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Lizenzen für Fachliteratur gekauftFreie Nutzung auf dem eigenen PC

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft hat Nutzungslizenzen für über 1.000 digitale Datensammlungen und Zeitungsarchive eingekauft. Einen Zugang kann jeder Bürger bekommen.

Leisen Revolution: Über 1.000 Datenbanken und Zeitschriftenarchive sind bereits freigeschaltet. Bild: ap

Da sitzt eine junge Frau in Münster an einer Dissertation über die US-Sicherheitspolitik nach 1945. Sie kommt zu dem Schluss, ein mehrmonatiger Forschungsaufenthalt in nordamerikanischen Bibliotheken und Archiven sei dafür unvermeidlich, und sieht sich nach einer Finanzierungsquelle um.

Weil das Ganze aber im Jahre 2005 spielt, eröffnet sich ihr von einem Tag auf den anderen die Möglichkeit, völlig unentgeltlich am heimischen PC im "Digital National Security Archive" der USA zu recherchieren. Es handelt sich dabei um eine Internet-Datenbank mit mehr als 50.000 für die Öffentlichkeit freigegebenen Dokumenten, Direktiven der US-Präsidenten, Memos, Sitzungsnotizen, Mitteilungen aus dem Weißen Haus sowie CIA-Unterlagen.

Die ambitionierte Nachwuchswissenschaftlerin spart nicht nur Kosten und Zeit für die Reise, sie kann nun per Mausklick auch viel schneller arbeiten. Das Digital National Security Archive war eine von 30 großen Text- und Werksammlungen, für welche die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) 2004/2005 die ersten sogenannten Nationallizenzen für elektronische Medien erwarb.

"Diese Wissenschaftlerin gibt es wirklich, ich habe mit ihr telefoniert", triumphiert Rembert Unterstell, als müsse er noch Zweifel an der Existenz des Wunders zerstreuen, das er öffentlich vertritt. Das Thema Nationallizenzen gehört mit zu seinem Zuständigkeitsbereich als Referent für Pressearbeit bei der DFG in Bonn.

Nichts weniger als für die deutsche Wissenschaft den Sprung ins digitale Zeitalter ermöglichen soll das Sonderprogramm "Digitale Information" der DFG. Förderung von Nationallizenzen ist ein wichtiger Teil davon. Dahinter steht die Erkenntnis, dass Forschungsvorhaben umso besser gedeihen und umso mehr von internationaler Kooperation profitieren, je leichter die Forschenden Zugang zu sicheren Informationen aus aller Welt gewinnen. Auch wird auf diese Weise mehr Chancengleichheit in der Wissenschaft hergestellt.

Die etwas sperrige Bezeichnung "Nationallizenzen" weist nur darauf hin, dass diese Rechte für den gesamten Bereich der Bundesrepublik erworben wurden. Von den Initiatoren erwünscht ist zwar die Nutzung mittels großer Bibliotheken, Universitäten oder Forschungseinrichtungen. Aber die meisten erworbenen Datensammlungen sind mit einem leicht zu bekommenden Password jedem PC-Besitzer mit ständigem Wohnsitz in Deutschland zugänglich.

Im Zuge einer leisen Revolution hat die DFG bis heute 1.010 Datenbanken, große Textsammlungen und Zeitschriftenarchive freigeschaltet. Sie stammen aus Natur- und Geisteswissenschaften, Bio- und Ingenieurwissenschaften und kommen damit Forschern und Forscherinnen aller Disziplinen zugute.

Nicht nur nackte Informationen bietet das Programm, auch für das Auge ist vieles dabei: Mittelalterliche Handschriften, Inkunabeln oder die Gemälde kommen als sogenannte Images auf den heimischen Schreibtisch. Entscheidend für die Anschaffung ist die aufgrund von Expertisen eingeschätzte Relevanz einer elektronischen Datensammlung als wissenschaftliche Quelle.

Zu den größten Datenbanken des Programms gehört eine der neuesten Erwerbungen, die Kollektion der "British Library Newspapers" (17. bis 19. Jahrhundert) mit ihren 3,2 Millionen Onlineseiten. Vergleichsweise klein als Datensammlung, aber bisher sehr exklusiv sind die an Universitäten und Forschungseinrichtungen online einsehbaren "Testaments to the Holocaust" aus der Wiener Library in London, dem ältesten Holocaust-Museum der Welt. Damit werden persönliche Zeugnisse und Bilder zum jüdischen Leben in Deutschland unter dem NS-Regime, in den Konzentrationslagern, im Untergrund und Exil allgemein zugänglich.

Natürlich hat so viel geballtes Wissen seinen Preis. Wie hoch der in jedem Einzelfall gewesen ist, darüber schweigt sich der DFG-Pressesprecher aus: "Alles langwierige Verhandlungssache". Nur die Kosten per Jahr sind bekannt. 2006 zum Beispiel betrug die für alle Ankäufe bereitgestellte Gesamtsumme 21,5 Millionen Euro.

Zu den teuersten Anschaffungen dürfte die 2007 erworbene Nationallizenz für das Archiv der Zeitschrift Nature für 1869 bis 2007 gehört haben. Für solche nicht geschlossenen Archive muss die DFG auch in Zukunft weiter zahlen, wenn sie die neuen Jahrgänge erwerben möchte.

In deutschen Forschungseinrichtungen stößt das Programm selten auf Vorbehalte. Die Dateien werden schließlich von der DFG bezahlt. Außerdem leben Wissenschaftler in der Regel nicht von Publikationen, sondern von Steuergeldern. Einige deutsche Universitäten ermuntern ihre Mitarbeiter sogar, ihre Schriften auf die Homepage der Alma Mater zu stellen. Die nationallizenzierten Informations- und Rechercheangebote werden intensiv und gern genutzt.

In keinem anderen Land Europas gibt es Vergleichbares. Doch die Bundesrepublik hat die Nationallizenzen auch besonders nötig. Dank des Föderalismus sind bei uns die Aufgaben im Bereich der überregionalen Literaturversorgung stark verstreut. So zentral sammelnde Institutionen wie die Library of Congress in Washington oder die British Library in London existieren hierzulande nicht.

Ein Körnchen versalzt auch diese Suppe: das Problem der Langzeitarchivierung von elektronischen Daten hat noch keine Institution der Welt abschließend gelöst. Alles muss periodisch auf neue Datenträger gespeichert werden. Fachleute nennen das "Migration von Digitalisaten".

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11 Kommentare

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  • M
    Museumsmensch

    Langzeitarchivierung - ist ein Prozess, der die mit dem Sammeln von Informationen betrauten Institutionen dauerhaft begleiten wird. Dass es keine abschließende Lösung gibt, bei der man die Daten auf einen Datenträger speichert und ohne jede Kontrolle, ob der Inhalt noch lesbar ist, für Jahrhunderte liegen lässt, ist kein Drama - LZA wird zum Teil der täglichen Arbeitsroutine für Archive, Bibliotheken und Museen; vergleichbar zur sonstigen Sammlungspflege. Stand der Dinge -> www.langzeitarchivierung.de

  • BK
    Bernardus K

    Die wichtigen Publikationen von Elsevier und Springer im Bereich der Naturwissenschaften sind leider immer noch ausschließlich für Hochschulen zugänglich.

     

    Es ist nicht wirklich zu verstehen, warum Privatleute sich nach Herzenslust auf Staatskosten durch Sammlungen mittelalterlichen Lateins oder durch umfangreiche Fischzüchter-Facharchive wühlen dürfen, aber nicht durch die Publikationen aus den Bereichen Elektrotechnik, Physik und Chemie.

  • SL
    sabine liess

    kostenlose Anmeldung für die Nationallizenzprodukte für Privatpersonen unter:

    http://tinyurl.com/na5pud

    das führt zu:

    (https://www.nationallizenzen.de/anmeldung/privatpersonen/s/ind_inform_registration)

  • GS
    Gerald Steilen

    Kostenfreie Registrierung für "wissenschaftlich interessierte Privatpersonen": https://www.nationallizenzen.de/anmeldung/privatpersonen/s/ind_inform_registration

     

    Aus lizenzrechtlichen Gründen wird einem das Passwort per Briefpost zugesandt. Das dauert i.d.R. ein paar Tage, weil jeder Antrag einzeln geprüft werden muss.

  • MV
    Michel Voss

    Die weltweit beste medizinische Datenbank, die Cochrane Library, ist in Deutschland nur Mitgliedern der Kassenärztlichten Vereinigung Nordrhein frei zugänglich, laienverständliche Zusammenfassungen auf Deutsch sind aber für alle frei: http://www.cochrane.org/reviews/index_de.htm

  • MH
    Michael Hubertz

    Vielen Dank für den wertvollsten Link im Internet.

    Hubi:-)

  • T
    taz.de

    Liebe Leser,

    wir haben den Link nachträglich eingebaut - danke für den Hinweis!

    Die Redaktion

  • BI
    Bertram in Mainz

    Das Problem der Langzeitarchivierung ließe sich lösen. Es ist sicher keine unlösbare Aufgabe, Datenträger und Lesegeräte mit einer Lebenszeit von Jahrhunderten zu entwickeln. Zumindest für das Basiswissen müsste es Langzeitarchive geben. Aber in der Zeit des kurzfristigen Profits interessiert sich kaum jemand dafür. Im Gegenteil, man verkürzt die Lebenszeit von Information durch Rechte-Management. Es gibt Langzeitarchive auf Mikrofilmen. Aber man scheint sich mehr für bürokratischen Kram als für wirkliches Wissen zu interessieren. Ich weiß nicht, ob man sich in 500 Jahren für einen speziellen Gesetzestext interessieren wird. Eher interessant wird sein, welchen Stand die Wissenschaften "damals" (also heute) hatten. Oder wie die Technik des 20./21. Jahrhundert funktionierte.

     

    Warum macht man es nicht einfach so: Die Laufzeit von Urheberrechten wird rigoros beschränkt. Nach ein paar Jahren wird alles zur Freeware. Warum laufen Urheberrechte so viel länger als technische Patente? Ohne überzogene Urheberrechte entscheidet die Allgemeinheit, was erhalten bleibt. Was irgendwie interessant ist, das wird von irgend jemandem gespeichert, aufgehoben, auf neue Datenträger umkopiert, wieder dem Internet zur Verfügung gestellt. Nur absolute Blindgänger sterben aus. Es wäre ein ganz fairer Wettbewerb, kein Verdrängungs-Wettbewerb. Was interessiert, überlebt irgendwo irgendwie.

  • A
    Aal

    Weiß jemand wo man einen antrag stellen kann, als privat da zu zugreifen?

  • C
    Cookie

    Eine gute Sache... Aus den ersten Blick. Man muss sich schließlich fragen, warum Zugang zu diesen Datenbanken und Archive überhaupt teuer eingekauft werden muss? Ein SEHR großer Teil der darin enthaltenen Forschung wurde sicherlich von Steuergeldern (schon) bezahlt, bzw. gehört zum allg. Kulturgut.

     

    Wissenschaftler, die die Forschung betreiben: von Steuergeldern bezahlt

    Wissenschaftler die Begutachtung der Publikationen durchführen: von Steuergeldern bezahlt

    Einkauf der Lizenzen von den Verlagen: von Steuergeldern bezahlt

     

    ...

     

    Stichwort: Open Access

  • M
    Mustafa

    Auf welche Arten kann man denn als Buerger direkten Zugriff auf die Daten erhalten? Ist das nur ueber Forschungs- und Lehreinrichtungen bzw. deren angeschlossene Bibliotheken moeglich oder geht das auch direkter?