Schwulenaktivist der CDU: Anwalt der Schwulen im Weinberg des Herrn

Das christliche Menschenbild mit Homosexualität in Einklang zu bringen, ist nicht einfach, aber Matthias Steuckardt bleibt beharrlich. In seiner Partei, der CDU, gilt er als "Exot", als Schwulenaktivist ist er der Verteidiger der heterosexuellen Ehe.

Denkmal für die im Nationalsozialismus verfolgten Homosexuellen Bild: dpa

Matthias Steuckardt steht vor dem Mahnmal für die im Nationalsozialismus verfolgten und ermordeten Homosexuellen. "Ich bin gerne hier", sagt der Schwulenaktivist der CDU und holt mit dem Arm weit aus, als würde dieser Ort ihm gehören.

Das Mahnmal für die Homosexuellen ist ein grauschwarzer Kubus mit einem Sichtfenster. Innen zeigt ein Film in Endlosschleife zwei junge Männer, die sich küssen. "Das Denkmal ist schon dreimal beschädigt worden. Das ärgert mich", sagt Steuckardt und lehnt sich an den dunklen Stein. Die Gewalt gegen Schwule in Berlin nehme in letzter Zeit zu, erklärt er. Vor kurzem wurde ihm im Motzstraßen-Kiez das Handy geklaut. Der Dieb habe von hinten die Arme um ihn gelegt, als wolle er ihn anmachen. "Diese Taktik geht oft auf, weil es unter Schwulen normal ist, sich sofort zu berühren." Es gebe im Kiez Banden, die sich ganz gezielt schwule Opfer vornehmen und ausrauben.

Steuckardt sollte etwas dagegen tun, das ist sein Job. Er ist Vorsitzender des Regionalverbands Ost der LSU - Lesben und Schwule in der Union - und Schriftführer im Schöneberger Ortsverband der CDU. Zu offiziellen Terminen trägt der 29-jährige Jura-Student Anzug, Krawatte und polierte Schuhe. Seine kräftige Statur und die hohe Stirn lassen ihn älter erscheinen, als er ist. Nur sein Gesicht wirkt kindlich.

Zehn Mitglieder hat die LSU in Brandenburg, Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt verteilt. Für diese zehn ist Steuckardt verantwortlich. Die Ost-LSU-ler fahren gemeinsam ins Grüne oder auf den Weihnachtsmarkt. "Es haben sich sehr enge persönliche Kontakte ergeben." Für ihn ist die LSU wie Familie. Innerhalb der Partei fällt die LSU kaum ins Gewicht. Im Gegensatz zu den Mitgliedern der Frauenunion, der Jungen Union oder der Mittelstandsunion hat die LSU keine Vertreter in CDU-Gremien auf Orts- oder Kreisverbandsebene. "Die sind schon Exoten", meint ein CDUler, der namentlich nicht genannt werden will.

Steuckardt ist bei den Christdemokraten, weil ihm das christliche Menschenbild wichtig ist. Er kämpft gegen den Strich, den seine Partei zwischen Ehe und eingetragener Lebenspartnerschaft zieht. Die LSU fordert das Recht auf Witwenrente und Adoption - auch für homosexuelle Paare. Erst mit Kindern werde aus einer Ehe die Familie, die zu gründen auch Schwule das Recht haben müssen, meint Steuckardt. Und dann sagt er noch, dass er die CDU von innen heraus verändern will. Er sagt es nicht trotzig, sondern beharrlich.

So beharrlich, wie er sich auch in der Vorbereitungsgruppe zum Christopher Street Day gegen die Forderung "Ehe für alle" auf dem CSD-Flyer ausspricht. Etwa 20 schwule Männer sitzen im Café der Aids-Hilfe in einer Villa in Wilmersdorf zusammen. Sie versuchen, über Partei- und Interessensgrenzen hinweg einen Konsens zu finden, wie die Formulierung im Flyer erklärt wird. Steuckardt ist als einziger dagegen. "Ach, Matthias!" Der Sitzungsleiter schüttelt den Kopf. Steuckardt meint, eine Ehe schließen können nur Mann und Frau. Die LSU bleibt beim Begriff der "eingetragenen Lebenspartnerschaft", die aber der Ehe rechtlich gleichgestellt sein soll.

Während der Diskussion legt er oft Widerspruch ein. Die anderen Männer grinsen. Zwischen dem Sitzungsleiter und Steuckardt entwickelt sich ein Schlagabtausch. "Schätzelein, hörst du mir zu?", pariert Steuckardt eine verbale Attacke.

Nach der Abstimmung geht Steuckardt mit ein paar Leuten der CSD-Vorbereitungsgruppe noch in die plüschige Kneipe um die Ecke. Bei Bier und Bulette fallen die politischen Unterschiede nicht mehr ins Gewicht. Parteiübergreifend wird über die Angriffe gegen Schwule im Schöneberger Kiez geredet. "Ach, dein Handy wurde auch geklaut?" Endlich ist Matthias Steuckardt einer von allen.

"Ich bin mit dem Gedanken aufgewachsen, dass Schwulsein etwas ganz Abartiges ist", sagt Steuckardt. Und einige in seiner Familie halten an dieser Meinung noch fest. Vor vier Jahren feierte Steuckardts Großvater mit der Familie seinen 65. Geburtstag - in dem Dorf Kleinvargula in Thüringen. Die Kaffeetafel war draußen auf dem Hof aufgebaut, der Tag war so heiß, dass das Metall der Kerzenleuchter schmolz. Je hitzeschwangerer die Stimmung, desto brutaler die Worte. "Die Schwulen müsste man alle vergasen", sagte der 1940 geborene Jubilar.

Nur Steuckardts Tante, die in Kassel lebt, widersprach. Er selbst protestierte nicht gegen den Opa. "Bis heute stört mich, dass ich damals nicht aufgestanden bin." Doch er scheute den Tabubruch. Nur seine Mutter wusste damals, dass er homosexuell ist, vor Vater und Großvater hatte Steuckardt das lieber verschwiegen. Inzwischen wissen die beiden auch Bescheid, aber das Thema bleibt tabu.

Trotz alldem hält Steuckardt seinen Opa nicht für rechtsradikal. "Auf dem Land neigt man eben zu extremen Formulierungen." Dabei ist die rechtsextremistische Szene in Kleinvargula und den Nachbargemeinden durchaus ein Thema für ihn. So erinnert er sich, dass früher in der Realschule etliche Klassenkameraden in Springerstiefeln und Bomberjacke herumliefen - einer sogar bis heute. "Einigen Leute möchte ich nachts lieber nicht begegnen." Er wechselt auch tagsüber vorsichtshalber die Straßenseite - obwohl in seiner Heimat offiziell niemand weiß, dass er schwul ist.

Mit 16 verließ Steuckardt Kleinvargula und ging aufs Internat in Gotha. Komischerweise sei er als Teenager immer in Mädchen verliebt gewesen, erinnert er sich. Dass er sich zu Männern hingezogen fühlte, verdrängte er auch während seiner Zeit bei der Bundeswehr noch. Selbst in Berlin fiel es ihm schwer, zu seiner Homosexualität zu stehen. Erst durch einen Freund kam Steuckardt in Kontakt mit der schwulen Szene. "Vorher hatte ich richtig Angst, in den Kiez um Nollendorfplatz und Motzstraße zu gehen", erinnert er sich. Er fürchtete sich sogar davor, gefilmt zu werden: Die Bilder hätte man ja zu Hause in Thüringen sehen können.

Der lange Prozess der Selbstfindung dauert eigentlich bis heute, meint Steuckardt. Äußerlich sieht man ihm das nicht an: Er wirkt gesetzt und in sich ruhend. Vor ein paar Jahren war das anders: Von einem Tag auf den anderen rasierte er sich die Augenbrauen, legte sich enge Klamotten zu und trainierte die Pfunde runter. Aber das war nur eine Phase.

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