Neues Buch über Hermann Göring: Von Bildern und Räubern

Wie sich Hermann Göring bei der Plünderung jüdischer Sammlungen bereicherte, zeigt eine detaillierte Studie des Berliner Historikers Hanns Christian Löhr.

Der "eiserne Sammler" in seiner Paradeuniform. Bild: ap

Werden Tätergeschichten aus der Zeit des Nationalsozialismus erzählt, besteht die Gefahr, ins Reißerische abzudriften. Schnell kann hinter effektvollen Ausmalungen des Dämonischen das Leid der Opfer verschwinden. Der Studie "Die Kollektion Hermann Göring: Der eiserne Sammler - Kunst und Korruption im ,Dritten Reich' " von Hanns Christian Löhr ist dieser Vorwurf nicht zu machen - auch wenn der Autor schillernde Psychologisierungen des Porträtierten aufbietet und der Titel reichlich marktschreierisch und zudem irreführend ist. Schließlich ist ein Kunstraub bis dahin ungekannten Ausmaßes das Thema - die Plünderung jüdischer Kunstsammlungen in ganz Europa.

Schon als Kind habe sich Göring, aufgewachsen in den Burgen des adeligen Liebhabers der Mutter, vor dem zerrütteten Familienleben in eine Ritterromantik zurückgezogen - eine "Realitätsflucht", so Löhr, die sich 1943 wiederholte, als Göring infolge militärischer Misserfolge "nur noch in der Scheinwelt seiner Kunstsammlungen und Jagdreviere" lebte. Kolportagen Hitlers und anderer NS-Granden über Auftritte Görings mit rot lackierten Fingernägeln oder in Toga, über die Egozentrik und das Suchtverhalten des Morphinisten Göring in Bezug auf Kunst werden wiedergegeben.

Und wenn Löhr gleich zu Beginn des Buchs den Wagen des "Reichsmarschalls" über den weißen Kies vor dem Pariser Jeu-de-Paume-Museum knirschen lässt, wo von den Nazis aus jüdischen Sammlungen ganz Frankreichs zusammengeraubte Kunstschätze lagerten, und den Tag, an dem Göring zum Kunsträuber geworden sei, auf den 3. November 1940 datiert, offenbart sich zudem ein seltsames Rechtsverständnis. Soll Göring als preußischer Ministerpräsident, Reichstagspräsident und Verkünder der Rassengesetze auf dem NSDAP-Reichsparteitag von 1935 in den Jahren zuvor etwa nicht einer der Drahtzieher der Judenverfolgung, ihrer Ausplünderung und damit etwa kein Räuber gewesen sein?

Ab 1936, das schreibt Löhr selbst, habe Göring über Zwischenhändler von Zwangsverkäufen jüdischen Eigentums profitiert. Auch wenn er in Österreich und Polen am "Führervorbehalt" Hitlers auf Kunstwerke scheiterte, versuchte Göring dort 1938/39 doch unmittelbar in den Besitz beschlagnahmter oder zurückgelassener Kunstgegenstände aus jüdischem Eigentum zu gelangen. In den Niederlanden kam er Mitte 1940 zum Zug, ohne in Konkurrenz zu Hitler zu geraten. Der Zwangsverkauf der renommierten Sammlung Jacques Goudstikker hob Görings Kunstbesitz aus dem Bereich der Liebhaberkollektion auf das Niveau einer bedeutenden Sammlung.

Was Löhr gut herausarbeitet, ist neben der Konkurrenz innerhalb der NS-Führung vor allem die Komplexität des "Systems Göring" und die Vielzahl der Helfer, die er mit Namen und wichtigen Transaktionen benennt. In Frankreich beispielsweise kooperierte das "Devisenschutzkommando", das Göring als Beauftragtem für den Vierjahresplan unterstand, mit dem Stab des NS-Reichsleiters Rosenberg, der dort für Hitler jüdische Sammlungen plünderte. Bemerkenswert ist das Bestreben, dem Raub den Anschein legaler Geschäfte zu geben, wenn Ausnahmen von der Haager Landkriegsordnung konstruiert oder dem Vichy-Regime Zahlungen für geraubtes jüdisches Eigentum angeboten wurden.

Mit Geld aus diversen Sonderfonds erwarben Händler in ganz Europa Kunst, die ohne den NS-Verfolgungsdruck nie auf den Markt gekommen wäre. Dabei erpresste Göring auch jüdische Kunsthändler, die sich durch eine Kooperation der sicheren Vernichtung zu entziehen versuchten. Anders als Hitler verkaufte oder tauschte Göring Gemälde aus seinem Besitz, etwa 167 gestohlene Impressionisten gegen einen vermeintlichen Vermeer. Dass es sich um eine Fälschung Han van Meegerens handelte, erfuhr Göring erst vor dem Nürnberger Militärtribunal - laut Zeugen sichtlich entsetzt. Auf 1.789 Gemälde - vor allem alte Meister, flämische und holländische Malerei, Renaissance, vereinzelt auch verfemte Kunst - beziffert Löhr den Gesamtbesitz Görings. Auch wenn er Erkenntnisse der amerikanischen Provenienzforscherin Nancy Yeide, die mit Schätzungen von bis zu 1.900 Bildern für Aufsehen sorgte, noch nicht verarbeitet hat, liegt er damit deutlich über den Angaben bisheriger Publikationen. Das liegt daran, dass Löhr verschiedene Inventare abgleicht und auch jene Bilder einbezieht, die sich nur zeitweise im Besitz Görings befanden.

Zwar hatte Göring 1945 die Sammlung von "Carinhall" in der Schorfheide nach Bayern abtransportieren lassen, bevor er die Sprengung seines Landsitzes anordnete. Ein Teil, neben Skulpturen und Teppichen vor allem auch Gemälde gerade aus jüdischem Eigentum, könnte dort, wie Löhr vermutet, jedoch bewusst mit zerstört worden sein - um die Spuren von Görings Komplizenschaft mit dem Einsatzstab Rosenberg zu verwischen. Zumindest jene Teile der Sammlung aber, die erst in den letzten Kriegstagen durch Plünderungen abhandengekommen sind, könnten Löhr zufolge im Kunsthandel wieder auftauchen. Ein Katalogteil mit Abbildungen vieler dieser Verluste bildet deshalb den Schlussteil des Buchs.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.