Einstufung Pflegeversicherung: Mehr Hilfe für Verwirrte

Gesundheitsministerin Schmidt möchte den Begriff der "Pflegebedürftigkeit" erweitern. Davon sollen Demente profitieren. Die Kostenfrage ist noch ungeklärt.

Künftig gilt: Je eingeschränkter die Selbstständigkeit, desto höher die Pflegestufe. Bild: dpa

BERLIN taz | Das Problem kennen viele Angehörige von Alzheimer-Kranken: Die Mutter ist noch gut auf den Beinen, aber desorientiert. Bisher war es schwierig, für solche Fälle eine Einstufung als Pflegefall zu bekommen. Doch das soll sich ändern. Nicht mehr der "Zeitaufwand für die körperliche Pflege", sondern der "Grad der Einschränkung der Selbstständigkeit" solle künftig den Einstufungen bei der Pflegeversicherung zugrunde liegen, erklärte Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD) am Montag bei der Vorstellung des neuen Konzepts.

Die Ministerin stellte sich hinter eine von Experten empfohlene Grundsatzreform der Pflegeversicherung, die gebrechliche Menschen statt wie bisher in drei Pflegestufen in fünf "Bedarfsgrade" einordnet. Dabei fragen die Gutachter auch nach problematischen Verhaltensweisen und kognitivem Abbau, die ein selbstständiges Leben blockieren. Im untersten Bedarfsgrad befänden sich dann etwa "viele Menschen, die vor allem Hilfe im Haushalt benötigen", erklärte Jürgen Gohde, Vorsitzender des Expertenbeirats. Die neue Einstufung habe auch präventiven Charakter und solle helfen, Heimaufenthalte zu vermeiden für Menschen, die mit Unterstützung noch in ihrer Wohnung zurecht kämen.

Ob das neue Pflegekonzept tatsächlich umgesetzt wird, entscheidet sich allerdings erst nach der Bundestagswahl. In der Koalitionsvereinbarung von 2005 waren sich Union und SPD zwar einig gewesen, dass der Begriff der "Pflegebedürftigkeit" erweitert werden muss. Das von Schmidt vorgestellte Konzept wurde jedoch von Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) abgelehnt. Heikel ist die Finanzierungsfrage. Ministerin Schmidt erklärte, man wolle einen Weg der weitgehenden "Kostenneutralität" versuchen.

Im Bericht haben die Experten verschiedene Szenarien entworfen, die Mehrkosten zwischen 380 Millionen Euro und 3,1 Milliarden Euro nach sich ziehen. In einer kostenneutralen Variante hätten es die körperlich Pflegebedürftigen schwerer als bisher, in höhere "Bedarfsgrade" zu kommen. Allerdings soll es bei einer Umstellung binnen drei Jahren einen Bestandsschutz für bereits bestehende Pflegefälle geben, sodass diese Patienten keine Einbußen erlitten.

Zur Kostenfrage brachte Schmidt aber auch den Vorschlag einer Bürgerversicherung wieder ins Gespräch. Wenn man die privaten und gesetzlichen Pflegekassen zusammenlegen würde, wäre die Finanzierung der Pflegebedürftigkeit in den nächsten 20 Jahren gesichert. Die Privatkassen verfügen über mehr Geld, da sie aufgrund ihrer Versichertenstruktur weniger Pflegefälle haben.

Sabine Jansen, Geschäftsführerin der Deutschen Alzheimer Gesellschaft, begrüßte das neue Konzept. Es sei gut, dass sich die Erkenntnis durchsetze, dass Pflege mehr sei als "satt und sauber". Das Problem der Angehörigen von Alzheimer-Patienten, die oft eine Rund-um-die-Uhr-Betreuung für ihre erkrankten Väter oder Mütter suchten, werde dadurch allerdings nicht gelöst. Die Pflegeversicherung sei eben nur eine "Teilkaskoversicherung".

Der Pflegeexperte Claus Fussek warnte davor, in einer "kostenneutralen" Reform die Gebrechlichen nur "bürokratisch im System der Bedarfsgrade herumzuschieben", um so das Konzept zu finanzieren. Eine Erweiterung des Begriffs der Pflegebedürftigkeit könne niemals kostenneutral sein, "da ja mehr Bedürftige hinzukommen".

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