschen hatte ich zuvor schon "Neger" gehört, aber "Nigger" zum ersten Mal von einem Türken. Der Punkt dabei ist: Obwohl ich dies erlebt habe, würde ich nie im Leben daraus schließen, dass Türken "Arschlöcher" seien. Im Gegenteil: Ich begreife komplett, woher ihre Aggressivität kam. Ich weiß, wie es ist, wenn man der Typ ist, der nicht in einen Club reingelassen wird. Der Typ, hinter dem der Ladendetektiv im Kaufhaus herläuft. Der Typ, den alle schief angucken, wenn irgendwo ein Autoalarm läuft.

Durch meine Erfahrungen in Vereinen wie "Brothers Keepers" habe ich gemerkt, dass der Multikulti-Gedanke in Deutschland manchmal missverstanden wird. Zur Vorgeschichte: Im Sommer 2000 wurde der afrodeutsche Schlachter Alberto Adriano, ein Familienvater aus Mosambik, der schon seit zwanzig Jahren in Deutschland lebte und arbeitete, mitten in Dessau von Neonazis totgeprügelt. Weil es anfangs nicht mal zu einer Anzeige gegen die Täter kam, obwohl es an die zwanzig Augenzeugen gab, die allerdings alle nicht aussagen wollten, haben sich einige dunkelhäutige deutsche Musiker als "Brothers Keepers" zusammengetan, um den Tributsong "Adriano" aufzunehmen. Nachdem diese Single ein großer Charterfolg geworden war, fanden sich einige der "Brothers Keepers" zu einer Promotion-Tour für das dazugehörige Album zusammen. Ich erinnere mich, dass auf unserer ersten Pressekonferenz eine deutsche Reporterin aufstand und uns fragte, warum wir denn nicht auch einen türkischen Rapper oder einen deutschen wie Jan Delay oder Curse in dieses Projekt integriert hätten, um einen größeren "Multikulti"-Effekt zu haben. Wir versuchten zu erklären, dass es wahrscheinlich für einen türkischen Rapper ähnlich schwer wäre, sich in die Situation eines Schwarzen in Deutschland hineinzuversetzen, wie für uns in seine. Außerdem würde es bei diesem Projekt ganz konkret um die Art von Rassismus gehen, mit der man als afrikanischstämmiger Mensch in Deutschland konfrontiert wird.

Ich glaube, dass es schon wegen dieser vielen Missverständnisse und der Misskommunikation wichtig ist, dass Leute wie ich über dieses Thema reden. Eben jüngere Leute, die beide Seiten kennen und verstehen und auch repräsentieren können. Denn Rassismus gibt es nicht nur zwischen den Angehörigen verschiedener Gruppen, sondern oft auch innerhalb einer einzigen. In der Zeit von "Brothers Keepers" haben sich einige dunkelhäutige Rapper in Liedern oder Interviews extrem von diesem Verein distanziert. Ich hatte Ende 2007, nach einem Auftritt bei der Zehnjahresfeier des Magazins Juice in München, eine Begegnung mit B-Tight vom Label Aggro Berlin, der mich hinter der Bühne grinsend abfing und fragte:

SAMY DELUXE

Herkunft: Samy Deluxe wurde als Samy Sorge 1977 in Hamburg geboren. Er wuchs in Eppendorf in der Familie seiner Mutter auf, sein aus dem Sudan stammender Vater verließ Deutschland, als er zwei Jahre alt war.

Musik: Samy Deluxe gehört seit vielen Jahren zu den einflussreichsten Deutsch-Rappern. Mit seiner Band Dynamite Deluxe verkaufte er zur Jahrtausendwende 100.000 Alben, seit der Trennung der Gruppe rappt er solo. Mit afrodeutschen Musikern hat er die Alben "Lightkultur" (2001) sowie "Am I My Brothers Keeper" (2005) veröffentlicht. In den Songs geht es um den zunehmenden Rassismus in Deutschland.

Buch: Den Vorabdruck entnehmen wir seinem am 2. Juni bei Rowohlt erscheinenden Buch "Dis wo ich herkomm". In der Autobiografie beschreibt er seinen Weg zum Hiphop und setzt sich mit seinem schwierigen Verhältnis zu seiner Heimat Deutschland auseinander.

"Was geht mit der Petition?"

"Was ist denn eine Petition?"

"Na, diese Unterschriftenliste gegen mich."

In diesem Moment verstand ich. B-Tight ist - für alle, die es nicht wissen - der dunkelhäutige junge Mann, der oft mit Sido auf der Bühne zu sehen ist. Er ist seit Beginn seiner Karriere dadurch aufgefallen, dass er sich selbst als "Neger" bezeichnet und sich auch von seinen anderen Band- und Labelkollegen so nennen lässt. Sein damals gerade aktuelles Album hatte er "Neger Neger" getauft und damit natürlich in der schwarzen Community in Deutschland für Aufsehen gesorgt. "Brothers Keepers" hatten eine Petition verfasst, mit der sie den Release des Albums unter diesem Titel verhindern wollten. Ich hatte auch von dieser Aktion gehört, bin aber nun mal kein Mensch, der denkt, dass er Probleme lösen kann, indem er seine Unterschrift auf ein Blatt Papier setzt. Genau das habe ich B-Tight in diesem Moment auch gesagt. Zugleich versuchte ich ihm zu erklären, dass ich trotzdem ein Problem mit dem Albumtitel habe. Mein achtjähriger Sohn wüchse nämlich in einer Umgebung auf, in der das Wort "Neger" eigentlich nicht mehr wirklich eine Rolle spielen würde, und ich fände es schade, wenn es jetzt eine Renaissance feiern würde, nur weil er, B-Tight, einen Albumtitel mit Schockfaktor bräuchte.

Es kann gut sein, dass B-Tight persönlich nie Erfahrungen mit Rassismus gemacht hat, ähnlich wie mein Sohn Elijah - den akuten Mangel an dunkelhäutigen Superhelden ausgenommen.

Neulich, frühmorgens, weckte mich mein Sohn mal wieder mit einer dringenden Frage.

"Papa, musstest du dich früher in der Schule mal prügeln?"

"Ja, schon."

"Und warum?"

"Weil sie mich beleidigt haben."

"Und wie?" Vorsicht, Falle!

"Mit ätzenden Worten."

Er hat nicht lockergelassen, mein Superheld.

"Mit was für Worten? Sag doch mal ein Beispiel?"

Ganz zögerlich meinte ich dann: "Neger."

Überrascht sagte er: "Was ist das?"

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12 Kommentare

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  • T
    Tess

    Lieber Sammy,

    danke für Deinen Mut und Deinen Kampf. Ihr seid die Zukunft - frei vom alten Mief des Rassismus. Mach weiter und lass dich nicht von der Ignoranz entmutigen.

  • F
    FREDERICO

    Meine Meinung ist „dumme, ungebildete Arschlöcher“ gibt es überall, egal aus welchem Land, egal welche Religion, egal welche soziokulturellen Wurzeln. Zum Problem wird es nur immer dann, wenn sich diese duA-Typen zusammenrotten und nichts an sich ran lassen.

  • J
    Jano

    Schade das ich musikalisch nicht mehr so gut mit Samy klar komme, aber der Ausschnitt aus dem Buch klingt relativ reif und reflektiert.

     

    Man merkt allerdings nicht zuletzt bei den Kommentaren hier, dass das Thema Migration und Rassismus, anders als es im letzten Abschnitt des Artikels den Anschein hat, immernoch brandaktuell ist.

    Der Rassismus ist vielleicht ein anderer, nicht so offener, dafür schwingt er viel zu oft latent im Unterton mit.

    Grade in der Musikszene in der Samy aktiv ist, gibt es statt Aufarbeitung und Klarstellung nur protzen mit systemrelevanten Statussymbolen (Autos, Geld, Schmuck), Gewalt und Lust. Die alternative Wertevorstellung des frühen HipHop, der gegen Rassismus und Unterdrückung für Freiheit und Selbstbestimmung eigentlich aller war die Bock darauf hatten, ist in dem ganzen gepose und der Geschäftemacherei untergegangen.

     

    Das ganze ist noch eine leere Hülle in der Rassismus teilweise regelrecht zelebriert wird.

  • F
    Fan

    Ich finds schön, dass jemand die Überwindung aufbringt, darüber zu reden.

    Viele Deutsche, die mit diesem Thema konfrontiert werden, leugnen ihren Rassismus derart

    ( der meist in Form von Arroganz auftritt ),

    dass überhaupt kein Gespräch zustande kommt.

    Nun sind das offensichtlich nicht taz-leser von denen ich rede, sondern vor allem die "Bild"-leser und sonstige unkritische Publikationen.

    Ich habe es mittlerweile aufgegeben:

    Es ist mir zu dumm, jedesmal dem misstrauisch schauenden Mann-mittleren-Alters ein freundliches Lächeln entgegenhalten zu müssen oder dergleichen...

    PS: deine Musik rockt!

  • W
    Wanderlust

    "Neger", "Nigger" oder "Neckar" ist doch völlig egal, weil es alles das gleiche heißt, nämlich "schwarz". Auf Lateinisch. Freilich fragt man sich, wieso Menschen aufgrund ihrer Hautfarbe bezeichnet werden müssen.

    (Ich habe mich im Land der Schwaben niedergelassen, die zuerst von Tacitus als "nicer suebi" bezeichnet worden sind.)

  • JS
    Jacek Szczerba

    Wir sollten endlich mit dieser verlogenen Begriffen wie Ausländerfeindlichkeit aufhören, ich wurde zig mal als ein Scheißdeutscher von Türken beschimpft, obwohl ich ein Pole bin, ich kenne kein anderes Land der Welt wo Ausländer so ein gutes Leben führen können wie in Deutschland, vorausgesetzt, sie halten sich an die Regel und diese Regel sind relativ einfach.

    Deswegen ich als Deutscher mit polnischen Wurzeln würde mir wünschen, dass die Politik etwas härter durchgreift und Ausländer die gegen Gesetze verstossen rigoros aus Deutschland ausweist, ich habe keine Lust, dass diese Minderheit uns den Ausländern hier, den Ruf versauen.

    Ich habe die Nase gestrichen voll von Ausländern die hier so jammern und die Ursache für ihre kriminelle Karriere in dem Detektiv sehen, der einen schief anschaut. Und ich habe auch die Nase voll von Typen wie Sammy Deluxe die sich andauern bemitleiden.

    Ich sage Euch Deutschen als Deutscher mit Migrationshintergrund, lässt Euch diese ganze angebliche Ausländerfeindlichkeit nicht einreden, wer in diesem Land als Ausländer scheitert, der ist zu großen Teil selber daran schuld.

     

    Und das beste daran ist, ich werde für meine Ansichten von den Deutschen (sic!) als Nazi beschimpft.

     

    Leben in Deutschland, leben in Absurdistan.

  • J
    Johannes

    Ach, Samy, ich hab Dich ja so furchtbar gerne. Ein hervorragender Artikel.

  • G
    Georg

    Ich versthe nicht, was an Samy Deluxe interessant sein soll.

  • PM
    Pas Materski

    digga wenn er dich middachs weckt,

    hab ich die volle pallete von kranken denkmustern

    schon durchgehört.

    mal ernsthaft wir drehen uns ihm kreis, und ma keine bange, die schandtaten eurer gangs und dass bescheuerte getöse der "jugend" ist das was ihr mit

    kartofflers gemein habt. wusste nur nicht das selbstgerechtigkeit ansporn oder ziel ist.

    diese ganze gangster-oh-ich hab mistgebaut-seusellei

    geht mir doppelt, und zwar sowas von aufn keks, eimal weil selber yugo, 2. kopf hingehalten, 3.

    selber anwohner von viertel das auf yutub als gettho gefeiert wird, 4.ich hab kein mist gebaut

    und hab immernoch mit dem mist zu tun, wieder und wieder. dank taz und linken die euch den rücken gedekt haben seid ihr dahin gekommen und

    schlachtet den kram wieder und wiedr aus,

    oder besser macht gar nix draus , noch besser

    kauft bild.

    kein bock mehr

    pralle nille ist pralle nille,

    andererseits wird partizipation an mord und vertreibung immer wiedr mit dem wort normal begleitet wie im hitlershelfer artikel; hitlets helfer beim ost-deusch usw.

  • B
    blubb

    Achtung, ungefragter Senf ;)!

     

     

    Dear Mr.!

     

    Erst prollen, dann prügeln, und wenn man's Jahre später besser weiss, dann will man seine Kids aufeinmal vor einem bösen Wort schützen?

    Einem Wort, das so zuletzt nur noch im afroamerikanisch dominierten Hiphop verwurschtet wird?

    LOL

    Wenn afrikanischstämmige Deutsche meinen, sie hätten ein Anrecht darauf ein Problem mit dem Wort zu haben, dann lache ich nur darüber.

     

    Denn es wird ja interessanterweise dann an der Hautfarbe eingeschätzt, ob man das N-Wort sagen darf oder eben nicht.

    Und weiter: was haben Deutschafrikaner eigendlich mit Sklaverei zu tun?!

    Mit chain-gang, Plantagen, Rosa Parks, Malcom X, black panthers und all dem anderen hysterischen USA-Blubber?

    Nüscht.

    Nichtmal die Niggorz aus den Projects haben etwas damit zu tun. Die rauchen halt Crack und sagen lustige Sätze mit "Nigger" auf, so schaut's aus.

    (DeLaSoul, ATCQ usw. ist leider vorbei, wake up!)

     

    Darum sage ich heute auch noch immer all die schönen Worte die es so gibt, wer das nicht verstehen kann, wird nie selbstständig denken können.

     

    Und da wären wir an dem Punkt, an dem ich Herrn Delux absolut recht geben muss:

    die meisten Menschen denken wirklich nicht selbsständig!

    Die verstehen zwei verschiedene Dinge unter ein und demselben Wort!

    Einmal verstehen sie es im privaten Kontext, wenn sie es selber sagen oder jemand aus deren Umfeld es tut.

    Und dann versteht sie es im öffentlichen Kontext.

    Bei letzterem wird das Wort von einem Unbekannten ausgesprochen, und hier passiert was krankes:

    die Zustimmung dreht sich hier um 180 Grad, man wird PC, man gibt den Verletzten, Empörten, das Opfer.

     

    Aber mir ist das egal, ich nenne euch alle bei eurem "geheimen" Lieblingsnamen.

    hoffentlich bleiben auch in Zukunft mehr als die Gedanken frei.

  • P
    Peter

    In Hamburg-Eppendorf aufgewachsen?

     

    Na, das ist ja bekanntlich das finsterste und härteste Getto Hamburgs, wo nur die Armen und Unterprivilegierten leben...

  • J
    Joe

    "Aus so einer Situation heraus ergab es sich allerdings, dass ich zum ersten Mal in meinem Leben "Nigger" genannt wurde. Und zwar von einem Türken." - Der Islam ist eben auch rassistisch, antisemitisch und antiamerikanisch eingestellt.