Bundesregierung äußert sich zu Marwa: Messerattacke von Dresden abscheulich
Regierungssprecher Steg verteidigt die Kanzlerin gege Vorwürfe, die Regierung beziehe keine Stellung zur Messerattacke im Dresdner Gericht. Merkel will mit Mubarak über den Fall sprechen.
BERLIN/DRESDEN dpa | Die Bundesregierung hat die Kritik von Muslimen an ihrer Reaktion auf die Messerattacke auf eine Ägypterin im Dresdner Landgericht zurückgewiesen. Die Ausländerbeauftragte Maria Böhmer (CDU) habe dem Ehemann der getöteten 31-jährigen Frau das Beileid ausgesprochen und die Abscheu über die Tat zum Ausdruck gebracht, sagte der stellvertretende Regierungssprecher Thomas Steg am Mittwoch in Berlin. "Die Bundesregierung hat nicht geschwiegen."
Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland und auch der Zentralrat der Muslime hatten erklärt, die Regierung habe nicht eindeutig Stellung bezogen. Die schwangere Ägypterin Marwa S. – Mutter eines dreijährigen Sohnes – war am 1. Juli mitten in einem Prozess am Dresdner Landgericht von dem Angeklagten angegriffen und mit mindestens 18 Messerstichen getötet worden. Der Ehemann (32) der Frau wurde schwer verletzt. Die Tat geschah vor den Augen ihres Sohnes.
Gegen den Täter, einen aus Russland stammenden Deutschen (28), wurde wegen Mordes Haftbefehl erlassen. Die Staatsanwaltschaft Dresden hatte ihn als "fanatischen Ausländerfeind" bezeichnet. Sachsens Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) sprach der Familie der ägyptischen Frau sein tief empfundenes Mitgefühl aus. "Diese hinterhältige, feige und rechtsextremistisch motivierte Tat ist beschämend", sagte er am Mittwochabend in Dresden.
Zuvor hatte Tillich den bei der Tat schwer verletzten Ehemann der Frau im Dresdener Universitätsklinikum besucht. Zusammen mit dem ägyptischen Botschafter in Deutschland, Ramsi Ess Eldin Ramsi, begleitete er den Vater des Schwerverletzten. Nach den Worten Stegs könnten Gewalttaten dieser Art – ob mit oder ohne fremdenfeindlichem Hintergrund – "nur aufs Schärfste verurteilt werden".
Gespräche mit Mubarak am Rande des G8
In Deutschland gebe es keinen Platz für Ausländer- und Fremdenfeindlichkeit und auch nicht für "Islamophobie", sagte Steg offenbar in Anspielung auf mögliche Motive der Tat. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) werde am Rande des G8-Gipfels im italienischen L'Aquila mit Ägyptens Präsident Husni Mubarak zusammentreffen. Dort gebe es dann Gelegenheit, auch über diese Vorgänge zu sprechen.
Der Koordinierungsrat der Muslime in Deutschland rief zu friedlichen Schweigemärschen für die Getötete auf. "Marwas Tod hat uns in Angst und Schrecken versetzt. Die Politik muss endlich die Islamphobie in unserem Land ernst nehmen", hieß es in einer am Mittwoch veröffentlichten Stellungnahme des Rates mit Sitz in Köln. Marwa S. sei auch "Opfer der Hetze und Verleumdungen, die spätestens seit der Zeit der Entscheidung zum Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst und auf einschlägigen Internetseiten betrieben wird".
Der Generalsekretär des Zentralrats der Muslime, Aiman Mazyek, sagte dem Berliner Tagesspiegel: "Die Indizien für eine islamophobe Tat sind erdrückend". Und weiter: "Vorsicht ist gut, aber hier grenzt sie an Beschwichtigungspolitik." Angemessen wäre stattdessen "ein Signal der Anteilnahme, die das menschliche Antlitz Deutschlands zeigt". Damit könne man auch helfen, die wütenden Reaktionen in Ägypten zu beschwichtigen.
Bei der Beerdigung der Frau war es am Montag in der ägyptischen Hafenstadt Alexandria zu Protesten gekommen. Einige Trauergäste forderten Vergeltung. Mazyek hatte am gleichen Tag bei einem Besuch in Dresden am Krankenbett des verletzten Ehemannes an die in Deutschland lebenden Muslime appelliert, sich nicht von Hass anstecken zu lassen.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Alleingang des Finanzministers
Lindner will Bürgergeld kürzen
Putins Brics-Gipfel in Kasan
Club der falschen Freunde
Deutsche Asylpolitik
Die Hölle der anderen
Kritik an Initiative Finanzielle Bildung
Ministeriumsattacke auf Attac
Linke in Berlin
Parteiaustritte nach Antisemitismus-Streit
Investitionsbonus für Unternehmen
Das habecksche Gießkannenprinzip