„Ich bin froh über jeden, der mir hilft“

Schlechte Bildungschancen von armen Kindern lassen NRW-Bildungsministerin und Hobby-Jägerin Barbara Sommer (CDU) schlecht schlafen

„Das Modell der Schule für alle klingt zunächst spannend. Es ist ein Ansatz unter vielen.“

INTERVIEW: ANNIKA JOERES
UND
NATALIE WIESMANN

taz: Frau Sommer, was wären Sie am liebsten unter Ihrer Landesregierung: Lehrerin, Schülerin oder Jägerin?

Barbara Sommer: Ich wäre am liebsten Lehrerin. Ich habe mich als Siebenjährige in meinen Grundschullehrer verliebt und ab da hatte ich die Idee: So wie er möchte ich sein. Ich bin sehr gerne Lehrerin gewesen.

Wie kam dann der Sprung zur Politikerin?

Das ist Zufall. Ich bin zwar schon seit mindestens 25 Jahren in der CDU, aber war nie politisch aktiv. Das hat Vorteile: Als Seiteneinsteigerin habe ich vielleicht weniger Vorbehalte gegen die einen oder die anderen.

Ihr Traumjob ist Lehrerin – von Ihren ehemaligen KollegInnen werden Sie bei Ihren Auftritten aber ausgebuht?

Wenn man überlegt, was im Moment so ansteht, wie die Sanierung des Haushalts, ist das natürlich schmerzhaft. Es ist schwer zu vermitteln: Du kriegst weniger. Alle müssen lernen, dass es so nicht weiter geht wie bisher.

Schwer zu vermitteln klingt harmlos: Ihnen schlägt aber blanke Wut entgegen, zum Beispiel über verlängerte Arbeitszeiten.

Es ist nicht wirklich Wut, ich kenne meine Lehrer seit 30 Jahren. Ich habe großes Vertrauen zu ihnen. Wut und Entsetzen, das habe ich noch nie gespürt.

Die Meinungen gehen allerdings weit auseinander. Was spricht denn für Sie persönlich gegen eine Schule für alle, wie der Lehrerverband VBE sie vorschlägt?

Ich bin erst einmal offen für alles, höre mir die Vorschläge von allen an – ob nun von Lehrern oder Gewerkschaften. Die Untersuchung vom VBE klingt zunächst spannend, es ist ein Ansatz von vielen. Ich freue mich über jeden, der mir bei der Problemlösung hilft. Wenn wir über sinkende Schülerzahlen sprechen, können wir ja zum Beispiel auch an eine Verbundlösung denken.

... dass sich Schulen zusammen schließen.

Wir brauchen unsere Zeit für das Konzept. Das Problem der sinkenden Schülerzahlen ist da.

Das Problem wird aber offensichtlich in der CDU unterschiedlich bewertet: Ministerpräsident Rüttgers sprach von 770 Grundschulen, die geschlossen werden müssten, Sie nur von 60.

Das ist ja nun lange genug diskutiert worden. Wir wollten vermitteln: Wir tun was gegen die drohenden Schulschließungen. Das ist leider misslungen, die Debatte hat sich in dem Zahlenspiel verhakelt.

Gerade Sie und Ihre Partei werfen doch mit diesen Zahlen um sich.

Zahlen sind unterschiedlich interpretiert worden. Wenn ich von Schule spreche, spreche ich von Menschen. Ich tüte hier keine Pralinen ein. Ich nenne ihnen einmal ein Beispiel: Gestern habe ich gehört, dass in einem kleinen Kollegium zwei Lehrer krank geworden sind. Das ist unkalkulierbar.

Unkalkulierbar wie die Entwicklung eines Kindes: Laut einer Studie soll die Hälfte aller Schulempfehlungen nach der Grundschule falsch sein.

Die Zahl stimmt so nicht. Es gibt natürlich Unsicherheiten. Ich muss jetzt mal eine Lanze brechen für meine Lehrer, die kennen ihre Schüler sehr gut.

Das ist nicht unbedingt ein Fehler der Lehrer – vielleicht fällt die Entscheidung zu früh.

An der Empfehlung arbeiten alle Lehrer, die das Kind ja seit vier Jahren kennen, mit. Aber auch ich möchte erreichen, dass die Zahl der Kinder geringer wird, die auf falschen Schulen landen. Dazu mache ich jetzt die Übergangsempfehlung verbindlicher als dies bisher der Fall war.

Die Lernstandserhebungen wurden ausgerechnet an einem muslimischen Feiertag durchgeführt. Eine Entscheidung fernab der Lebenswelt eines großen Teils der Schüler.

Die Vorlaufphase für dieses Projekt ist so lang, das ist nicht einfach umzustoßen. Außerdem hatten die Schulen mit einem hohen Anteil muslimischer Schüler die Möglichkeit, die Lernstandserhebung wegen des Zuckerfests zu verschieben.

Die Grünen werfen Ihnen vor, den Test absichtlich auf diesen Tag gelegt zu haben, um die Ergebnisse zu schönen.

Das ist absurd. Mir ist nicht bekannt, dass so viele Kinder gefehlt haben. Die Ergebnisse werden aussagekräftig sein.

Die IGLU-Studie hat gezeigt: Arztkinder gehen zum Gymnasium, Migrantenkinder zur Hauptschule. Der Dortmunder Erziehungswissenschaftler Wolfgang Bos kann dies nachvollziehen, weil Ärztekinder mehr Unterstützung haben werden...

Eltern müssen ihre Kinder in der Schule unterstützen. Es kann aber nicht sein, dass Eltern nachmittags den Stoff wiederholen müssen, der vormittags nicht verstanden wurde. Die Bildungschancen der Kinder dürfen nicht vom Einkommen der Eltern abhängen.

Die Wirklichkeit sieht anders aus. Die Schere zwischen reichen und armen Kindern bei der Schulwahl geht immer weiter auseinander.

Ich finde den Zusammenhang zwischen sozialer Herkunft und Bildungschancen krass. Das treibt mich nachts um, bereitet mir schlaflose Nächte.

Wie wollen Sie dem entgegen treten?

Wir müssen schon vor der Grundschule anfangen, müssen zum Beispiel die Sprachförderung noch weiter ausbauen. Bei PISA gab es einen faszinierenden Aspekt: 90 Prozent der Russlanddeutschen sind in der Sowjetunion geboren, sie sprechen aber weitaus besser deutsch als die hier geborenen Türken. Ich habe oft gehört: Ach, mein Kind ist noch so klein und so verträumt. Türkische Familien haben zum Teil eine andere Einstellung zur Leistung.

Wenn das stimmt – wie wollen Sie das knacken?

Das ist auch eine Aufgabe meines Kollegen, des Integrationsministers Armin Laschet. Die geplanten Familienzentren werden unter anderem Erziehungshilfe anbieten, anders geht es nicht.

Mit der Einführung von Englischunterricht ab der ersten Klasse schaffen Sie aber doch eine weitere Hürde für Migrantenkinder.

Nein, im Gegenteil: Diese Kinder haben zum ersten Mal die Chance, genauso weit zu sein wie die anderen. Im Englischunterricht werden alle Kinder bei Null anfangen.

Der Englischunterricht wird aber doch auch auf Deutsch sein.

Ja, aber das wird Unterricht sein, in dem sich die Schüler die Sprache kindgerecht erschließen.

Bisher gibt es keine Untersuchungen, die belegen, dass dieser punktuelle Spracherwerb förderlich ist.

Wir wollen ja nicht punktuell bleiben. Für den Englischunterricht gehen wir aber gerade über das alte Konzept hinaus, zum Beispiel im Musikunterricht ein Lied auf Englisch zu singen. Das erweitere ich durch systematischen Englischunterricht.

In zwei Stunden?

Zunächst zwei Stunden. Aber wir wollen damit nicht am ersten Schultag beginnen, die Erstklässler müssen sich erst eingewöhnen.

Die alte Landesregierung hat die Schulkindergärten geschlossen, Sie wollen an dieser Stelle die Lernstudios einführen. Was wird das sein?

Es gibt Kinder, die deutlich stärker gefördert werden müssen als andere. Das könnte in so genannten Lernstudios für Kinder mit sprachlichen, sozialen und emotionalen Defiziten passieren.

Das ist das alte Modell der Schulkindergärten.

Es ist ähnlich. Wir wollen aber eine höhere Durchlässigkeit: Grundschulkinder bleiben im Klassenverband, gehen aber für eine begrenzte Zeit zu Förderstunden in einen gesonderten Klassenraum, so lange sie dies benötigen.

Wann kommen die Studios?

Wir wollen sie im neuen Schulgesetz verankern, sie sollen zum Schuljahr 2006/2007 eingesetzt werden.

Die CDU wollte vor der Wahl eine Quote für Migranten an Grundschulen. Warum hat sich die FDP mit der Abschaffung der Schulbezirke durchgesetzt?

Die Koalitionsvereinbarung gibt mir den Rahmen vor, den ich nun mit Leben füllen werde.

Selbst Vertreter der CDU, wie der Integrationsminister, wollen die Bezirke einhalten.

Wir sind nicht blind und taub. Ich bin mit meinen Kollegen im Gespräch. Wir werden eine gute Lösung zum Wohle der Kinder finden.

Viele befürchten aber, dass es jetzt noch mehr als bisher getrennte Schulen für arme und reiche Kinder geben wird.

Ich habe lange Zeit eine Schule mit hohem Migrantenanteil geleitet, ohne vom Schulministerium besondere Unterstützung zu bekommen. Wir werden jetzt dafür sorgen, dass nach der Auflösung der Schulbezirke Schulen mit schwierigen Rahmenbedingungen beispielsweise mehr Personal erhalten.

Damit versuchen Sie doch aber ein Problem zu lösen, das es mit den Schulbezirken so nicht gegeben hätte.

Das Problem ist ja jetzt schon da. Wir müssen den Wettbewerb zwischen den Schulen fair gestalten. Dafür schaffen wir neue Grundlagen: Eine Kommune definiert die Größe der Schule. Alle Kinder haben weiterhin die Möglichkeit, die wohnortnahe Schule zu besuchen. Nur wenn es freie Kapazitäten gibt, dürfen auch Schüler aus anderen Stadtteilen dorthin. So könnte es aussehen.

Wird es auch so aussehen?

Das ist die Planung der Landesregierung.

Ihre Partei will sich am Abbau der Arbeitslosigkeit messen – was ist Ihre Richtschnur?

Ich will die Bildungsschere zwischen armen und reichen Kindern schließen. Soziale Herkunft darf nicht entscheidend für den Schulerfolg sein. Mein Ziel ist es, dass dies bis zur PISA-Untersuchung 2009 deutlich besser wird.

Wie finden Sie die schwarz-roten Ergebnisse im Bund?

Ich freue mich, dass wir im Bildungsbereich mehr Verantwortung im Land selbst bekommen. Der Föderalismus wird gestärkt, das finde ich gut.

Finden Sie auch die Reichensteuer gut? Sie gehören zu den potenziellen ZahlerInnen.

Ich denke die Ministerin hat ein gutes Gehalt, aber sie muss dafür auch sehr viel arbeiten.