Renitenz will gelernt sein

KLOSTERSCHIKANEN „La Religieuse“ („Die Nonne“) von Guillaume Nicloux steht mit fraglicher Existenzberechtigung im Wettbewerb

Sähe man dergleichen doch in relevanteren Milieus dargestellt

VON EKKEHARD KNÖRER

Grundsatzfrage: Warum Literaturverfilmung? Doch wohl deswegen, weil man vom und mit dem Kino etwas will, für das man in der Vorlage irgendeine Art von Vorlage entdeckt. Einen Impetus, eine Konstellation, eine Figur, eine Wut, die der Gegenwart, in die man den eigenen Film dann hineinwirft, etwas sagt.

Die konkrete Frage wäre also: Was könnte es sein, das Guillaume Nicloux in Denis Diderots wohl gegen 1780 verfasstem und posthum veröffentlichten Antiklosterroman entdeckt hat? Zur Antwortfindung kommt erschwerend hinzu, dass es einen klassischen und großartigen Film nach genau dieser Vorlage schon gibt. Jacques Rivette hat ihn 1966 gedreht, mit Anna Karina und Lilo Pulver in den Hauptrollen. Es könnte natürlich auch sein, dass Nicloux von diesem Bezugsfilm etwas will. Das scheint aber nicht so. Überhaupt bleibt eine plausible Antwort auf die Frage, was das Ganze wohl soll, bis zum Schluss aus, also fast zwei alles andere als kurzweilige Stunden lang.

Der Roman erzählt von der außerehelich gezeugten Suzanne Simonin, die von ihrer Mutter (Martina Gedeck in Kurzauftritten) ins Kloster gesteckt wird. Erst geht es passabel, dann wird es sadistisch, dann kommt Suzanne in ein anderes Kloster, in dem die Oberin sie sexuell bedrängt bis belästigt. Sehr lang ausgespielt wird in diesem Film die Darstellung der klassischen Einschließungsepisteme. Was im Kloster geschieht, ist mit Einsperrung, Entzug von Speise und Trank sowie Verbot von Trostfindung im Gebet so unerfreulich wie als Diagnose zwei bis drei Jahrhunderte gesellschaftlicher Disziplinar- und Kontrollinstitutionen. Gewiss ist Suzanne in ihrer fortgesetzten Unbeugsamkeit ein schönes Rollenmodell. Und in der Tat wollen das Neinsagen und die Renitenz gestern, heute und morgen gelernt sein. Ginge es aber darum, dann wäre es netter, man sähe Derartiges in für die Gegenwart relevanteren Milieus der Lebens- oder gar Arbeitswelt dargestellt. Der Widerstand gegen Verrohung im Kloster ist hier und jetzt doch eher gratis.

Mit dem sexual harassment macht Nicloux einerseits sehr viel kürzeren Prozess. Andererseits wird der Film von Isabelle Huppert als Oberin (zum Glück) auf eine Weise an den Rand der Nunsploitation outriert, dass man nicht sicher sein kann, ob Nicloux wirklich weiß, wie ihm und seinem ansonsten doch arg spröde-drögen Werk hier geschieht. Im Prinzip hat er den Film inszenatorisch nämlich unter Kontrolle. Handwerklich ist das solide gemacht, deutlich über dem üblichen Fernsehniveau, da freut sich das im Vorspann versammelte deutsch-französische Filmförderwesen.

Nur sollte man auch wieder nicht an eine – eben – Fernsehproduktion wie Dominik Grafs wunderbare Nonnenstigmatisierungsvision „Das Gelübde“ denken. Dann nämlich wird das Bedauern sehr groß, dass Grafs jüngster Historienfilm „Die geliebten Schwestern“ (um Friedrich Schiller) wohl nicht rechtzeitig fertig wurde für die Berlinale. Stattdessen: „Die Nonne“, ein Qualitätsfilm, für dessen Existenz oder gar Anwesenheit im Wettbewerb eines A-Festivals es keinen vernünftigen Grund gibt.

■ Heute, Friedrichstadt-Palast, 12 Uhr; heute, Haus der Berliner Festspiele, 20 Uhr; 17. 2., Friedrichstadt-Palast, 18.15 Uhr