Kolumne Konversation: Eine unschöne Begegnung

Wer auf andere zugeht, der kann auch sich selbst dabei im Wege stehen.

Fremdschämen ist eine feine Sache und geht beispielsweise so: Man liegt am Samstagabend auf dem Sofa, schaltet den Fernseher ein und sieht Thomas Gottschalk. Der geht gerade in seiner Sendung "Wetten, dass..?" einem internationalen Supermodel verbal an die Wäsche und schwupps, ist man peinlich berührt. "Oh, hättest du das nicht getan", denkt man und: "Bitte mach es nicht weiter." Selbstverständlich macht Gottschalk trotzdem weiter, das Gefühl wird schlimmer und schlimmer.

Menschen müssen das Fremdschämen lieben, schließlich gibt es inzwischen zahlreiche Sendungen, die darauf spezialisiert sind, es hervorzurufen. Verständlich, schließlich lässt dieses Gefühl völlig vergessen, wie weitaus unangenehmer es sein kann, man selbst zu sein. Vor allem wenn gerade eine innere Stimme sagt: "Hör auf!" und man sie dennoch ignoriert.

Kürzlich, als ich mit einer Viererpackung Haushaltsrolle zur U-Bahn lief, traf ich F., einen angesehenen Journalisten aus dem Nachrichtenfach. Ich kannte ihn, weil er mir auf einer Veranstaltung ohne großes Aufhebens aus der Patsche half, indem er mir ein Diktiergerät gelieh. Ich fühlte mich in dem Moment schon doof, weil meins ihm gerade auf die Füße geplumpst war und nicht mehr funktionierte. "Oh, hallo F.!", sagte ich, "danke für deine Hilfe." Ich wusste sofort, dass dieses Gespräch ein bitteres Ende nehmen würde. Denn F. war anzusehen, dass er keine Ahnung hatte, wer ich war und was ich von ihm wollte. "Gern geschehen", sagte er. "Hör auf!", sagte meine innere Stimme. Die äußere redete unkontrolliert weiter. Vielleicht, dachte ich, könnte ich ihn ja noch irgendwie auf die Spur bringen, etwas sagen, was ihn an seinen Akt der Nächstenliebe erinnerte - und mich weniger wie eine quasselnde Irre erscheinen ließe.

"Ich habe mir ein zweites Diktiergerät gekauft, nur so zur Sicherheit", war alles, was mir spontan einfiel. Nicht wirklich aufschlussreich, und an F.s zusammengeschobenen Augenbrauen war zu sehen, dass er sich wirklich bemühte zu verstehen, weshalb ich ihm dankbar war. Aber es gelang ihm nicht. Zu unserer beider Qual. "Schön", sagte er, nickte ermunternd. "Na dann, freut mich", und hängte ein erlösendes "Tschüs!" daran. "Tschüs", sagte auch ich artig, klemmte die Haushaltsrolle fester unter meinen Arm und marschierte weiter, besessen von dem Gedanken, mich zum Affen gemacht zu haben. "Ein arroganter Schönling, dieser F.", versuchte ich mich zu trösten, doch das stimmte nicht. F. war den Umständen entsprechend freundlich gewesen. Leider.

Meinem Naturell gemäß hing mir diese Begegnung lange nach. Bis ich auf einer Veranstaltung F. wiedertraf. "Hallo", sagte ich, ohne mit meinem neuen Diktiergerät zu wedeln. "Hallo", antwortete er. Auf dem Podium redeten sich die Teilnehmer um Kopf und Kragen. "Hört auf!", dachte ich, und dabei ging es mir im Großen und Ganzen richtig blendend.

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