Empörung über Kirchenräumung: Strafanzeigen und Hungerstreik
Der nächtliche Polizeieinsatz zur Räumung von Flüchtlingen aus einer Kopenhagener Kirche provoziert Massendemonstrationen und heftige Debatten.
STOCKHOLM taz | Die achtzehn irakischen Flüchtlinge, die in der Nacht zum Donnerstag gewaltsam von der dänischen Polizei aus dem Kirchenasyl in Kopenhagen entfernt und in Abschiebehaft genommen worden waren, sind in den Hungerstreik getreten. "Sie sind entschlossen, ihn mit aller Konsequenz durchzuziehen und bis zum Äußersten zu gehen", berichtete gestern Agri Kurdistani, ein Familienangehöriger einer der Festgenommenen.
Der bislang beispiellose Bruch eines Kirchenasyls durch die Polizei hat in Dänemark eine kontroverse Debatte ausgelöst. Am Donnerstagabend protestierten in Kopenhagen rund 25.000 Menschen gegen den Einsatz. Einer, der 77-jährige Rentner Ole Eskildsen, sagte: "Ich konnte nicht zu Hause sitzen und zusehen, wie man in Dänemark Menschen behandelt. Das ist unwürdig für unser Land."
Es war "die größte Demonstration seit Jahren und vermutlich die größte, die je binnen weniger Stunden organisiert wurde", freute sich Jacob Hjuler Tamsmark, Sprecher der Organisation "Kirchenasyl": "Das gibt uns Hoffnung und Energie weiterzukämpfen." Bei einer Demonstration in Dänemarks zweitgrößter Stadt Århus verglich ein sozialdemokratischer Lokalpolitiker das Vorgehen der Polizei mit dem in einer Militärdiktatur. Doch laut einer Blitzumfrage hält eine Mehrheit der DänInnen das polizeiliche Eingreifen für gerechtfertigt. Die Regierung liegt deshalb offenbar gar nicht so falsch, wenn sie glaubt, mit dem Einsatz politisch punkten zu können. Peter Christensen, Sprecher der rechtskonservativen Partei "Venstre", kündigte an, man wolle die Aktion gegen das Kirchenasyl zu einer Frage des kommenden Wahlkampfs machen: Die Linksopposition solle erklären, wie sie denn gegen abgewiesene Asylbewerber vorgehen wolle. Helle Thorning-Schmidt, Vorsitzende der Sozialdemokraten, leitete prompt eine Kursänderung gegenüber der ursprünglichen scharfen Kritik aus ihrer Partei ein: Auch wenn man Sympathie für diese Flüchtlinge habe, "gibt es keinen Zweifel, dass in Dänemark die Gesetze auch für abgewiesene Asylbewerber gelten."
In Medien und Internet finden sich mehrere Beispiele, die das brutale Vorgehen der Polizei gegen DemonstrantInnen bei dem nächtlichen Polizeieinsatz vor der Brorsons-Kirche dokumentiert. "Wir saßen friedlich auf der Straße, und ich dachte, man würde uns da wegtragen", berichtete die 20-jährige Christina Søndergaard. Völlig grundlos hätten Polizisten achtmal mit dem Schlagstock auf sie eingeschlagen. Bei der Organisation "Kirchenasyl" haben sich inzwischen 30 Personen gemeldet, die sich wegen des Polizeieinsatzes in Krankenhausbehandlung begeben mussten. Mehrere von ihnen wollen Strafanzeige stellen.
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