Kolumne Zeitschleife: From here to Eternit

Es ist nicht alles ewig, was man selbst dafür hält. Aber einige Dinge sind ewiger als andere.

Die Ewigkeit - und das denkt man auf den ersten Blick gar nicht - ist ja auch was enorm Relatives. Als kleiner Ministrant habe ich mich früher zum Beispiel immer (oder mehrmals halt) gefragt, was passiert, wenn die Mesner am Ewigen Licht, jener roten Öllaterne, die - zumindest hier in Bayern - im Altarraum jeder katholischen Kirche brennt, mal den Docht auswechseln müssen, oder tatsächlich mal vergessen, Öl nachzufüllen. Dann geht der Ewigkeit zwischendurch das Lichtlein aus - aus wartungstechnischen Gründen zwar, aber ist die Ewigkeit dann noch so richtig ewig?

Letzthin schlüpfte ich in eines der Hemden Marke Eterna, Ewigkeitshemden also, die ich mir vor - und hier schluckte ich - nicht viel weniger als zehn Jahren im Vintageklamottenladen Frau Schusters in Giesing kaufte. Noch mit D-Mark bezahlt. Im letzten Jahrtausend. Und immer noch Tophemden. Gut, zehn Jahre sind jetzt vielleicht keine Ewigkeit in Bezug auf Haltbarkeit eines Stoffes oder einer Naht. Aber doch zumindest eine halbe, wenn mans mal vom Fashion-Standpunkt aus betrachtet. Wenn ich nicht so einen lächerlich guten Geschmack hätte, die Hemden daher nicht absolut klassisch elegant wären, wärs direkt zum Schämen.

Der Hauch der Ewigkeit umwehte mich früh. Im zarten Alter von 21 Tagen, ich war noch sehr jung, zog ich zu meinen Eltern, einem jungen Paar, das gerade Nachwuchs bekommen hatte, auf einen Bauernhof außerhalb des Dorfes. Es handelte sich - und das tut es in der Tat weiterhin - um einen sogenannten Aussiedlerhof. Mein Großvater hatte ihn keine zehn Jahre vor meiner Geburt quasi als Satellit seines Anwesens auf die grüne Wiese gebaut, weil es im Dorf für die Landwirtschaft zu eng geworden war. Der gesamte Gebäudekomplex war mit in den progressiv-zweckmäßigen 60ern schwer in Mode gekommenen Faserzementplatten der Marke Eternit überdacht, Wirtschaftsgebäude wie Wohnhaus. Und sagen wir so: Die grauen Wellplatten mit dem gewissen Barackencharme passten irgendwie immer stimmiger zu Ersterem.

Die Platten da auf unserem Hausdach sind so alt wie die erste Platte der Beatles: 46, aber bei weitem nicht mehr so frisch - und jetzt müssen sie runter. Es ist nämlich so, dass eine Ewigkeit, wie sie die Firma Eternit veranschlagt, 40 bis höchstens 50 Jahre dauert. Dann bröselt das aeternum zusehends und wird löchrig. Wir werden keine neuen Eternitplatten mehr auflegen. Wir haben uns entschlossen, auf Ziegeldach nebst State-of-the-art-Wärmeisolierung umzusatteln - weils einfach länger hält und nachhaltiger, sprich: ewigkeitstauglicher ist. Zu diesem Behuf muss ein völlig neuer, stabilerer Dachstuhl errichtet werden. Weswegen unser Haus, der alte Dachstuhl, umzingelt steht, von Baugerüst und Kran. Und weswegen dies - und das kann Ihnen ganz wurscht sein, aber mir bedeutet es was, also bitte - die letzten Zeilen sind, die ich unter diesem für die Ewigkeit bestimmten Dach, unter dem ich aufwuchs, niederschreibe. Und tatsächlich die ersten, die ich direkt unter diesem Dach schreibe, auf einer alten Couch in dem ansonsten leer geräumten und so ausgesprochen anheimelnden Dachboden, während der Regen romantisch auf die nur ein Zentimeter dicken Platten trommelt.

Beim Gedanken, dass morgen in aller Frühe Männer anrücken werden, um das Dach meiner Kindheit und Jugend abzutragen, schnürt mir doch etwas den Hals zu. Und das ist auch ganz gut so, dann atme ich nicht so viel von den Asbestfasern ein, die in dem verdammten Eternit drin sind - und die in der Tat ewig halten.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.